Im Jahre 2016 hat sich die Datenlage zur Früherkennung des Prostatakarzinoms durch aktuelle Publikationen geändert. Das Dilemma bezüglich des Prostatakarzinom-Screenings begann mit der gleichzeitigen Publikation von zwei Studien im New England Journal of Medicine im Jahre 2009. Die größere europäische Studie (ERSPC-Studie) mit insgesamt 160.000 Teilnehmern verglich randomisiert eine Kontrollgruppe, in der keine PSA-Bestimmungen erfolgen sollten, mit einer Screening-Gruppe, in der PSA alle zwei Jahre bestimmt wurde. Dabei konnte eine signifikante Senkung der Mortalität am Prostatakarzinom in der Screening-Gruppe im Verlauf von elf Jahren gezeigt werden. Demgegenüber war das Ergebnis in der amerikanischen Studie (PLCO-Studie) mit insgesamt 80.000 Teilnehmern, 1 : 1 verteilt auf Screening- und Kontrollarm und mit einem medianen Nachsorgeintervall von 6,3 Jahren, negativ [1, 2]. Dies führte in den folgenden Jahren zu einer ausführlichen Diskussion über Nutzen und Risiko eines Screening-Programms, da die Senkung der Mortalität am Prostatakarzinom gegen die damit verbundene Übertherapie – mit der Folge von Inkontinenz und Impotenz – aufgewogen wurde. Letztendlich führte die Diskussion im Jahre 2011 zu der Empfehlung der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde, von einem generellen Screening mithilfe von PSA abzuraten.
Fünf Jahre nach Veröffentlichung der Empfehlung durch die Gesundheitsbehörde berichteten die amerikanischen Kollegen auf dem letztjährigen amerikanischen Urologen-Kongress über die Auswirkungen dieser generellen Empfehlung. Es konnte über einen Zeitraum von 2008 bis 2013 eine kontinuierliche Abnahme der PSA-Bestimmungen in allen Bevölkerungsteilen der USA um 15–20% beobachtet werden [3]. Darüber hinaus zeigte sich eine insgesamt abnehmende Abklärung bei erhöhten PSA-Werten mithilfe einer Prostata-Stanzbiopsie, und wenn eine Abklärung erfolgte, geschah dies bei insgesamt höheren PSA-Werten. In der Summe wurden daher weniger Prostatabiopsien durchgeführt und infolgedessen vermehrt positive Biopsien und mehr Karzinome vom Gleason-Score 8 sowie metastasierte Erkrankungen diagnostiziert. Neben der Abnahme der diagnostischen Maßnahmen zur Detektion eines Prostatakarzinoms kam es auch zu einem Wandel in der Behandlung des Prostatakarzinoms. Insgesamt wurden weniger radikale Prostatektomien durchgeführt und dabei vermehrt aggressive Karzinome und ein deutlicher Anstieg von pT3- und organüberschreitenden Stadien gefunden [4, 5].
Hohe PSA-Kontamination im Kontrollarm der PLCO-Studie
Diese negative Entwicklung ist nicht zuletzt durch falsche Interpretation bzw. Darstellung der PLCO-Studie aus dem Jahre 2009 entstanden. Schon 2009 hatte man die hohe PSA-Kontamination in der Kontrollgruppe für den negativen Ausgang der Studie angeschuldigt. PSA-Kontamination bedeutet, dass bei Männern in der Kontrollgruppe, in der keine PSA-Bestimmungen erfolgen sollten, der Wert trotzdem bestimmt wurde und bei erhöhten Werten dann gegebenenfalls Konsequenzen gezogen wurden. Im statistischen Plan war eine maximale PSA-Kontamination in der Kontrollgruppe von 20% angenommen worden. Schon in der Primärpublikation von 2009 wurde die real gemessene PSA-Kontamination mit 38% angegeben [2], also fast doppelt so hoch wie angenommen. Im letzten Jahr haben die Kollegen nochmals alle Fragebögen hinsichtlich der PSA-Bestimmung in der Kontrollgruppe der PLCO-Studie ausgewertet und gezeigt, dass über 90% aller Männer in der Kontrollgruppe in den drei Jahren vor und/oder während der Studie eine PSA-Bestimmung durchführen ließen. Insgesamt wurden in der Kontrollgruppe mehr PSA-Bestimmungen durchgeführt als in der Screening-Gruppe, sodass man hier zwei gleiche Gruppen miteinander verglichen hatte und somit auch keine Unterschiede feststellen konnte [6].
Aus diesem Grund ist die amerikanische Studie zur Beurteilung des Effektes eines PSA-Screenings wertlos. Dem steht die europäische Screening-Studie als einzige aussagekräftige Studie zum PSA-Screening gegenüber, die in einer Folgepublikation aus dem Jahre 2014 nach 13-jähriger Nachbeobachtung eine relative Senkung der Mortalität am Prostatakarzinom in der Screening-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe von 29% beobachtet hat. Demnach müssen insgesamt 27 Prostatakarzinome diagnostiziert werden, um einen Mann vor dem Tod am Prostatakarzinom zu bewahren [7].
Den PSA-Test intelligenter einsetzen!
Der PSA-Test sollte allerdings viel intelligenter eingesetzt werden. Er kann als Prognosefaktor zur individuellen Einschätzung des Risikos, im Laufe seines Lebens ein Prostatakarzinom zu entwickeln, eingesetzt werden. Hierzu gibt es überzeugende Daten aus der Malmö-Studie aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Darin wurden 21.277 Männer über einen Zeitraum von 27 Jahren nachbeobachtet. Von ihnen entwickelten 1.408 ein klinisch manifestes Prostatakarzinom. Man korrelierte die Höhe des Ausgangs-PSA-Wertes aus den 1970er-Jahren mit der Wahrscheinlichkeit, nach 25 Jahren ein klinisch manifestes Prostatakarzinom zu entwickeln. Bei einem Ausgangs-PSA-Wert von < 0,7 ng/ml im Alter von 45–49 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit, im Verlauf von 25 Jahren an einem Prostatakarzinom zu versterben, bei 0,5%. Liegt der PSA-Wert in dieser Altersgruppe bei 1,6 ng/ml, so beträgt das Risiko, binnen 25 Jahren an einem Prostatakarzinom zu versterben, 5%. Vergleichbare Daten hat auch die PLCO-Studie gezeigt [8, 9].
Die schwedischen Kollegen verglichen im Rahmen einer Kohortenstudie die nicht gescreente Population aus der Malmö-Studie mit der gescreenten Population aus der Göteborg-Studie, die Teil der ERSPC-Studie war, hinsichtlich der Prostatakarzinom-Detektion und der Senkung der Mortalität am Prostatakarzinom. Über einen Zeitraum von 17 Jahren stieg die Wahrscheinlichkeit, ein Prostatakarzinom zu entdecken, in der gescreenten im Vergleich zur ungescreenten Population von 6% auf 15% an. Gleichzeitig wurde die Mortalität am Prostatakarzinom in der gescreenten im Vergleich zur ungescreenten Gruppe von 0,8% auf 0,2% gesenkt, d. h. in der gescreenten Population verstarben sieben Männer am Prostatakarzinom, in der nicht gescreenten Population hingegen im gleichen Zeitraum 29 Männer. Daraus haben die Kollegen eine „Number Needed to Diagnose“ von 16 errechnet, d. h. um einen Mann vor dem Prostatakarzinom-Tod zu bewahren, muss bei 16 Männern ein Prostatakarzinom diagnostiziert werden [10].
Ein Screening-Programm ist dann kosteneffektiv, wenn es deutlich vor dem 63. Lebensjahr beginnt. Startet man mit dem 55. Lebensjahr und misst alle zwei bis drei Jahre den PSA-Wert, so kostet ein durch das Screening gewonnenes qualitativ adäquates Lebensjahr ca. 50.000 Dollar. Dieser Betrag pro gewonnenes Lebensjahr wird in der anglo-amerikanischen Literatur als angemessen betrachtet. Bei einem Screening-Beginn nach dem 63. Lebensjahr steigen die Kosten auf 200.000–300.000 Dollar pro qualitativ adäquatem gewonnenem Lebensjahr [11].
Intelligent screenen mit PSA, …
Die aktuellste deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung des Prostatakarzinoms gibt die Empfehlungen zur Früherkennung (ein flächendeckendes Screening wird nicht empfohlen) wie folgt an:
Erste PSA-Bestimmung ab dem 45. Lebensjahr und einer Lebenserwartung über 10 Jahre; bei einem PSA-Wert von < 1 ng/ml sollte das Intervall der PSA-Bestimmungen vier Jahre betragen, bei einem PSA-Wert von 1–2 ng/ml zwei Jahre und bei einem PSA-Wert von über 2 ng/ml sollten sie jährlich erfolgen [12].
… multiparametrischem MRT und …
Ein zusätzliches multiparametrisches MRT (mpMRT) kann v. a. bei der Re-Biopsie zum Einsatz kommen. Dabei scheint die Kombination aus multiparametrischer MRT-Ultraschall-Fusionsbiopsie und Random-Biopsie die höchste Detektionsrate an Prostatakarzinomen zu haben (s. Beitrag von Tiemeyer und Peters, S. 98). Trotz der hohen Detektionsrate des mpMRT liegt die Rate an falsch positiven Resultaten bei PI-RADS-IV- und PI-RADS-V-Grad zwischen 30% und 50% [13].
… Risikokalkulatoren
Zusätzlich zum Einsatz des mpMRT können auch Risikokalkulatoren den intelligenten Einsatz der PSA-Bestimmung verbessern. Hierzu dient z. B. die ProstateCheck-App zur Abschätzung, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Patient in den folgenden Jahren ein Prostatakarzinom entwickeln kann. Aus den Parametern PSA-Wert, der Ratio aus freiem/totalem PSA und dem Alter des Patienten kann diese Wahrscheinlichkeit berechnet werden. Je nach ihrer Höhe ergeben sich daraus die Kontrollintervalle bzw. die Indikation zur Stanzbiopsie. Mithilfe derartiger Risikokalkulatoren kann man 20–30% der Biopsien einsparen, mit einer gleichzeitigen Detektionsrate an Hochrisiko-Prostatakarzinomen von 89% [14].
Die Schweizer Arbeitsgruppe um Franz Recker hat aus den verfügbaren Hilfsmitteln Vorschläge zur intelligenten Vorsorge als individuelles, risikoadaptiertes Prostata-PSA-Screening erarbeitet. Sie schlägt vor, ab dem 45. Lebensjahr, bei familiärer Belastung ab dem 40. Lebensjahr, einen PSA-Ausgangswert als „Baseline“ zu bestimmen. Danach sollte das Vorsorgeintervall gemäß der Risikoabschätzung mittels der Prostate-App auf Intervalle von einem bis zu maximal acht Jahren fixiert werden. Bei einem PSA-Wert von > 3 ng/ml sollte die Prostate-App diagnostisch eingesetzt werden. Liegt das kalkulierte Risiko, bei der Stanzbiopsie ein Prostatakarzinom zu finden, unter 11%, so erfolgt eine PSA-Nachkontrolle nach einem Jahr. Bei einem Prostatakarzinom-Risiko zwischen 11% und 20% sollte ein zusätzliches mpMRT durchgeführt werden. Falls dieses auffällig ist, sollte eine MRT-Ultraschall-Fusionsbiopsie angestrebt werden. Ist das MRT negativ, muss zusammen mit dem Patienten diskutiert werden, ob man eine Biopsie durchführen sollte oder eine Kontrolle nach einem Jahr erfolgen kann. Bei einem Prostatakarzinom-Risiko über 20% sollte eine systematische Random-Biopsie ggf. in Kombination mit einem mpMRT durchgeführt werden [15]. Dies führt in der Summe zu deutlich weniger Biopsien und zu einer vermehrten Detektion aggressiver Prostatakarzinome, die dann einer aktiven Behandlung zugeführt werden können.
Literatur
1. Schröder FH et al. Screening and prostate-cancer mortality in a randomized European study. N Engl J Med 2009; 360: 1320-8.
2. Andriole GL et al. Mortality results from a randomized prostate-cancer screening trial. N Engl J Med 2009; 360: 1310-9.
3. Fleshner K et al. The effect of the USPSTF PSA screening recommendation on prostate cancer incidence patterns in the USA. Nat Rev Urol 2017; 14: 26-37.
4. Jemal A et al. Prostate cancer incidence and PSA testing patterns in relation to USPSTF screening recommendations. J Am Med Ass 2015; 314: 2054-61.
5. Misra-Hebert AD et al. Prostate cancer screening practices in a large, integrated health system: 2007-2014. BJU Int 2017, Jan 31 [Epub ahead of print, DOI 10.1111/bju.13793].
6. Shoag JE et al. Reevaluating PSA testing rates in the PLCO trial. N Engl J Med 2016; 374: 1795-6.
7. Schröder FH et al. Screening and prostate cancer mortality: Results of the European Randomised Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) at 13 years of follow-up. Lancet 2014; 384: 2027-35.
8. Vickers AJ et al. Strategy for detection of prostate cancer based on relation between prostate specific antigen at age 40-55 and long term risk of metastasis: Case-control study. Br Med J 2013; 346: f2023.
9. Shoag J et al. Lethal prostate cancer in the PLCO cancer screening trial. Eur Urol 2016; 70: 2-5.
10. Carlsson S et al. Screening for prostate cancer starting at age 50-54 years. A population-based cohort study. Eur Urol 2017; 71: 46-52.
11. Heijnsdijk EA et al. Cost-effectiveness of prostate cancer screening: A simulation study based on ERSPC data. J Natl Cancer Inst 2014; 107: 366.
12. Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms. Langversion 4.0 – Dezember 2016: 31-43. AWMF-Register-Nummer 043/0220L.
13. Filson CP et al. Prostate cancer detection with magnetic resonance-ultrasound fusion biopsy: The role of systematic and targeted biopsies. Cancer 2016; 122: 884-92.
14. Randazzo M et al. A "PSA pyramid" for men with initial prostate-specific antigen ≤ 3 ng/ml: A plea for individualized prostate cancer screening. Eur Urol 2015; 68: 591-7.
15. Kwiatkowski M et al. Prostate cancer screening: And yet it moves! Asian J Androl 2015; 17: 437-8.