CLL: BCL-2-Inhibition weckt große Hoffnungen
Die therapeutischen Möglichkeiten für die chronische lymphatische Leukämie (CLL) haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Die neueste, kurz vor der Zulassung stehende Option ist der BCL2-Inhibitor Venetoclax, der bei rezidivierter oder refraktärer Erkrankung erstaunliche Wirksamkeit zeigt.
Venetoclax ist ein oraler Inhibitor des BCL-2-Proteins, der sich in klinischer Entwicklung befindet. BCL-2 wird in Krebszellen häufig überexprimiert und unterstützt diese Zellen im Kampf gegen die Apoptose. Durch die Hemmung von BCL-2, so Clemens-Martin Wendtner, München, induziert Venetoclax letztlich den programmierten Zelltod. Klinisch führt das zu einem schnellen, tiefen und langanhaltenden Ansprechen und einer starken Zytoreduktion, wie sie in diesem Ausmaß bisher mit keiner anderen Substanz erreicht werden konnte. Wegen dieser starken Aktivität, die innerhalb von wenigen Stunden eine massive Tumorlyse bewirken kann, muss man über mehrere Wochen auf die finale Dosis von 400 mg/d aufdosieren, um einem lebensbedrohlichen Tumorlyse-Syndrom vorzubeugen. Bei Patienten mit hohen Leukozytenzahlen sei es deshalb ratsam, die Behandlung initial stationär zu beginnen, so Wendtner, während sie bei niedriger Tumorlast ambulant vorgenommen werden kann.
Hohe Ansprech- und Überlebensraten
In einer internationalen Phase‐II‐Studie, die beim Kongress der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2015 in Orlando erstmals vorgestellt wurde [1], waren 107 Hochrisikopatienten mit rezidivierter oder refraktärer (R/R) CLL mit 17p‐Deletion mit Venetoclax in Monotherapie behandelt worden. Die Gesamtansprechrate (ORR) lag in diesem Kollektiv bei erstaunlichen 79,4%, darunter waren auch Komplettremissionen. Die Medianwerte für die Dauer des Ansprechens und für das progressionsfreie Überleben sind noch nicht erreicht, die 12-Monats-Raten für progressionsfreies und Gesamtüberleben lagen bei 72,0% bzw. 86,7%. Bei etwa 10% aller Patienten und bei ungefähr jedem dritten derjenigen mit klinischer Komplettremission war außerdem keine minimale Resterkrankung (MRD) mehr nachweisbar, ein Ergebnis, das in einem solchen Hochrisiko-Kollektiv bisher beispiellos ist.
Die Toxizität von Venetoclax war akzeptabel. Die häufigsten Grad‐3/4‐Nebenwirkungen waren hämatologischer Natur (Neutropenie 40%, Anämie 18% und Thrombozytopenie 15%), aber schwere Infektionen waren nur bei 2% der Patienten zu beobachten. Dennoch, so Wendtner, sollte man unter der Venetoclax-Therapie eine G-CSF-Prophylaxe durchführen
Beim Kongress der European Hematology Association (EHA) im Sommer 2016 in Kopenhagen wurde eine weitere Phase-II-Studie vorgestellt, in der Patienten, die nach Behandlung mit den beiden Kinaseinhibitoren Ibrutinib oder Idelalisib Rezidive erlitten hatten oder gegen die beiden Substanzen refraktär waren, mit Venetoclax behandelt wurden [2]. Etwa 70% der mit Ibrutinib vorbehandelten Patienten erzielten mit Venetoclax wieder eine Remission, so Wendtner, in dem Arm mit Idelalisib-Vorbehandlung waren es mit knapp 50% weniger, aber in diesem Arm ist auch die Beobachtungszeit noch kürzer. Erstaunlicherweise wurde auch hier rund ein Viertel der Patienten MRD-negativ (nach 24 Wochen acht von 34 Patienten, in den folgenden Wochen kamen noch fünf weitere hinzu).
Zulassung in Kürze zu erwarten
Die EU-Zulassung für Venetoclax ist laut Wendtner bis Ende 2016 oder Anfang 2017 zu erwarten. Sie wird seiner Meinung nach eine bedeutsame Erweiterung des therapeutischen Spektrums bei rezidivierter oder refraktärer CLL darstellen und in der Folge vermutlich zügig in die Onkopedia-Leitlinie aufgenommen werden [3]. Auch die CLL-Studiengruppe evaluiert Venetoclax in einigen ihrer laufenden Studien, in denen regelmäßig die MRD bestimmt wird, um bei einem Verschwinden unter die Nachweisgrenze die Behandlung abzubrechen und also die Behandlungsdauer zu begrenzen. Zielgerichtete Therapien werden Wendtner zufolge in Zukunft sehr wahrscheinlich zunehmend die Chemoimmuntherapie als Erstlinienbehandlung der CLL ablösen. Es werde vermutlich Chemotherapie-freie Kombinationen aus verschiedenen zielgerichteten Substanzen oder aus einer solchen Substanz mit einem Antikörper geben. Venetoclax werde hier mutmaßlich eine wichtige Rolle spielen, weil es bereits in Monotherapie bei einem Teil der Patienten zu MRD-Negativität führt.
Josef Gulden
Literatur
1. Stilgenbauer S et al. Lancet Oncol 2016; 17: 768-78.
2. Coutre S et al. EHA 2016; Abstract P599
3. www.onkopedia.com/de/onkopedia/
guidelines; aufgerufen am 09.08.2016
34. Münchener Fachpresse-Workshop am 27.7.2016 in München, veranstaltet von POMME-med GmbH, München.