Versorgungslücken in der Schmerztherapie von Krebspatienten
Die große online durchgeführte „PraxisUmfrage Tumorschmerz“ legt den Finger in die – schmerzende – Wunde: In Deutschland herrscht weiterhin großer Nachholbedarf beim Schmerzmanagement von Krebspatienten. Dies gilt insbesondere für die Behandlung tumorbedingter Durchbruchschmerzen.
An der seit Januar 2017 von der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und der Deutschen Schmerzliga (DSL) durchgeführten „PraxisUmfrage Tumorschmerz“ (PUT) nahmen 5.576 Patienten, v. a. mit Karzinomen des Gastrointestinaltraktes, Lungen-, Mamma- und Prostatakarzinomen, teil. Verwendet wurde ein von der DGS entwickelter Fragebogen zur Abklärung tumorbedingter Dauer- und Durchbruchschmerzen, der im Praxisalltag bereits vielfach eingesetzt wird, um die Arzt-Patienten-Kommunikation zu verbessern und optimierte schmerztherapeutische Konzepte zu entwickeln. Die Umfrage zeigte, dass hier noch viele Defizite bestehen, bedauerte PD Dr. Michael Überall, Nürnberg.
Versorgungslücken gibt es in der Therapie chronischer tumor- und/oder therapiebedingter Beschwerden, an denen zwei von drei Betroffenen seit mindestens drei Jahren litten. Knapp zwei Drittel der Teilnehmer erhielten zur Linderung ihrer chronischen Schmerzen ein hochpotentes Opioid der WHO-Klasse 3, fast ein Viertel ein niederpotentes Opioid der Klasse 2, die übrigen ein Nichtopioid-Analgetikum der Klasse 1. Dennoch wurde das individuelle Behandlungsziel bei über der Hälfte der Befragten nicht erreicht. Bei 18% ergab die Umfrage ein schmerztherapeutisches Defizit, sodass eine Eskalation der Therapie sinnvoll wäre. Nicht überraschend hatten 27% einen starken bis sehr starken schmerzbedingten Leidensdruck, fast ein Drittel starke schmerzbedingte Beeinträchtigungen im Alltag.
Schmerzexazerbationen sind häufig
Zudem klagten etwa 3.700 Patienten über Schmerzattacken trotz Dauertherapie. Bei 29% waren diese Exazerbationen auf eine unzureichende Hintergrundmedikation zurückzuführen. Diese akuten Schmerzspitzen könnten durch Optimierung der Dauerschmerztherapie – z. B. durch eine Dosisadaptation bei zu geringer Tagesdosis, Änderung der Einzeldosis oder des Dosierungsintervalls bei der sogenannten „end-of-dose-failure“ oder durch Hinzunahme eines Ko-Analgetikums wegen neuropathischer Schmerzen – vermieden werden, so Überall. Stattdessen erhielten etliche dieser Patienten eine – hier nicht indizierte – Rescue-Therapie mit einem Analgetikum der WHO-Klasse 3 oder einem „rapid-onset opioid“ (ROO). Überall sprach deshalb von einer Über-, Unter- und Fehlversorgung.
In 71% der Fälle handelte es sich bei den akuten Schmerzattacken um echte tumorbedingte Durchbruchschmerzen, die sich bei zwei Dritteln der Betroffenen mehr als dreimal pro Tag manifestieren. „Diese akuten Schmerzkrisen, die nicht immer vorhersagbar und nur selten zu vermeiden sind, können das Alltagsleben dramatisch stören“, betonte Überall. Jeder fünfte Patient mit Durchbruchschmerzen erhielt als Dauertherapie lediglich ein niederpotentes Opioid der WHO-Klasse 2. „Hier sollte angesichts des bedrohlichen Krankheitsbildes und der Häufigkeit der Schmerzattacken eine Intensivierung der Hintergrundmedikation erfolgen“, riet Überall.
Dramatische Unterversorgung mit Rescue-Medikation
Zudem erhielten nur 862 der 2.643 Patienten mit Durchbruchschmerzen (32,6%) die notwendige Rescue-Medikation. Und nur 326 von ihnen (37,8%) bekamen tatsächlich ein Opioid der WHO-Klasse 3. Rechnet man das auf die Gesamtzahl der Patienten mit Durchbruchschmerzen um, so werden nur 12,3% (326/2.643) mit dem in dieser Situation sinnvollen hochpotenten Opioid behandelt. Die meisten von ihnen (81,4%) erhielten ein kurz wirksames Opioid und damit eine Fehlversorgung, so Überall. Denn Medikamente wie Morphin oder Hydromorphon fluten zu langsam an; der analgetische Effekt tritt erst ein, wenn der Schmerz bereits wieder abklingt.
Nur 60 Patienten erhielten mit einem ROO den Goldstandard in der Therapie von Durchbruchschmerzen: Das sind speziell für diese Indikation entwickelte und zugelassene transmukosale Fentanyl-Präparate, die sich der Patient bei Bedarf oral als Buccal-Tablette oder nasal als Spray selbst appliziert. Diese Fentanyl-Präparate haben einen sehr raschen Wirkeintritt innerhalb von Minuten bei zeitlich limitierter Wirkung. „Damit sind die Anforderungen an eine zielgerichtete Therapie von Durchbruchschmerzen erfüllt“, so Überall. Er bedauerte, dass diese aus Sicht der Betroffenen schnell und stark wirkenden Präparate nur bei einem Bruchteil der infrage kommenden Patienten eingesetzt werden. Hier bestehe starker Handlungsbedarf durch spezielle Fortbildungsmaßnahmen bei Onkologen.
Katharina Arnheim
Pressegespräch „Neue Erkenntnisse aus PraxisUmfrage Tumorschmerz – Alarmierende Zahlen für Schmerzmediziner & Onkologen“ im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses am 12.10.2017 in Mannheim.