APL mit niedrigem/intermediärem Risiko: ATRA/ATO Standard in der Erstlinie
In der italienisch-deutschen Phase-III-Studie APL0406 war die Chemotherapie-freie Behandlung mit all-trans-Retinsäure (ATRA) und Arsentrioxid (ATO) bei Patienten mit akuter Promyelozytenleukämie (APL) mit Standardrisiko der Kombination aus ATRA und dem AIDA-Chemotherapieregime deutlich überlegen. Die Zulassung für ATO gilt deshalb mittlerweile auch für die Erstlinientherapie der APL mit Standardrisiko. Auch durch andere Studien wird diese Empfehlung bestätigt, wie beim Internationalen Symposium Acute Leukemias XVI klar wurde.
Der Vorteil der Chemotherapie-freien Behandlung der APL mit Standardrisiko gegenüber der Kombination aus ATRA und Chemotherapie nimmt mit längerer Beobachtungszeit immer mehr zu, so Francesco Lo-Coco, Rom. Nach einer Beobachtungszeit von median 34,4 Monaten hatten alle 77 Patienten bei Therapie mit dem ATRA-ATO–Regime eine Komplettremission erreicht (100%), mit dem Standardregime ATRA-AIDA2000 95% [1]. Die ereignisfreien Überlebensraten (EFS) nach zwei Jahren lagen bei 97% versus 86%. Bereits zu diesem Zeitpunkt war die Therapie mit ATRA plus ATO auch hinsichtlich des Gesamtüberlebens überlegen (p = 0,02).
Überlebensvorteil nimmt weiter zu
Der Unterschied bei ereignisfreiem und Gesamtüberleben war nach median 53 Monaten weiter zugunsten ATRA-ATO gewachsen: Ereignisfrei waren im Verumarm noch 96%, im AIDA-Arm nur 81% der Patienten am Leben (p = 0,003), beim Gesamtüberleben waren es 99% versus 88% (p = 0,006; [2]). Die Auswertung des gesamten Kollektivs – ab Januar 2010 waren insgesamt 266 APL-Patienten eingeschlossen worden – ergab nach median 40,6 Monaten Nachbeobachtung einen noch stärkeren Vorteil: Unter dem Chemotherapie-freien Protokoll waren unter diesem Regime noch 97,3% der Patienten ereignisfrei am Leben, unter
ATRA-Chemotherapie nur 80% (p < 0,001), bei den Gesamtüberlebensraten waren es 99,2% gegenüber 92,6% (p = 0,0073; [3]).
Starke antileukämische Wirkung bei guter Sicherheit
Das Chemotherapie-freie Regime ist nicht nur der besser verträgliche, sondern auch der potentere Ansatz, so Lo-Coco. Offenbar würden damit die leukämischen Stammzellen effektiver eliminiert: Im Gesamtkollektiv traten im ATRA-ATO-Arm nach Remission lediglich zwei Rezidive und ein Todesfall aufgrund einer H1N1-Pneumonie auf, im ATRA-Chemotherapie-Arm hingegen neben zwei molekularen Resistenzen nach dem dritten Konsolidierungszyklus insgesamt 15 Rezidive und fünf Todesfälle in Komplettremission [3].
Mechanistisch ist die bessere Wirksamkeit laut Hugues de Thé, Paris, durch eine synergistische Wirkung von ATRA und ATO zu erklären, die über unterschiedliche Mechanismen zur Degradation des PML-RARα-Fusionsproteins und so zu einem raschen und anhaltenden Ansprechen auf die Therapie führen. Unter dem ATRA-ATO-Regime wurden in der APL0406-Studie signifikant seltener Thrombozytopenien oder Neutropenien des Grads 3 oder 4 registriert, die länger als 15 Tage dauerten, so Lo-Coco. Dagegen wurde häufiger als im Vergleichsarm ein Transaminasenanstieg (44% vs. 3% unter dem AIDA-Regime) und eine Verlängerung der QTc-Zeit beobachtet (11% vs. 0,7%; [3]). Beide Nebenwirkungen waren aber im Verlauf der Konsolidierung reversibel. Im Chemotherapie-Arm kam es häufiger zu Störungen der Herzfunktion und zu gastrointestinalen Nebenwirkungen als im ATRA-ATO-Arm.
Direkte Unterstützung für ATRA plus ATO bei der APL lieferte die britische NCRI AML17-Studie, die von Nigel
Russell, Nottingham, vorgestellt wurde. Ein gegenüber der APL0406-Studie modifiziertes Therapieschema mit ATRA plus ATO war einer Therapie mit ATRA plus Idarubicin nach dem AIDA-Protokoll bei APL-Patienten aller Risikogruppen überlegen: Das galt nach median
53,4 Monaten gleichermaßen für ereignisfreies (93% vs. 79%; p = 0,007), hämatologisch rezidivfreies (97% vs. 87%; p = 0,02) und molekular rezidivfreies Überleben (98% vs. 77%; p < 0,0001; [4]). Beim Gesamtüberleben fiel der Unterschied mit 93% gegenüber 87% noch nicht statistisch signifikant aus – möglicherweise deshalb, weil in dieser Studie molekulare Rezidive durch ein engmaschiges Monitoring früh entdeckt und mit ATO in fast allen Fällen erfolgreich behandelt werden konnten, so Russell.
Josef Gulden
Literatur
1. Lo-Coco F et al. N Engl J Med. 2013; 369: 111-21.
2. Lo-Coco F et al. N Engl J Med. 2016; 374: 1197-8.
3. Platzbecker U et al. J Clin Oncol 2017; 35: 605-12.
4. Burnett AK et al. Lancet Oncol 2015; 16: 1295-1305.
International Symposium Acute Leukemias XVI vom 19.–22.02.2017 in München.