Die Pharmakotherapie in der Onkologie hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Gleichwohl reißt die Diskussion um die (frühe) Nutzenbewertung dieser neuen Medikamente im Rahmen des AMNOG-Prozesses nicht ab. Welche Endpunkte in klinischen Studien sind die richtigen? Was ist für Patienten relevant? Wie kann das Thema Lebensqualität abgebildet werden? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt des Fachsymposiums „Quo vadis: Patientenrelevante Endpunkte in der Onkologie“.
Die frühe Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurde 2010 mit dem Ziel eingeführt, den Zusatznutzen neuer Arzneimittel als Grundlage der Preisbildung zu verwenden. Das Verfahren ist aufwendig, umfasst Dossiers der pharmazeutischen Unternehmer von 1.000 und mehr Seiten, einen Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bzw. des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und eine Anhörung, an der auch die wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften beteiligt sind. Einer der großen Vorteile des Verfahrens liegt nach Ansicht von Experten darin, dass dabei wertvolle zusätzliche Informationen über neue Arzneimittel generiert werden. Doch es besteht auch Diskussionsbedarf: Aus Sicht von Dr. Johannes Bruns, dem Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG), müsse der AMNOG-Prozess als ein lernendes System verstanden werden. Es gehe darum, die klinische Perspektive mit der AMNOG-Perspektive zusammenzubringen. Ziel sei letztlich eine bessere und sichere Behandlung der Patienten.
Als patientenrelevante Faktoren definiert das fünfte Sozialgesetzbuch Mortalität, Morbidität und Lebensqualität und gibt der Nutzenbewertung in Deutschland damit die Richtung vor. Viele Patienten legen vor allem großen Wert auf Progressionsfreiheit. So werden Krebspatienten vor dem Therapiestart ausführlich über Nutzen und Nebenwirkungen neuer Arzneimittel aufgeklärt. Der Patient entscheidet, wie wichtig ihm die mögliche Verlängerung der Überlebenszeit gegenüber dem Risiko von Nebenwirkungen ist. Auch nach der Entscheidung für die Therapie mit einem neuen Arzneimittel kann er die Behandlung beim Auftreten belastender Nebenwirkungen jederzeit abbrechen.
Wenn der G-BA nach der Formel entschiede: Verlängerung der Überlebenszeit minus Nebenwirkungen = nicht belegter Zusatznutzen, dann würde in dem Verfahren die Patientensicht nicht ausreichend berücksichtigt. Für viele Patienten sei eine mögliche Verlängerung der Überlebenszeit die dominierende Motivation für eine Krebstherapie. Dafür seien Patienten auch bereit, Nebenwirkungen zumindest bis zu einem bestimmten Ausmaß in Kauf zu nehmen, so die Ansicht von Renate Haidinger, betroffene Medizinjournalistin, 1. Vorsitzende von Brustkrebs Deutschland e. V., Hohenbrunn. In diesem Zusammenhang gewinnen auch die Daten zu gesundheitsbezogener Lebensqualität zunehmend an Bedeutung. Prof. Dr. Anja Mehnert, Leiterin der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig, plädiert für eine konsequentere Erfassung der Lebensqualität in klinischen Studien. Besonders wichtig sei hier, dass das gewählte Testsystem die Fragestellung auch sicher abbilden könne.
Endpunktvielfalt und klare Standards
Insgesamt sprachen sich die Experten für eine größere Endpunktvielfalt aus. Denn die Verwendung der Endpunkte hängt stark von dem klinischen Problem ab. Nicht jeder Endpunkt passe zu jedem klinischen Problem, so die Ansicht von Prof. Dr. Diana Lüftner, Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO), Berlin. Fachgesellschaften wie DGHO oder DKG plädieren für eine stärker patientenzentrierte Nutzenbewertung neuer Arzneimittel mit höherer Gewichtung von Endpunkten wie Überlebenszeit gegenüber potenziellen, reversiblen Nebenwirkungen. „Compound endpoints“ seien besser als einzelne Endpunkte, so Prof. Dr. Michael Hallek, Köln, Vorsitzender des Vorstands der DGHO.
Auch eine frühzeitige Einbindung der Fachgesellschaften in die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln schätzen Experten als positiv und machbar ein. Dies gelte ebenso für die Berücksichtigung aktueller evidenzbasierter Leitlinien, die den aktuellen Stand des Wissens und zudem Forschungsfragen abbilden. Eine weitere Herausforderung ist die steigende Zahl von Verfahren für Orphan Drugs oder die Identifizierung von Patienten-Subgruppen – oft auf der Basis molekularer Faktoren. Jeder Mensch mit Krebs müsse vom derzeit verfügbaren Wissen der Menschheit profitieren – ohne Einschränkungen, so Hallek abschließend.
Fachsymposium „Quo vadis: Patientenrelevante Endpunkte in der Onkologie“ am 24.11.2016 in Berlin, veranstaltet in einer Kooperation von Springer Medizin, Pfizer und MSD unter der Schirmherrschaft der DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie), der DKG (Deutsche Krebsgesellschaft) und des Netzwerks gegen Darmkrebs, unterstützt von Univadis.