Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom: Neues zu Immuntherapien und Kinase-Inhibitoren
Das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom war lange Zeit ein Stiefkind der onkologischen Forschung: Mit Chemotherapien wurden mühsam winzige Fortschritte – wenn überhaupt – erkämpft. Das änderte sich erst, als neue, molekular definierte Entitäten jenseits der klassischen histologischen Einteilung in Plattenepithel- und Adenokarzinome identifiziert wurden, deren genetische Besonderheiten sich gleichzeitig als Achillesfersen dieser Tumoren entpuppten: Mutationen im Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) und in der anaplastischen Lymphom-Kinase (ALK) definieren Fehlfunktionen der beteiligten Proteine, die das Tumorwachstum antreiben und zugleich Angriffspunkte für effektive Therapien darstellen. Zweit- und Drittgenerations-Inhibitoren dieser Kinasen machen nun von sich reden – wie zum Beispiel beim ESMO-Kongress in Madrid. Auch bei den Immuntherapien gab es interessante Neuigkeiten.
Die Konjunktur der Immuntherapie in der Onkologie ist ungebrochen: CTLA-4- und PD-1-Checkpoint-Inhibitoren waren erst der Anfang, als nächstes kommen Inhibitoren des PD-1-Liganden PD-L1 in die Klinik. Der erste ist mit Atezolizumab bereits beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) zugelassen; zu einer weiteren Substanz aus dieser Klasse, Durvalumab, wurde bei einem Presidential Symposium in Madrid, das sich nur mit thoraxonkologischen Themen befasste, die Interimsanalyse der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie PACIFIC vorgestellt [1], mit zeitgleicher Publikation [2]: Eingeschlossen wurden 713 Patienten mit einem NSCLC im Stadium III, das lokal fortgeschritten und nicht operabel, aber nach einer platinhaltigen Chemoradiotherapie auch nicht progredient war. Die Patienten wurden im Verhältnis 2 : 1 randomisiert, als Konsolidierungstherapie ein Jahr lang doppelblind alle zwei Wochen 10 mg/kg Durvalumab oder Plazebo zu erhalten. Koprimäre Endpunkte waren progressionsfreies (PFS) und Gesamtüberleben, wobei die Radiologen, die eine Progression festzustellen hatten, gegenüber der Behandlung verblindet waren.
Wie Luis Paz-Ares, Madrid, berichtete, war bereits nach median 14,5 Monaten Nachbeobachtungsdauer eine Verdreifachung des PFS durch die Gabe von Durvalumab festzustellen (median 16,8 vs. 5,6 Monate); das Risiko für Progression oder Tod konnte dadurch halbiert werden (Hazard Ratio 0,52; p < 0,0001; Abb. 1). Die PFS-Raten lagen nach zwölf Monaten bei 55,9% versus 35,3%, nach 18 Monaten bei 44,2% versus 27,0%. Die Überlegenheit von Durvalumab war in allen untersuchten Subgruppen von Patienten erkennbar. Auch die Ansprechrate war unter dem PD-L1-Inhibitor höher (28,4% vs. 16,0%; p < 0,001), und bei der Remissionsdauer war im experimentellen Arm der Medianwert noch nicht erreicht, während er im Kontrollarm 13,8 Monate betrug. Fernmetastasen traten unter Placebo im Median nach 14,6 Monaten – und damit deutlich schneller auf als nach der Durvalumab-Konsolidierung (median 23,2 Monate; stratifizierte HR 0,52; p < 0,0001). Zum Gesamtüberleben lassen sich noch keine Aussagen treffen, so Paz-Ares, im Hinblick auf diesen Endpunkt bleibt die Studie weiter verblindet.
Durvalumab war gut verträglich: Grad-3/4-Nebenwirkungen traten in diesem Arm mit 29,9% kaum häufiger als unter Plazebo mit 26,1% auf; am häufigsten waren Pneumonien (4,4% vs. 3,8%). 15,4% bzw. 9,8% der Patienten brachen die Behandlung mit Durvalumab bzw. Plazebo aufgrund von unerwünschten Ereignissen ab.
Damit, so Paz-Ares, empfiehlt sich der PD-L1-Blocker als vielversprechende neue Therapieoption in dieser Situation des nicht-resezierbaren NSCLC im Stadium III. Mit einer solchen Konsolidierung nach Chemoradiotherapie lässt sich eine signifikante und klinisch sehr relevante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens erzielen.
Drittgenerations-EGFR-TKI nicht nur bei T790M-positiven Tumoren wirksam
Ein NSCLC mit mutiertem EGFR-Rezeptor lässt sich mit EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) effektiv therapieren – mit einer Verdoppelung des progressionsfreien Überlebens gegenüber einer Chemotherapie. Früher oder später entwickeln die Tumoren aber meist Resistenzen gegen diese Substanzen. Besonders schwierig zu behandeln sind Tumoren mit der T790M-Punktmutation, die sich bei etwa der Hälfte der resistenten Patienten findet. Speziell gegen diese Mutation wurde der Drittgenerations-Inhibitor Osimertinib entwickelt, der auch Liquor-gängig ist und zur Therapie von T790M-positiven Patienten, d. h. in der Zweit- oder einer höheren Therapielinie zugelassen ist. In Deutschland war er vorübergehend nicht auf dem Markt, steht aber mittlerweile wieder zur Verfügung. Da Osimertinib auch andere TKI-sensitive EGFR-Moleküle effektiv hemmt, wurde es nun in der Phase-III-Studie FLAURA in der Erstlinientherapie von Patienten mit EGFR-mutiertem NSCLC gegen zwei für die Erstlinientherapie zugelassenen Substanzen getestet [3, 4]: Die Patienten im Kontrollarm konnten entweder Gefitinib oder Erlotinib erhalten, so Suresh Ramalingam, Atlanta. Die eingeschlossenen 556 Patienten durften auch neurologisch stabile Hirnmetastasen aufweisen, wenn eine definitive Behandlung dafür oder eine Kortikosteroid-Therapie mindestens zwei Wochen vor Studienbeginn beendet worden war.
Beim Ansprechen unterschieden sich beide Therapieoptionen nicht (Osimertinib 80%, Standard-TKIs 76%; Odds Ra-
tio 1,27; p = 0,24), aber beim primären Endpunkt progressionsfreies Überleben war Osimertinib signifikant überlegen, mit median 18,9 gegenüber 10,2 Monaten im Kontrollarm (HR 0,46; p < 0,001; Tab. 1). Die mediane Ansprechdauer war unter Osimertinib mit median 17,2 Monaten doppelt so lang wie im Kontrollarm mit 8,5 Monaten.
Bisher, so Ramalingam, ist ein Viertel der Patienten verstorben und die Studie damit eigentlich noch nicht reif für die Auswertung des Gesamtüberlebens. Eine exploratorische Analyse ergab aber 18-Monats-Überlebensraten von 83% für Osimertinib gegenüber 71% für die konventionelle Therapie. Bei einer Hazard Ratio von 0,63 ist das trotz eines p-Werts von 0,0068 noch nicht signifikant, weil das Signifikanzniveau für die Auswertung zu diesem Zeitpunkt auf 0,0015 festgelegt worden war.
Der Vorteil der Osimertinib-Therapie war in allen untersuchten Subgruppen – u. a. auch bei Patienten mit Hirnmetastasen bei Behandlungsbeginn – zu erkennen. Die Behandlungen waren gut verträglich, Therapieabbrüche wegen Toxizitäten unter Osimertinib mit 13% seltener als unter den anderen TKIs (18%).
Diese auch für die Studienautoren überraschend deutliche Überlegenheit, die sich vermutlich auch noch beim Gesamtüberleben manifestieren wird, sollte mutmaßlich zu einer Zulassungserweiterung für die Substanz auf die Erstlinie – unabhängig von der Art der EGFR-Mutation – führen und damit die Therapielandschaft bei dieser Subgruppe von NSCLC-Patienten verändern.
ALK+ NSCLC: Überlebensvorteil durch Crizotinib in der Erstlinie
Eine weitere Treibermutation beim NSCLC, die therapeutisch nutzbar ist, sind Translokationen des Gens für die anaplastische Lymphom-Kinase (ALK). Inhibitoren dieses Proteins haben sich bei Patienten mit ALK-positivem NSCLC einer Chemotherapie überlegen gezeigt. Der erste zugelassene ALK-Inhibitor, Crizotinib, war in der Phase-III-Studie PROFILE 1014 randomisiert gegen eine Chemotherapie-Doublette aus Pemetrexed und einem Platinsalz getestet worden. In der Ende 2013 durchgeführten ersten Analyse war Crizotinib beim primären Endpunkt progressionsfreies Überleben deutlich überlegen gewesen und auf dieser Grundlage zur Erstlinientherapie zugelassen worden, aber eine vorläufige Analyse des Gesamtüberlebens hatte damals nach etwa 17 Monaten Nachbeobachtung noch keine verwertbaren Ergebnisse erbracht. Die endgültige Überlebensanalyse nach median knapp vier Jahren wurde nun in Madrid von Tony Mok, Hongkong, nachgereicht [5]:
Die mediane Überlebensdauer war im Crizotinib-Arm noch nicht erreicht, während sie im Kontrollarm bei 47,5 Monaten lag. Trotz einer Hazard Ratio von 0,760 und eines p-Werts von 0,0489 war dieser Unterschied bei einem 95%-Konfidenzintervall für die HR von 0,548–1,053 statistisch nicht signifikant. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich – wie häufig bei Überlebensanalysen – darin, so Mok, dass es in der Studie eine Cross-over-Option gegeben hatte, d. h. die Patienten, die unter einer Therapie progredient wurden, konnten daraufhin die andere bekommen, wodurch Überlebensvorteile durch eine Therapie verwischt werden. Rechnet man das in den PROFILE-1014-Daten mit einem geeigneten statistischen Modell heraus, so erhält man mit dem Log-rank-Test eine Hazard Ratio von 0,346 (95%-KI 0,081–0,718) und damit eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens durch den ALK-Inhibitor.
ALK+, Zweitlinie, Zweitgenerations-Inhibitor: Alectinib schlägt Chemotherapie um Längen
Wie bei fast allen Kinase-Inhibitoren entwickelt auch ein ALK-positives NSCLC früher oder später eine Resistenz gegen die Erstliniensubstanz Crizotinib, die sich nicht selten in Form von Hirnmetastasen manifestiert. In der Phase-III-Studie ALUR wurde der Zweitgenerations-ALK-Inhibitor Alectinib bei 107 solchen Patienten randomisiert im Verhältnis 2 : 1gegen eine Standard-Rezidivchemotherapie (Pemetrexed oder Docetaxel) getestet. Auch hier war ein Crossover von der Chemotherapie in den Alectinib-Arm gestattet, und primärer Endpunkt war daher auch hier das progressionsfreie Überleben, so Silvia Novello, Turin, die die Ergebnisse in Madrid vorstellte [6].
Die von den Prüfärzten ermittelten Medianwerte waren hier 9,6 Monate unter Alectinib gegenüber 1,4 Monaten unter Chemotherapie (HR 0,15; p < 0,001); wenn unabhängige Radiologen die Bildgebung begutachteten, waren es 7,1 versus 1,6 Monate (HR 0,32; p < 0,001). Auch beim Ansprechen war Alectinib mit 36,1% versus 11,4% dreimal besser, und noch stärker überlegen war der Inhibitor beim Ansprechen von radiologisch vermessbaren Hirnmetastasen: 54,2% versus 0%. Die Dauer der Remissionen war unter Alectinib mit median 9,3 Monaten mehr als dreimal so lang wie unter der Chemotherapie mit 2,7 Monaten. Dabei war der ALK-Inhibitor besser verträglich mit Grad-3–5-Nebenwirkungen in 27,1% der Fälle gegenüber 41,2% im Chemotherapie-Arm.
Bei Hirnmetastasen ist Alectinib konkurrenzlos
Auf der Basis dieser Resultate ist Alectinib mittlerweile zur Rezidivtherapie nach Versagen von Crizotinib zugelassen. Medikamente, die in der Zweitlinie so wirksam sind, werden aber sehr schnell auch bei neu diagnostizierten Patienten gegen den bisherigen Standard getestet, und das geschah für Alectinib in der ALEX-Studie: 303 Patienten mit neu diagnostiziertem ALK-positivem NSCLC hatten hier randomisiert Alectinib oder Crizotinib erhalten; asymptomatische Hirnmetastasen waren kein Ausschlusskriterium, und alle Patienten unterzogen sich einer systematischen kraniellen Bildgebung. Die ersten positiven Ergebnisse zum progressionsfreien Überleben waren bereits im Sommer beim ASCO-Kongress vorgestellt und gleichzeitig publiziert worden [7]: Alectinib war auch bezüglich der Progression im Gehirn überlegen, und das war Anlass, nun beim ESMO-Kongress eine gesonderte Analyse der intrakraniellen Wirksamkeit vorzustellen [8]:
122 der 303 Patienten, so Shirish Gadgeel, Ann Arbor, hatten bei Diagnose ZNS-Filiae gehabt, die bei 43 messbar und bei 47 zuvor bereits bestrahlt worden waren. Während im Crizotinib-Arm die ersten Progressionszeichen häufiger im ZNS als außerhalb auftraten (insbesondere bei Patienten mit bereits zu Beginn vorhandener ZNS-Metastasierung), war es im Alectinib-Arm umgekehrt (Tab. 2). Bei Patienten mit messbaren Hirnmetastasen, die zuvor bestrahlt worden waren, betrug die intrakranielle Ansprechrate unter Alectinib 85,7%, unter Crizotinib 71,4%, bei den nicht vorbestrahlten Patienten waren es 78,6% versus 40%.
Alectinib kann also nicht nur ZNS-Metastasen wirksamer bekämpfen als Crizotinib, sondern wirkt offenbar auch protektiv gegen die Entwicklung neuer zerebraler Absiedlungen. Zusammen mit den Befunden zur extrakraniellen Wirksamkeit wird damit nach Ansicht der Studienautoren die Rolle von Alectinib als neuer Standard in der Erstlinientherapie des ALK-positiven NSCLC bestätigt – eine Zulassung für diese Indikation vorausgesetzt.
Literatur
1. Paz-Ares L et al. ESMO 2017, Abstract #LBA1_PR.
2. Antonia SJ et al. N Engl J Med 2017; 377: 1919-29.
3. Ramalingam S et al. ESMO 2017, Abstract #LBA2_PR.
4. Soria JC et al. N Engl J Med 2017, Nov 21 [Prepub ahead of print, DOI 10.1056/NEJMoa1713137.
5. Mok T et al. ESMO 2017, Abstract #LBA50.
6. Novello S et al. ESMO 2017, Abstract #1299O_PR.
7. Peters S et al. N Engl J Med 2017; 377: 829-38.
8. Gadgeel S et al. ESMO 2017, Abstract #1298O_PR.
Josef Gulden