Prostatektomie: Harninkontinenz nach Prostataoperation

Bis zu 30% der Männer leiden nach Prostatektomie an einer persistierenden iatrogenen Belastungsinkontinenz, die auch noch zwei Jahre nach dem Eingriff bei 5–10% Prozent der Patienten auftreten kann. Wie kann ihnen effizient geholfen werden?

Circa 30.000 radikale Prostatektomien (RPE) werden jedes Jahr in Deutschland mit guten onkologischen und zufriedenstellenden funktionellen Ergebnissen durchgeführt. Dennoch kann die postoperative Lebensqualität durch Harninkontinenz und erektile Dysfunktion (ED) erheblich beeinträchtigt sein – wobei die Inkontinenz für die Lebensqualität von größerer Bedeutung ist als die ED. Aber auch nach TURP, Adenom-Enukleation, Urethrotomie (Harnröhrenschlitzungen) etc. kann eine Belastungsinkontinenz („Stressinkontinenz“) auftreten. Ursachen wie neurogene Veränderungen und Beckentraumata mit Schließmuskelschaden sind im Vergleich dazu sehr selten. Jährlich kommen rund 4.500 Männer neu hinzu, die Dunkelziffer ist jedoch hoch.
So kann beim Mann meist noch der Harnstrahl durch die unbeschädigte quergestreifte Verschlussmuskulatur unterbrochen werden. Kurzfristige Belastungen wie Husten oder Niesen führen – anders als bei der Frau – nicht zwangsläufig zu einem Urinverlust. Dieser tritt beim Mann typischerweise erst nach längerer körperlicher Belastung auf, bei der die quergestreifte Verschlussmuskulatur ermüdet. Die Patienten berichten daher häufig über eine Verschlechterung der Symptomatik am Nachmittag und Abend.

Das DOMINO-Projekt

Das umfangreiche Wissen zur weiblichen Belastungsinkontinenz lässt sich nicht ohne weiteres auf die des Mannes übertragen. Da ziemlich wenig bekannt ist, wie und mit welchem Ergebnis Männer mit Belastungsinkontinenz behandelt werden, wurde von PD Dr. Ricarda Bauer, Leiterin des Kontinenz-Zentrums an der Urologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, das industrie­unabhängige DOMINO-Projekt (Debates on Male Incontinence) ins Leben gerufen – als erstes Projekt, wie bzw. mit welchem Ergebnis Männer mit Belastungsinkontinenz behandelt werden. Ziel ist, die Versorgung von Männern mit postoperativer Belastungsinkontinenz zu verbessern: Eingeschlossen sind 1.047 Patienten an unterschiedlichen Zentren, die folgende Therapien erhielten: Artifizieller Sphinkter, adjustierbare kompressive Schlingensysteme (Reemex, Argus/
ArgusT/Phorbas, ATOMS, Pro-Act) sowie funktionelle Schlingensysteme (AdVanceXP), Bulking Agents.
Erste Ergebnisse: Patienten mit peno-skrotal implantiertem AMS 800-System haben signifikant häufiger eine Explantation als jene mit perinealer Implantation oder mit Doppel-Cuff; kein signifikanter Unterschied bestand bei Infektionen und Explantationsraten zwischen AMS 800 (ca. 1.000 Implantationen/Jahr) mit und ohne InhibiZone. Die Datenauswertung zu Frühkomplikationen ist abgeschlossen, die zu funktionellen Ergebnissen wird für das Frühjahr 2016 erwartet.

Nutzen-Risiko-Abwägung für eine geeignete Therapie erforderlich

Zur Behandlung der Inkontinenz nach Prostataoperation steht ein breites Spektrum an konservativen und operativen Therapien zur Verfügung, doch wurde beim Kontinenz-Kongress für eine „individualisierte Therapie“ plädiert: Nicht jeder Mann mit Belastungsinkontinenz soll dieselbe Behandlung bekommen, sondern jeder Patient soll entsprechend seiner Therapiewünsche, des Ausmaßes der Inkontinenz und des Schließmuskelschadens sowie seiner Begleiterkrankungen behandelt werden. Jedem Patienten sollte die Behandlung zukommen, mit der er eine hohe Chance hat, mit einem möglichst geringen Risiko für Komplikationen kontinent zu werden.
Zur Basisversorgung zählen Kondom-Urinal, Vorlagen- oder Windelversorgung, gegebenenfalls ein suprapubischer Dauerkatheter. Primäre Therapie der postoperativen Belastungsinkontinenz des Mannes ist die Physiotherapie. Dabei nimmt das Beckenboden-Training eine zentrale Rolle zur Sphinkterstärkung ein; Biofeedback kann die Effizienz der Übungen steigern. Zusätzlich können Elektro- und Magnetfeldstimulation zwar die Frühkontinenz verbessern, doch auf Langzeitergebnisse haben sie nur einen geringen Einfluss.
Bei gemischter Belastungs- und Drang­inkontinenz kann eine anticholinerge Medikation die Beschwerden lindern. Der Serotonin- und Noradrenalin-Reuptake-Hemmer Duloxetin ist für Männer nicht zugelassen und hat sich als „Off-label“-Therapie nur bei milder Belastungsinkontinenz als sinnvoll erwiesen. Dabei wurde die Substanz von Männern besser vertragen als von Frauen.
Auf der Suche nach minimal invasiven Therapieformen setzt man häufig sogenannte „Bulking Agents“ ein: Sub­stanzen werden transurethral mithilfe spezieller Injektionsnadeln im Sphinkterbereich unter die Schleimhaut injiziert, um den Widerstand der Harnröhre zu erhöhen. Teflonpaste sollte aufgrund der Migration der Teflonpartikel nicht mehr verwendet werden. Weitere Materialien sind Kollagen, Silikon, Silikon-Mikroballons sowie Bioglas. Alle bewirkten immer nur eine kurzfristige Besserung der Symptome, es kann zu Granulom-Bildung und allergischen Reaktionen kommen: „Bulking Agents“ sollten also nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden!
Die intravesikale Injektion von Botulinumtoxin A als Therapeutikum gegen eine Überaktivität des Harnblasenmuskels hilft eher bei einer Reizblase (z. B. infolge von benigner Prostatahyperplasie oder von TURP). Die Wirkung hält sechs bis neun Monate an.
Ist die Inkontinenz vor allem oder ausschließlich auf eine Drangsymptomatik zurückzuführen, ist die sakrale Neuromodulation (SNM, InterStim) eine gute Option. Bei der bei prostatektomierten Männern hauptsächlich auftretenden Belastungsinkontinenz kann die SNM allerdings nichts ausrichten.
Bei nicht ausreichender Besserung unter konservativer Therapie wird eine Operation empfohlen. Dafür stehen diverse Therapieoptionen zur Verfügung: Künstliche Schließmuskel, adjustierbare und funktionelle Schlingen- sowie Ballonsysteme.
Schlingensysteme, bei denen die Harnröhre mehr oder weniger eingeengt und in ihre frühere Position verlagert wird, unterscheiden sich im Material und darin, ob eine spätere Adjustierung möglich ist oder nicht. Zwei Systeme haben sich Untersuchungen zufolge als sicher und effektiv erwiesen: Eine adjustierbare, zum Schambein ziehende Schlinge und ein durch die Sitzbeinöffnung geführtes (transobturatorisches) Band. Ihr Einsatz empfiehlt sich allerdings nicht bei schwerer Belastungsinkontinenz.
Goldstandard ist hier der artifizielle Sphinkter, dessen Wirksamkeit und Sicherheit seit Langem belegt ist (Manschette um die Harnröhre, kleiner Ballon unter der Haut und Pumpe im Hodensack, mit deren Hilfe der Patient zum Wasserlassen Flüssigkeit von der Manschette in den Ballon pumpen kann). Die Kontinenzrate liegt damit bei 60–93%.

Helga Vollmer


27. Jahreskongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft am 28. November 2015 in München.