Präzisionsmedizin: Onkologie im Informationszeitalter
Das Informationszeitalter ist auch in der Medizin richtig angebrochen: Die Verarbeitung und Integration von Daten im großen Maßstab verspricht in näherer Zukunft viele medizinische Fächer umzukrempeln. In der Onkologie hat das mit der Analyse des Genoms vieler einzelner Tumoren schon vor Jahren begonnen, aber durch die Integration neuer, schneller Sequenzierungsmethoden und Hochleistungsrechner erhöht sich derzeit das Tempo dieser Entwicklung, und das wird Auswirkungen bis in die einzelne Praxis und für jeden einzelnen Patienten haben.
Das Verständnis der Genetik und damit der Biologie von Tumoren hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Revolution in der Onkologie bewirkt: Hatte die Rede von der „personalisierten Medizin“ oder „individualisierten Therapie“, die seit Jahren zu hören ist, zunächst noch einen etwas exotischen Beigeschmack, stehen wir heute wohl tatsächlich an der Schwelle einer neuen Ära. Die Histologie des Tumors bleibt zwar weiterhin von zentraler Bedeutung für die Diagnosestellung, aber in immer mehr Fällen wird die Therapie maßgeblich von den genetischen Veränderungen bestimmt, die der Pathologe findet. Sie können die Behandlung etwa bei zwei Adenokarzinomen der Lunge, die unter dem Mikroskop identisch aussehen, in ganz unterschiedliche Richtungen treiben. Der Terminus „Präzisionsmedizin“, der sich dafür immer mehr etabliert, steht genau dafür, so Garret Hampton von Genentech, San Francisco, dass man diese molekularen Veränderungen bei immer mehr Patienten nachweisen und zur Therapiesteuerung nutzen möchte.
Möglich machen das neue Techniken des Next-Generation Sequencing (NGS) in Verbindung mit schnellen Rechnern: In einer Kooperation zwischen Genentech/Roche und dem 2010 gegründeten Unternehmen Foundation Medicine sollen deshalb nun Synergien zum Tragen kommen, bei denen einerseits Genentech/Roche die pharmazeutischen Aspekte abdecken und andererseits Foundation Medicine als Anbieter molekularer Informationen die Daten des einzelnen Patienten in eine große Datenbank mit möglichst vielen Tumoren und deren Behandlung integriert. Um ein umfassendes molekulares Tumorprofil zu erhalten, werden bei Foundation Medicine zunächst alle Proben auf über 300 bekannte genetische Veränderungen gescreent.
Weil sich in der Datenbank mittlerweile Daten von inzwischen mehr als 100.000 Patienten angesammelt haben, können die Informationen des jeweiligen Patienten systematisch mit diesen verglichen und außerdem mit Angaben aus der neuesten Fachliteratur und umfangreichem Expertenwissen unterfüttert werden. Auf diese Weise versucht man, für jeden Patienten ein individuell optimiertes Behandlungsprotokoll zu definieren; alle Informationen gehen den behandelnden Ärzten zu, um sie auf diese Weise nicht nur bei der Therapieentscheidung, sondern auch beim Therapiemonitoring und bei der Nachsorge zu unterstützen.
Josef Gulden
Roche Media Event „Transforming cancer care with molecular information“ am 17.–18.11.2016 in Cambridge, MA (USA).