Therapiestratifizierung – ein nützliches Prinzip auch beim Kolorektalkarzinom
Editorial
Schlagworte wie „personalisierte Medizin“ und „individualisierte Therapie“ sind seit einigen Jahren in aller Munde, ganz besonders in der Onkologie. Im Prinzip hat man solche Therapiestratifizierungen schon immer angewandt, indem man etwa lokal begrenzte Tumoren in kurativer Absicht operierte, im metastasierten Stadium aber nur mehr eine systemische Therapie – in der Regel mit palliativer Zielsetzung – gab. In den letzten rund zwei Jahrzehnten konnte das Prinzip jedoch erheblich verfeinert werden, seitdem man – vor allem mit modernen molekularbiologischen Methoden – bei immer mehr Entitäten findet, dass diese bei Weitem nicht so homogen sind wie man früher dachte. Eines der ersten Beispiele mit praktischer Anwendung war wohl die Abgrenzung von Subgruppen von Patientinnen mit Mammakarzinomen, die positiv für Hormonrezeptoren bzw. den HER2-Rezeptor waren und die man deshalb erfolgreich mit endokrinen Substanzen bzw. gegen den HER2-Rezeptor gerichteten Antikörpern behandeln konnte.
Beim Kolorektalkarzinom, dem der Schwerpunkt dieses Heftes von Trillium Krebsmedizin gewidmet ist, hat es etwas länger gedauert: Nachdem Antikörper gegen den Rezeptor für epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR) sich nur mäßig wirksam gezeigt hatten, erwies sich bei genauerem Hinsehen, dass Patienten, deren Tumoren Mutationen in den RAS-Onkogenen aufwiesen, gar keinen Nutzen von dieser Therapie hatten, während diejenigen mit RAS-Wildtyp erheblich davon profitieren können. Interessanterweise erfolgte diese Einschränkung der Anwendung von Cetuximab und Panitumumab ausschließlich aufgrund von retrospektiv erhobenen Daten dieser Art.
Mittlerweile wird bei der Entwicklung neuer Onkologika schon von Beginn an nach potenziellen Biomarkern gesucht, mit deren Hilfe sich der Kreis der zu behandelnden Patienten einschränken, dafür aber die kollektive Wirksamkeit der Therapie erhöhen lässt. „Companion Diagnostics“, deren Anwendung in solchen Fällen vor der Gabe eines Medikaments vorgeschrieben ist, entwickeln sich inzwischen zu einem eigenen Wirtschaftszweig.
Weitere Beispiele für prädiktive Biomarker, die beim Kolorektalkarzinom identifiziert werden konnten und zunehmend zur Therapiesteuerung eingesetzt werden dürften, sind etwa BRAF-Mutationen oder genetische Prädispositionen, wie das Vorliegen einer Mikrosatelliteninstabilität aufgrund von genetischen oder epigenetischen Defekten in „Mismatch-Repair“-Proteinen. Letzteres ist vor allem interessant im Kontext der in den letzten Jahren eingeführten Immuncheckpoint-Inhibitoren, weil Tumoren mit solchen genetischen Defekten mehr Neoantigene aufweisen und deshalb für das Immunsystem besser erkennbar sind. Tatsächlich haben diese Befunde sogar schon zu einer Änderung der Zulassungspraxis für Medikamente geführt: Im Frühjahr 2017 ließ die amerikanische Zulassungsbehörde FDA mit dem Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab erstmals ein Medikament zur Therapie von Tumoren jedweden Ursprungs zu, sofern sie die genannten genetischen Defekte aufweisen und es keine alternativen Therapieoptionen gibt. Für Kolorektalkarzinome bedeutet das, dass sie bereits mit einem Fluoropyrimidin, Oxaliplatin und Irinotecan vorbehandelt sein müssen.
Ein „Biomarker“, bei dem man sich wundern muss, dass er erst vor wenigen Jahren identifiziert wurde, ist die Lokalisation eines Kolonkarzinoms im rechten oder linken Dickdarm, d. h. proximal bzw. distal der linken Kolonflexur. Diese Position des Primarius ist nicht nur prognostisch, sondern auch prädiktiv: Rechtsseitige Tumoren haben zum einen eine schlechtere Prognose, zum anderen sprechen sie (und ihre Metastasen) aber auch bei Vorliegen eines RAS-Wildtyps nicht auf EGFR-Antikörper an.
Arndt Vogel, Hannover