State of the Art beim Management lokalisierter Nierenzellkarzinome

Kidney Cancer Symposium 2016, Barcelona

Alljährlich veranstaltet die 1998 von dem damaligen Nierenkrebs-Patienten Eugene P. Schonfeld gegründete Kidney Cancer Association ein zweitägiges europäisches Symposium, bei dem Spezialisten aus ganz Europa offene Fragen und Behandlungsstrategien bei der Bekämpfung von Nierentumoren diskutieren. Bei einer Sitzung der diesjährigen Veranstaltung in Barcelona beschäftigten sich Chirurgen und Onkologen interdisziplinär mit verschiedenen Aspekten der Behandlung lokalisierter Nierenzellkarzinome.

Diagnose und chirurgische Strategien bei atypischen Nierenzysten

Atypische Nierenzysten werden seit 1986 nach Bosniak eingeteilt, so Maria Cova, Triest, um komplexe zystische Läsionen danach zu differenzieren, ob sie einer chirurgischen Intervention bedürfen oder nicht [1]. Die Klassifikation umfasst fünf Kategorien, von denen die Kategorien I und II onkologisch nicht bemerkenswert sind. Kategorie IIF enthält im Gegensatz zu Kategorie II mäßig komplexe Zysten, die möglicherweise benigne sind, aber verdächtige Merkmale aufweisen und eines regelmäßigen Follow-up (daher IIF) bedürfen, um Veränderungen in ihrem Charakter registrieren zu können. Kategorie III ist gekennzeichnet durch nicht genau bestimmbare zystische Massen mit gleichmäßiger Wandverdickung oder Unregelmäßigkeiten in Wand und Septen, die im CT verstärkt werden, und Kategorie IV beschreibt wahrscheinlich maligne Tumoren mit nicht einheitlicher Verdickung von Wänden und Septen sowie kontrastverstärkten Knoten und soliden Komponenten.
Die Bosniak-Klassifikation wurde für die Computertomografie entwickelt, kann aber auch auf Kernspintomografie [2] und kontrastverstärkten Ultraschall angewendet werden (z. B. [3]). Insbesondere der Ultraschall weist große Sensitivität für hypovaskuläre Läsionen auf, so Frau Cova, und hat den Vorteil, keine potenziell nephrotoxischen Kontrastmittel zu benötigen und keine Strahlenbelastung zu verursachen; daher kann er beliebig oft wiederholt werden. Er hat allerdings Limitationen, wenn es um kalzifizierte Läsionen und sehr große Zysten geht, und ein Staging ist damit nicht möglich. Die Kernspintomografie eignet sich gut bei Vorliegen von Kalzifizierungen, und das CT ist die beste Methode für ein Staging, weil es die ausgedehntesten Darstellungen erlaubt. In schwierigen Fällen, so Frau Cova, wird man mehr als eine Methode einsetzen müssen.

Partielle Nephrektomie bei Typ III- und IV-Zysten

Zum klinischen Management von atypischen Nierenzysten gibt es wenige Studien, so Vincenzo Ficarra, Udine. In einer Untersuchung waren von 32 solchen Läsionen fünf im weiteren Follow-up progredient (zwei Nierenzellkarzinome, eine chronisch-inflammatorische Läsion, zwei mit fortgesetztem Follow-up), was die Notwendigkeit der weiteren Kontrolle unterstreicht [4]. Zystische Läsionen vom Bosniak-Typ III und IV sollten reseziert werden; eine partielle Nephrektomie ist bei solchen Tumoren zu empfehlen – unabhängig von ihrer Größe. Bis zu 20% aller renalen Tumoren, die als geeignet für eine partielle Nephrektomie angesehen werden, können im Übrigen zystische Komponenten enthalten. Die besondere Herausforderung dabei besteht in der Vermeidung einer Ruptur der Zystenwand. In einer globalen Studie zur Roboter-assistierten partiellen Nephrektomie wiesen von 465 Patienten 54 (12%) zystische Tumoren auf [5]. In erfahrenen Händen sind traditionelle ebenso wie Roboter-assistierte laparoskopische Verfahren jedenfalls validierte Techniken, so Ficarra.

Neoadjuvante Therapie lokalisierter Nierenzell­karzinome?

Die neoadjuvante Therapie lokal begrenzter Nierenzellkarzinome ist derzeit noch kein Standard – daran ließ Jean-Jacques Patard, Rennes, keinen Zweifel: Die neoadjuvante Behandlung großer, auf das Organ begrenzter Tumoren gestattet zwar eine Reduktion der maximalen Tumorgröße um bis zu 20%, aber wie häufig dadurch erst eine partielle Ne­phrektomie ermöglicht wird, ist unklar, denn eine solche ist durch erfahrene Operateure auch bei einem signifikanten Anteil großer Tumoren (bis zu 7 cm Durchmesser) möglich. Geht man allerdings große Tumoren chirurgisch konservativ an, stellt sich die Frage, ob nicht der Anteil von Tumoren mit pT3 oder einen Grading G4 unterschätzt wird, bei denen der Ansatz der partiellen Nephrektomie fragwürdig sein könnte. In der Phase-II-Studie AXIPAN (AXItinib for downstaging large renal tumor not primarily suitable for PArtial Nephrectomy) jedoch konnte durch den neoadjuvanten Einsatz von Axitinib bei cT2-Tumoren in fast 70% der Fälle ein Downstaging nach cT1 erreicht werden, sodass diese Läsionen Nephron-sparend operiert werden konnten [6].
Vorderhand bleibt die partielle Ne­phrektomie auch nach einer Reduktion der Tumorgröße durch neoadjuvante Therapie eine hochkomplexe Angelegenheit, so Patard, die ausreichender chirurgischer Erfahrung bedarf und eine sorgfältige Unterrichtung des Patienten über mögliche Morbiditäten, die mit diesen Verfahren einhergehen können, erfordert.

Präoperativer Test

Bernard Escudier, Villejuif, stellte fest, dass die neoadjuvante Therapie auch bei lokal fortgeschrittenen Nierenzellkarzinomen (≥ T3) derzeit kein Standard ist. Sie ist gleichwohl möglich und relativ sicher, auch wenn es bei der Operation nach Anwendung anti-angiogener Medikamente in etwa einem Viertel der Fälle zu Wundheilungskomplikationen kommen kann [7]. Das Mortalitätsrisiko wurde in einer multivariaten Analyse durch die neoadjuvante Therapie nicht-signifikant um 29% reduziert (Hazard Ratio 0,71; p = 0,125; [7]). In einer großen Serie von 168 Patienten mit median 9,6 cm großen Tumoren konnte durch die präoperative medikamentöse Therapie eine moderate Tumorschrumpfung um median 7,1% erreicht werden [8]. Die Patienten, die binnen 60 Tagen mit einer mindestens 10-prozentigen Reduktion der Tumorgröße reagierten, erreichten insgesamt eine Abnahme um median 24,5% – nach median 175 Tagen Behandlung [8].
Escudiers Fazit: Die Schrumpfung größerer Tumoren beträgt für gewöhnlich weniger als 10%, und es gibt bisher keinen nachweisbaren Einfluss auf die Prognose, insbesondere auf das Gesamtüberleben. Die neoadjuvante Therapie kann allerdings als ein präoperativer Test angewendet werden, um eine Operation den Patienten anbieten zu können, die am wahrscheinlichsten davon profitieren werden.
Ist Beobachtung eine

Option für lokalisierte Tumoren > 4 cm?

In den EAU-Leitlinien wird die Operation empfohlen, um bei lokalisierten Nierenzellkarzinomen möglichst eine Heilung zu erreichen. In welchen Fällen könnte die bloße Beobachtung kleinerer Tumoren (> 4 cm) eine Option sein? In einer Metaanalyse von 18 Studien mit insgesamt 880 Patienten mit 936 Nierentumoren, so Alessandro Volpe, Novara, betrug deren mittlere Wachstumsrate etwa 0,31 cm/Jahr, und bei lediglich 18 der Patienten (2%) wurde nach median 40 Monaten eine Metastasierung beobachtet [9]. Bei kleineren Tumoren (< 4 cm) ist die Wachstumsrate (0,13 cm/Jahr; [10]) und auch die Aggressivität in der Regel geringer [11]. Die EAU-Leitlinie sieht daher vor, älteren und/oder komorbiden Patienten mit kleinen Tumoren, begrenzter Lebenserwartung und erhöhtem perioperativem Risiko auch die Möglichkeiten der aktiven Überwachung, der Radiofrequenzablation oder der Kryoablation anzubieten.
Richtig angewendete aktive Überwachungsstrategien minimieren das Risiko einer Metastasierung und der krankheitsspezifischen Mortalität, wenn ein vorausschauendes Management angewendet wird, so Volpe: adäquate Patientenselektion, ein striktes Follow-up-Protokoll mit qualitativ hochwertiger Bildgebung und die rechtzeitige Intervention im Fall einer Progression. Die aktive Überwachung sollte bei 3–4 cm großen renalen Tumoren für Patienten mit hohem Mortalitätsrisiko reserviert werden, und Arzt und Patient sollten sich des erhöhten Progressionsrisikos bewusst sein. Ein zuwartendes Management größerer Tumoren (> 4 cm) sollte nur bei Patienten stattfinden, die Kontraindikationen für eine Operation aufweisen oder diese verweigern. Die radiologische Nachbeobachtung kann dann weniger stringent gehandhabt werden (hauptsächlich im Fall eines symptomatischen Progresses). Darüber hinaus kann die perkutane Biopsie dazu dienen, Patienten für eine aktive Überwachung zu selektieren (aufgrund von Malignität, Grading, molekularen und genetischen Markern im Tumor; [12]).
Die Langzeitergebnisse prospektiver Studien zur aktiven Überwachung von vorab biopsierten Tumoren wie der soeben gestarteten EASE-Studie (European Active SurveillancE of renal cell carcinoma; [13]) sind abzuwarten, um die Rolle dieses Ansatzes im Management von Nierentumoren besser zu definieren.

Klinische Erfahrung und multidisziplinäre Diskussion

Die Selektion der Patienten für eine aktive Überwachung bleibt eine kritische Frage, so Manuela Schmidinger, Wien. Eine immer frühere Diagnose von Nierentumoren korreliert interessanterweise nicht mit einer Abnahme der Mortalität – das suggeriert, dass vor allem bei älteren oder nicht fitten Patienten Komorbiditäten als mit dem Tumor konkurrierende Todesursachen auftreten. Das wird auch durch die Befunde älterer Autopsie-Serien gestützt, wonach viele Patienten mit und nicht an (vor allem klarzelligen) Nierenzellkarzinomen sterben – kompatibel mit der Hypothese, dass diese Tumoren häufig langsam wachsen und nicht zur Metastasierung neigen. Die wichtigste Frage ist daher, ob ein gegebener Patient eher an seinem Nierentumor oder mit ihm, d. h. aufgrund einer anderen Ursache sterben wird.
Komorbiditäts-Scores können einen Anhalt für das Risiko geben, aufgrund anderer Ursachen zu sterben, aber sie haben starke Limitationen, so Frau Schmidinger: Studien, in denen solche Scores verwendet wurden, waren meist retro­spektiv, hatten ein relativ kurzes Follow-up und haben sich nicht mit aggressiven Histologien befasst. Auch können wir nicht immer vorhersagen, wie Komorbiditäten sich mit der Zeit entwickeln, wenn ein individueller Patient angemessen behandelt wird. So berücksichtigt etwa ein Score, der 1987 entwickelt wurde wie der Charlson Comorbidity Index [14], nicht die mittlerweile eingetretenen medizinischen Fortschritte und kann daher häufig keine korrekte Abschätzung der Lebenserwartung im Hinblick auf eine spezielle Komorbidität mehr geben (beispielsweise hat sich die Prognose von AIDS zwischen 1987 und 2016 fundamental gewandelt). Um das Risiko eines Patienten abzuschätzen, an einer Komorbidität zu versterben, sind deshalb klinische Erfahrung und multidisziplinäre Diskussionen möglicherweise hilfreicher als Scores.
Die wichtigste Frage sollte daher sein: Wie kann man einen Patienten fitter für die Operation und für die Zeit danach machen? Denn es könnte beispielsweise sein, dass verschiedene Komorbiditäten bisher nur nicht adäquat behandelt wurden und dass man die Fitness des Patienten durch eine solche Behandlung erheblich verbessern kann. Daten zur aktiven Überwachung von Tumoren mit einer Größe von > 4 cm können nützlich sein, um den besten Zeitpunkt für die Operation zu bestimmen, aber es gibt bisher zu wenig Evidenz, so Frau Schmidinger, um eine Standardempfehlung dafür auszusprechen – das Risiko einer Untertherapie ist ihrer Meinung nach zu groß.

Nicht-chirurgische lokale Behandlungsverfahren

Wann sind nicht-chirurgische interventionelle Verfahren zur Behandlung von lokalisierten Nierentumoren indiziert? Wenn ein lokalisierter renaler Tumor als therapiebedürftig eingestuft wird, sollte er im Regelfall immer mittels partieller Nephrektomie behandelt werden, so Michael Staehler, München: Diese ist gegenüber nicht-chirurgischen Methoden eindeutig überlegen, was die langfristige Mortalität angeht [15]. Auch in Metaanalysen haben die Radiofrequenzablation [16] und Kryoablation [17] deutlich schlechtere Langzeit­ergebnisse als die partielle Nephrektomie.
Eine nicht-chirurgische Behandlung ist uneingeschränkt lediglich bei pT1a-Tumoren zu empfehlen; bei pT1b-Tumoren und beim Vorliegen positiver Lymphknoten und von Fernmetastasen – sofern hier überhaupt noch eine Intervention indiziert ist – kommt sie unter bestimmten Umständen infrage, so Staehler:
- Bei Patienten, die zu alt oder nicht fit genug für eine Operation sind,
- bei hereditären Tumor-Syndromen (von Hippel-Lindau-Syndrom, Birt-Hogg-Dubé-Syndrom, PEComas),
- bei benignen Tumoren wie einem Angiomyolipom,
- in Situationen und Abteilungen, in denen ein chirurgisches Vorgehen nicht sicher möglich ist und
- bei Nephrokalzinose.
Die einzelnen Verfahren unterscheiden sich etwas hinsichtlich ihrer Wirksamkeit: Die lokalen Kontrollraten liegen für die Kryoablation zwischen 60 und 85%, für die Radiofrequenzablation (RFA)zwischen 85 und 92% und für die stereotaktische Radiochirurgie (Cyberknife) bei 96–98%. Das Risiko für eine nachfolgende Metastasierung wird für die Kryoablation auf 8–18% und für die RFA auf 0,5–8% geschätzt, für das Cyberknife gibt es hier keine Zahlen.
Die Beratung eines Patienten über den Einsatz von Ablationsverfahren sollte eine ausgewogene Diskussion verschiedener Aspekte beinhalten, so Staehler: Das erhöhte Risiko für ein Lokalrezidiv im Vergleich zur operativen Exzision, die potenzielle Notwendigkeit einer Re-Intervention, das Fehlen nachgewiesener radiologischer Erfolgsparameter und die Möglichkeit, dass eine Salvage-Operation nach Tumorprogression erschwert wird, sollten dabei angesprochen werden.
Indiziert ist die perkutane Ablation somit bei älteren Patienten mit eingeschränkter Lebenserwartung, deren Komorbiditäten im Fall einer chirurgischen Intervention Risiken darstellen würden. Sie müssen außerdem gewillt sein, sich einer langfristigen radiologischen Überwachung zu unterziehen.

Josef Gulden

Literatur
1. Bosniak MA. The current radiological approach to renal cysts. Radiology 1986; 158: 1-10.
2. Israel GM et al. Evaluation of cystic renal masses: comparison of CT and MR imaging by using the Bosniak classification system. Radiology 2004; 231: 365-71.
3. Clevert DA et al. Multislice computed tomography versus contrast-enhanced ultrasound in evaluation of complex cystic renal masses using the Bosniak classification system. Clin Hemorheol Microcirc 2008; 39: 171-8.
4. Graumann O et al. Evaluation of Bosniak category IIF complex renal cysts. Insights Imaging 2013; 4: 471-80.
5. Novara G et al. Robot-assisted partial nephrectomy in cystic tumours: Analysis of the Vattikuti Global Quality Initiative in Robotic Urologic Surgery (GQI-RUS) database. BJU Int 2016; 117: 642-7.
6. Patard JJ et al. Phase II study of axitinib for downstaging cT2a to cT1 renal tumors for allowing partial nephrectomy (AXIPAN). J Clin Oncol 2016; 34 (2S): ASCO-GU 2016, Abstract #575.
7. Chapin BF et al. Safety of presurgical targeted therapy in the setting of metastatic renal cell carcinoma. Eur Urol 2011; 60: 964-71.
8. Abel EJ et al. Early primary tumor size reduction is an independent predictor of improved overall survival in metastatic renal cell carcinoma patients treated with sunitinib. Eur Urol 2011; 60: 1273-9.
9. Smaldone MC et al. Small renal masses progressing to metastases under active surveillance: A systematic review and pooled analysis. Cancer 2012; 118: 997-1006.
10. Jewett MA et al. Active surveillance of small renal masses: Progression patterns of early stage kidney cancer. Eur Uro. 2011 Jul;60: 39-44.
11. Rothman J et al. Histopathological characteristics of localized renal cell carcinoma correlate with tumor size: A SEER analysis. J Urol 2009; 191: 29-34.
12. Marconi L et al. Systematic review and meta-analysis of diagnostic accuracy of percutaneous renal tumour biopsy. Eur Urol 2016; 69: 660-73.
13. uroweb.org/wp-content/uploads/EASE-Facts-figures-19-01-2016.pdf.
14. Charlson ME et al. A new method of classifying prognostic comorbidity in longitudinal studies: Development and validation. J Chronic Dis 1987; 40: 373-83.
15. Patel HD et al. Survival after diagnosis of localized T1a kidney cancer: Current population-based practice of surgery and nonsurgical management. Urology 2014; 83: 126-32.
16. Pan XW et al. Radiofrequency ablation versus partial nephrectomy for treatment of renal masses: A systematic review and meta-analysis. Kaohsiung J Med Sci 2015; 31: 649-58.
17. Klatte T et al. Systematic review and meta-analysis of perioperative and oncologic outcomes of laparoscopic cryoablation versus laparoscopic partial nephrectomy for the treatment of small renal tumors. J Urol 2014; 191: 1209-17.