Bereits Anfang Dezember 2016 hat die Europäische Kommission mit dem BCL-2-Inhibitor Venetoclax ein neues Therapieprinzip zur Behandlung von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie mit besonders hohem Risiko zugelassen: Dazu zählen Patienten mit 17p-Deletion (del17p) oder TP53-Mutation, die für eine Behandlung mit einem Inhibitor des B-Zell-Rezeptor(BCR)-Signalwegs nicht geeignet sind oder darauf nicht ansprechen sowie Patienten ohne Vorliegen dieser Mutationen, bei denen eine Chemoimmuntherapie ebenso wie ein BCR-Signalweg-Inhibitor versagt haben.
Diese CLL-Patienten sprechen kaum auf die bisher verfügbaren Therapieschemata an und haben eine schlechte Prognose, so Ingo Schwaner, Berlin. Das Erreichen einer kompletten Remission, möglicherweise sogar unter der Nachweisgrenze für eine minimale Resterkrankung (MRD), ist für sie von Bedeutung, weil eine MRD-Negativität bei der CLL nachweislich mit einer Verlängerung von progressionsfreiem und Gesamtüberleben assoziiert ist [1].
Der orale BCL‐2-Inhibitor Venetoclax (Venclyxto®) bindet selektiv an das antiapoptotische BCL-2-Protein, das bei der CLL überexprimiert ist und treibt durch dessen Hemmung die Zelle in die Apoptose. Der Wirkmechanismus von Venetoclax ist völlig unabhängig vom BCR-Signalweg und ist daher auch aktiv, wenn dessen Hemmung nicht mehr funktioniert.
Zwei Studien relevant für Zulassung
Die Zulassung von Venetoclax beruht auf zwei multizentrischen, einarmigen Phase‐II‐Studien, die Stephan Stilgenbauer, Ulm, vorstellte:
◆ In der ersten Studie erzielten 107 Patienten mit vorbehandelter CLL und del17p nach median zwölf Monaten eine Gesamtansprechrate von 79%, darunter 7% komplette und etwa 70% partielle Remissionen [2]. 27% der Responder waren im peripheren Blut, einige sogar im Knochenmark MRD-negativ. Ein solches Ansprechen wurde bei Patienten mit rezidivierender oder refraktärer CLL mit del17p bislang noch nicht beobachtet.
◆ In der zweiten Studie erhielten 64 CLL‐Patienten, die nach Behandlung mit einem Inhibitor des BCR-Signalwegs (Ibrutinib oder Idelalisib) rezidiviert oder refraktär waren, Venetoclax. Auch für Patienten dieser Art ist die Gesamtansprechrate von 64% beispiellos, so Stilgenbauer [3]. Dass die Anwendung des BCL-2-Inhibitors sicher ist, wurde neben den beiden Zulassungsstudien auch in einer gepoolten Analyse von insgesamt 296 Patienten mit vorbehandelter CLL aus mehreren Phase-I- und Phase-II-Studien bestätigt [4].
Langsam aufdosieren, um Tumorlyse-Syndrom zu vermeiden
Fitte und unfitte Patienten profitieren gleichermaßen von Venetoclax, so Clemens-Martin Wendtner, München. Eine Empfehlung für den Einsatz von Venetoclax in der zugelassenen Indikation findet sich auch bereits in der soeben aktualisierten Onkopedia-Leitlinie zur CLL der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO; [5]).
Venetoclax hat eine akzeptable Toxizität, die auch in der Langzeitbehandlung gut handhabbar ist, so Wendtner. Die häufigsten Grad-3/4-Nebenwirkungen sind Neutropenie, Anämie und Thrombozytopenie, aber schwere Infektionen treten selten auf. Wendtner empfiehlt, anstelle einer Dosisreduktion bei schweren Neutropenien eine G-CSF-Prophylaxe durchzuführen.
Wegen der extremen Wirksamkeit von Venetoclax kann es innerhalb von Stunden zum Absterben vieler Tumorzellen kommen. Um das Eintreten des dadurch bedingten, gefürchteten Tumorlyse-Syndroms zu vermeiden, muss die Substanz über mehrere Wochen auf die finale Dosis von 400 mg täglich aufdosiert werden [6]. Bei Patienten mit hoher Tumorlast bzw. hohen Leukozytenzahlen kann man die Aufdosierung sicherheitshalber stationär vornehmen, bei niedrigem und intermediärem Risiko ist die ambulante Behandlung kein Problem.
Als Kombinationspartner dürfte Venetoclax in intelligenten neuen Therapiestrategien eine große Zukunft haben, so Wendtner. Insbesondere hat er die Hoffnung, mit Kombinationen zielgerichteter Therapien in der Erstlinienbehandlung der CLL in absehbarer Zeit ganz von der Chemotherapie wegzukommen. Venetoclax mit seinem Potenzial, bereits in Monotherapie einen hohen Anteil an Komplettremissionen und sogar MRD-Freiheit zu erreichen, würde sich von selbst als tragende Komponente solcher Kombinationen anbieten, mit denen sich dann hoffentlich langanhaltende therapiefreie Remissionen erreichen lassen.
Josef Gulden
1. Böttcher S et al. J Clin Oncol 2012; 30: 980-8.
2. Stilgenbauer S et al. Lancet Oncol 2016;17: 768-78.
3. Jones J et al. ASH 2016, Abstract #637.
4. Seymour JF et al. ASH 2016, Abstract #4395.
5.https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/chronische-lymphatische-leukaemie-cll/@@view/html/index.html.
6. Fachinformation Venclyxto®, Stand: Dezember 2016.
Einführungspressekonferenz „Venetoclax (Venclyxto®) für Hochrisiko-Patienten mit Chronischer Lymphatischer Leukämie (CLL)“ am 19.01.2017 in Frankfurt/Main, veranstaltet von AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG, Wiesbaden.