Die weltweite Corona-Pandemie hat die Kongresslandschaft des Jahres 2020 ziemlich durcheinandergewirbelt. Kongresse und Jahrestagungen verschiedener Fachgesellschaften wurden abgesagt, verschoben oder fanden ausschließlich virtuell statt.
Letzteres war auch der Fall für die Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vom 29. Mai bis 2. Juni und für das 25. Jahrestreffen der European Hematology Association (EHA) vom 11. bis 21. Juni. Beiden ist der Schwerpunkt in dieser Ausgabe von Trillium Krebsmedizin gewidmet.
Anstatt nach Chicago bzw. Frankfurt zu reisen und im persönlichen Austausch mit Kollegen neue Erkenntnisse zu gewinnen und zu diskutieren, brauchte sich der Kongressteilnehmer lediglich an seinen PC am heimischen Schreibtisch oder am Arbeitsplatz zu begeben. Für alle Kongressbesucher ein Novum. Die diesjährigen Kongress-Mottos „Unite and Conquer: Accelerate progress Together" beim ASCO20 Virtual und „Unfolding the Future“ beim EHA25 Virtual waren in diesem Kontext bezeichnend.
Trotz der lähmenden Pandemie gelang es den Veranstaltern beider Kongresse, ein hochkarätiges und abwechslungsreiches Programm mit teilweise praxisverändernden Studiendaten zusammenzustellen. Das virtuelle Format eröffnete sogar völlig neue Möglichkeiten, auch wenn der persönliche Austausch im real life fehlte. Nie war es einfacher, einen Kongress zu besuchen, was sich unter anderem in den Rekord-Teilnehmerzahlen widerspiegelte. Beim ASCO beispielsweise waren knapp 43.000 Teilnehmer aus 138 Ländern registriert, die aus 5.300 Abstracts und über 100 vorab aufgezeichneten und live ausgestrahlten Sitzungen mit mehr als 2.300 Vorträgen und Posterpräsentationen wählen konnten. Sogar für den Austausch unter den Kongressteilnehmern war in der virtuellen Welt gesorgt: Über 45.000 Tweets von knapp 9.000 Nutzern unter dem offiziellen Kongress-Hashtag #ASCO20 sprechen für sich. Insgesamt also eine gelungene Premiere im virtuellen Raum.
In dieser Ausgabe von Trillium Krebsmedizin fassen wieder renommierte Experten aus Onkologie und Hämato-Onkologie die Highlights der beiden Kongresse in kompetenter Weise für Sie zusammen und ordnen die neuen Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Relevanz für den klinischen Alltag ein. Wie Sie es von unserer Zeitschrift gewohnt sind, kratzen die Schwerpunkt-Berichte nicht nur an der Oberfläche, um schnelle Schlagzeilen zu produzieren, sondern ermöglichen einen tiefen Einblick in die neuen Daten und ihre Bedeutung für die Versorgungsroutine.
Im ASCO-Beitrag zum Mammakarzinom und den gynäkologischen Tumoren spannt Prof. Michael Untch, Berlin, den Bogen von neuen Behandlungs-
optionen beim HER2-positiven Mammakarzinom über die CDK4/6-Hemmung beim Hormonrezeptor-positiven Brustkrebs bis hin zur Immuntherapie bei triple-negativen Tumoren. Relevante Studiendaten zu gynäkologischen Tumoren runden den Beitrag ab, wobei das rezidivierte Ovarialkarzinom mit seinen Therapiemöglichkeiten im Mittelpunkt steht.
In der Behandlung des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) hat es in den letzten Jahren dramatische Fortschritte gegeben – durch die Entwicklung sowohl von Immun- als auch von zielgerichteten Therapien. Dieser Trend scheint ungebrochen und setzte sich auch beim ASCO fort, wie Prof. Martin Reck, Großhansdorf, und Frank Griesinger, Oldenburg, in ihrem gemeinsamen Beitrag berichten. Auch zum Kleinzeller gab es spannende Studiendaten.
Prof. Sylvie Lorenzen, München, fasst in ihrem Beitrag die vielen Highlights zu den gastrointestinalen Tumoren zusammen. Sie berichtet von den aktuellen Studiendaten zum Magenkarzinom sowie zu Tumoren des Ösophagus und öso-phagogastralen Übergangs – sowohl in der perioperativen als auch in der palliativen Situation – mit dem Fokus auf der Behandlung mit Antikörper-Drug-Konjugaten und Immuntherapien. Weitere Kongress-Höhepunkte – einige davon practice changing – betreffen die Entitäten hepatozelluläres Karzinom und Pankreaskarzinom sowie kolorektales und Rektumkarzinom.
Prof. Viktor Grünwald, Essen, stellt in seinem Artikel die spannenden Daten zu urologischen Tumoren vor, einige davon mit praxisveränderndem Potential. Beim Nierenzellkarzinom standen in diesem Jahr Daten zu verschiedenen Immuntherapeutika und neuen Wirkstoffen sowie wichtige Erkenntnisse zur Behandlung von erblichem Nierenkrebs im Fokus. Auch beim Urothelkarzinom ging es primär um immunonkologische Strategien, wobei eine Studie zur Erhaltungstherapie beim fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom auf besondere Beachtung stieß. Beim Prostatakarzinom standen die Überlebensdaten dreier großer Studien zur Kombination verschiedener Antiandrogene mit der Androgendeprivationstherapie bei Patienten mit nicht-metastasiertem, kastra-tionsresistentem Tumor mit hohem Metastasierungsrisiko im Mittelpunkt des Interesses.
Im Beitrag zur onkologischen Supportivtherapie werden Daten zur Kardiotoxizität von Anti-HER2-Substanzen und zu Cannabinoiden als Antiemetika sowie in der palliativen Therapie vorgestellt.
Im Hinblick auf hämatologische Malignome haben unsere Experten beschlossen, die aktuellen Studienergebnisse von ASCO und EHA in gemeinsamen Beiträgen zu behandeln, da die bei beiden Kongressen vorgestellten Studien oftmals überlappen. Dabei liegt der Fokus der Berichterstattung auf malignen Lymphomen und dem Multiplen Myelom.
Prof. Lorenz Trümper, Göttingen, widmet sich den malignen Lymphomen. Vom Hodgkin-Lymphom, bei dem sich ein Checkpoint-Inhibitor im Rezidiv nun auch gegen ein Immuntoxin behauptet, über das Mantelzell-Lymphom und dessen Behandlung mit einer Ibrutinib-basierten Therapie in Erstlinie und Rezidiv bis hin zu aggressiven und indolenten Non-Hodgkin-Lymphomen. Den Abschluss bilden zielgerichtete, Chemotherapie-freie Kombinationsbehandlungen bei der CLL in der Erstlinie und auch bei Patienten bei Hochrisiko-Zytogenetik.
In ihrem Beitrag zum Multiplen Mye-lom widmet sich Frau Prof. Katja Weisel, Hamburg, neuen Behandlungsoptionen beim neu diagnostizierten und beim rezidivierten/refraktären Myelom. Bei der neu diagnostizierten Erkrankung stellte sich heraus, dass eine Carfilzomib-basierte Dreifachkombination gegenüber einer entsprechenden Bortezomib-basierten keine Vorteile brachte. Zudem belegen vorläufige Daten einer Zwischenanalyse der CONCEPT-Studie der Deutschen Multiples-Myelom-Gruppe (GMMG), dass sich mit einer Isatuximab-basierten Vierfachkombination tiefe Remissionen erreichen lassen. Nicht zuletzt wurden erste Daten einer GMMG-Studie zum Einsatz einer Elotuzumab-basierten Vierfachkombination gegenüber der entsprechenden Dreifachkombination ohne den SLAMF7-Antikörper vorgestellt.
Beim rezidivierten/refraktären Myelom standen CAR-T-Zell-Therapien im Fokus, die als Zielstruktur das B-Cell Maturation Antigen (BCMA) verwenden. Schließlich wurden noch interessante Studiendaten zum Einsatz des oralen Proteasominhibitors Ixazomib bei der rezidivierten/refraktären Amyloidose vorgestellt.
Ich bin sicher, dass unsere umfassende Berichterstattung von ASCO und EHA keine Wünsche offenlässt und hoffe sehr, dass Sie die neuen Erkenntnisse mit in den klinischen Alltag nehmen können.
An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal auf unsere Serie „Vom Biomarker zur Therapie" hinweisen, die sich großer Beliebtheit bei unseren Lesern erfreut, und von der in dieser Ausgabe bereits der fünfte Teil erscheint. Dieses Mal geht es um die genetische Alteration FLT3 bei der akuten myeloischen Leukämie (AML). Mit Prof. Christoph Röllig aus Dresden haben wir einen ausgewiesenen Experten für diese Thematik gewinnen können.