Neue Therapiechancen für Radiojod-refraktäres Schilddrüsenkarzinom
Spricht ein Schilddrüsenkarzinom nach Operation nicht mehr auf die Therapie mit radioaktivem Jod an und liegen womöglich noch Fernmetastasen vor, ist die Prognose schlecht. Mit dem vor rund eineinhalb Jahren nun auch zur Behandlung des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms zugelassenen Tyrosinkinasehemmer Sorafenib lässt sich das progressionsfreie Überleben fast verdoppeln.
Bei den meisten Schilddrüsenmalignomen handelt es sich um differenzierte Schilddrüsenkarzinome (DCT, papilläre 87%, follikuläre 6%, Hürthle-Zell-Typ 3%), deren Heilungschancen normalerweise gut sind. Standardtherapie ist eine – meist totale – Thyreoidektomie mit anschließender ablativer Jod-131-Therapie und TSH-Suppression. Rapide verschlechtert sich die Prognose, wenn Patienten auf diese Standardbehandlung nicht (mehr) ansprechen, erklärte Prof. Matthias M. Weber, Mainz. Die mediane Überlebenszeit dieser 5–15% der Patienten geht dann auf 2,5–3,5 Jahre zurück. Zudem leiden sie häufig unter Komplikationen der fortschreitenden Tumorerkrankung, v. a. Kompression und Infiltration der oberen Atemwege oder des Ösophagus, hinzu kommen Schmerzen und ein erhöhtes Blutungsrisiko. Eine Chemotherapie mit Doxorubicin und Dacarbazin ist in dieser Situation nur mäßig wirksam. Vor Indikationserweiterung von Sorafenib (Nexavar®) gab es zur Behandlung des Radiojod-refraktären DCT keine weiteren Therapieoptionen.
Nach vierzig Jahren neues Medikament
Dieser orale Tyrosinkinaseinhibitor (TKI), bisher eingesetzt zur Therapie von Leber- und Nierenzellkarzinom, ist seit 2014 die erste Neuzulassung beim DTC seit 40 Jahren. Seit Mai 2015 gibt es eine weitere Substanz zur Therapie dieser Patienten, nämlich Lenvatinib (Lenvima®), berichtete Weber. Die Indikationserweiterung für Sorafenib, einen Inhibitor von VEGFR 1–3 und RAF-Kinasen, basiert auf den Ergebnissen der Phase-III-Studie DECISION: 417 Patienten mit Radiojod-refraktärem, lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem DCT, bei denen es innerhalb von 14 Monaten vor Studienbeginn zur Progression gekommen war, erhielten randomisiert 2 x 400 mg/d Sorafenib oder Placebo bis zum Progress oder dem Auftreten nicht tolerabler Toxizität. Bei Progression konnten die Placebo-Patienten auf Sorafenib wechseln, die Sorafenib-Patienten offen mit Sorafenib weiterbehandelt werden. Keiner der Patienten durfte zuvor eine Chemotherapie, TKI, monoklonale Antikörper gegen VEGF bzw. den VEGF-Rezeptor oder andere zielgerichtete Therapien gegen Schilddrüsenkrebs erhalten haben.
Das progressionsfreie Überleben (PFS) war unter Sorafenib signifikant überlegen (median 10,8 vs. 5,8 Monate) mit einer Hazard Ratio von 0,59. Der Vorteil beim PFS zeigte sich in allen Subgruppen, unabhängig von Histologie, eventuellen Symptomen zu Studienbeginn, BRAF- bzw. RAS-Mutationen und Tumorgröße (≥ 1,5 und < 1,5, cm). Unter Sorafenib kam es zu stärkerer Reduktion in den Zielläsionen (73% vs. 27%). Aufgrund des Cross-over-Designs war beim Gesamtüberleben kein signifikanter Unterschied erkennbar.
Typische Sorafenib-Nebenwirkungen waren – häufig, aber nicht schwerwiegend, so Weber – Hand-Fuß-Reaktionen, Diarrhö, Hautausschlag, Alopezie, Fatigue und Hypertonie, meist vom Grad 1–2. Sie traten v. a. zu Behandlungsbeginn auf und nahmen mit der Zeit ab. Zusätzlich wird eine engmaschige Überwachung von Kalzium und TSH-Spiegeln empfohlen.
Fazit: Sorafenib bewirkte bei Patienten mit einem Radiojod-refraktären DTC mit und ohne Symptomatik zu Therapiebeginn eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens um median fünf Monate gegenüber Placebo, unabhängig von Tumorgröße und Mutationsstatus.
Helga Vollmer
31. Münchner Fachpresse-Workshop „Supportive Therapie und Onkologie“ am 30.9.2015 in München, unterstützt von Bayer Vital GmbH, Leverkusen.