Die Hämatologie als Motor der onkologischen Forschung

Editorial

Ein Schwerpunktheft zu Leukämien und myelodysplastischen Syndromen gab es bei der Vorgänger-Zeitschrift von Tril­lium Krebsmedizin zuletzt vor viereinhalb Jahren – höchste Zeit für eine Neuauflage, denn von der Hämatologie gingen und gehen weiterhin maßgebliche Impulse für die Weiterentwicklung der onkologischen Diagnostik und Therapie aus:
• Die erste zielgerichtete Therapie wurde Anfang der 2000er-Jahre mit Imatinib bei der chronischen myeloischen Leuk­ämie (CML) eingeführt – zugegeben eine glückliche Wahl, weil die Pathogenese hier so homogen ist, dass Resistenzentwicklungen sehr viel seltener sind als bei den meisten anderen onkologischen Entitäten. Dennoch ist diese Art Therapie mittlerweile in der gesamten Onkologie verbreitet.
• Für die Heterogenität von Krebserkrankungen ist die akute myeloische Leukämie (AML, s. S. 328) ein gutes Beispiel. Die neue WHO-Klassifikation listet mehr als 30 verschiedene Formen auf, von denen bisher etwa ein Dutzend durch spezifische molekulare Defekte definiert ist. Diese Unterscheidungen sind nicht l´art pour l´art: Zum einen differieren die einzelnen Formen teils stark bezüglich der Prognose, zum anderen sind aus den genetischen Defekten resultierende Veränderungen auf Proteinebene häufig krankheitsauslösend und bieten Ansätze zur Entwicklung neuer Therapien – z. B. Inhibitoren des FLT3-Rezeptors oder der Isocitrat-Dehydrogenase 2 (IDH2), die sich in fortgeschrittener klinischer Entwicklung befinden. Das Konzept der molekulargenetischen Stratifizierung ehemals als einheitlich angesehener Entitäten greift auch bei myelodysplastischen Syndromen (MDS, s. S. 353) und bei der akuten lymphatischen Leukämie (ALL, s. S. 339) und hat sich mittlerweile auch außerhalb der Hämatologie etwa beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom etabliert.
• Die Rolle der minimalen Resterkrankung (MRD), d. h. der möglichst stringenten Reduktion der Tumorlast, nachgewiesen durch molekulare Analysen, wurde zuerst bei der CML herausgearbeitet. Dort sind tiefe molekulare Remissionen inzwischen ein Kriterium für das Beenden der Therapie – etwa die Hälfte der Patienten bleibt danach weiter in Remission. Ähnliche Konzepte werden bereits bei der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL, s. S. 345) diskutiert, wo es künftig auch darum gehen wird, ob man die neuen, oralen Therapien irgendwann absetzen kann. Bei der ALL wird die MRD-Bestimmung routinemäßig zu Prognosevorhersage und Therapiesteuerung angewendet.
• Die Ära der Immuntherapie im weitesten Sinn begann bereits vor 20 Jahren auch in der Hämatologie mit der Einführung von Rituximab bei Non-Hodgkin-Lymphomen. Mittlerweile werden Antikörper (und zunehmend auch Antikörper-Toxin-Konjugate) bei sehr vielen onkologischen Entitäten gegeben, aber das immer bessere Verständnis der Immunmechanismen führte auch zu zahlreichen hochinnovativen Ansätzen. Zu den am meisten fortgeschrittenen zählen zelluläre Therapien wie autologe T-Zellen, die mit einem chimären Antigenrezeptor versehen wurden (CAR-T-Zellen), mit dem sie hochselektiv Antigene auf Tumorzellen erkennen. Damit nutzt man die Vorteile einer allogenen Stammzelltransplantation (Graft-versus-Tumor-Effekt), vermeidet aber, weil es sich um Patienten-eigene Zellen handelt, deren Nachteile (Graft-versus-host-Reaktionen). Die Zulassung der ersten derartigen Zellen (zur Behandlung der refraktären pädiatrischen ALL) ist in den USA vor Kurzem erfolgt und wird für die EU Anfang 2018 erwartet; weitere Präparate für zahlreiche hämatologische Indikationen werden aktuell entwickelt.


PS. Der Beitrag zur CML kann aus terminlichen Gründen leider nicht in diesem, sondern erst in Heft 6/2017 erscheinen.

Karl-Anton Kreuzer, Köln