Myelom-Workshop, Rom: Was findet sich alles in den Pipelines?
In die Therapie des multiplen Myelom ist in den letzten Jahren sehr viel Bewegung gekommen: Nach der Einführung der ersten Proteasominhibitoren (Bortezomib) und Immunmodulatoren (Lenalidomid) vor gut zehn Jahren sind mittlerweile Zweitgenerationspräparate beider Substanzklassen (Carfilzomib, Ixazomib, Pomalidomid) ebenso wie erste Histondeacetylaseinhibitoren (Panobinostat) verfügbar oder stehen kurz vor der Zulassung, und die ersten monoklonalen Antikörper (Daratumumab, Elotuzumab) werden vermutlich in Kürze folgen. Damit geben sich die Myelom-Forscher aber nicht zufrieden: Die enormen Fortschritte bei der Entschlüsselung zellulärer Mechanismen der Onkogenese eröffnen auf nahezu allen Gebieten der Onkologie ein weites Feld für die Entwicklung neuer Therapiestrategien. Bei einem Symposium zu allogener Transplantation und neuen Substanzen im Rahmen des International Myeloma Workshop in Rom wurden viele dieser Strategien zumindest gestreift.
Nicolaus Kröger, Hamburg, beschäftigte sich mit der Bedeutung der allogenen Stammzelltransplantation beim Myelom. Interessant ist diese Methode vor allem durch den über die Spender-T-Lymphozyten vermittelten Graft-versus-Myeloma-Effekt; die Rückseite der Medaille ist allerdings der Graft-versus-Host-Effekt, der bei nicht wenigen Patienten zu einem Versagen dieses Ansatzes führt und auch letal enden kann. Ausgewählte Myelom-Patienten – wahrscheinlich v. a. solche mit hohem Risiko –, so Kröger, profitieren von einer Tandem-Transplantationsstrategie, bei der als zweite Komponente allogene Zellen transplantiert werden. Insbesondere wenn eine tiefe molekulare Remission erreicht wird, steigen die Chancen für langfristige Krankheitsfreiheit und möglicherweise Heilung. Um solche tiefen Remissionen zu erzielen, sollten in künftigen Ansätzen auch Konsolidierungs- und Erhaltungstherapien besonders berücksichtigt werden.
Selektivere Histondeacetylaseinhibitoren
Histondeacetylaseinhibitoren (HDAC-Inhibitoren) wie das kürzlich zugelassene Panobinostat verändern über epigenetische Mechanismen die Expression von Genen. Je nach ihrer Spezifität für die etwa ein Dutzend verschiedenen DHAC-Enzyme werden die Inhibitoren in verschiedene Klassen eingeteilt. Sie zeigen teilweise – wie etwa Panobinostat – nur in Kombination mit anderen Medikamenten wie Proteasominhibitoren eine Anti-Myelom-Wirkung. Ähnliches gilt für Vorinostat, das in dieser Kombination beim rezidivierten Myelom Ansprechraten von 54% erzielt, so Noopur Raje, Boston. Die Toxizität dieser relativ unspezifischen HDAC-Inhibitoren ist aber nicht zu vernachlässigen, sodass weltweit nach selektiveren Substanzen gefahndet wird. Eine davon ist der hochspezifische DHAC6-Inhibitor Ricolinostat. In Kombination mit Bortezomib und Dexamethason kommt er bei stark vorbehandelten Patienten auf Ansprechraten von bis zu 45% – bei deutlich geringerer Toxizität als die weniger selektiven Substanzen: Die wichtigste Nebenwirkung war eine Grad-2-Diarrhö, für die aber kein dosislimitierendes Ausmaß gefunden werden konnte.
Auch in der Kombination mit Lenalidomid wurde keine dosislimitierende Toxizität gefunden; die Ansprechrate lag bei 64%, darunter waren auch refraktäre Patienten. Auf die Kombination aus Ricolinostat und Pomalidomid, so Raje, sprachen auch Lenalidomid-refraktäre sowie doppelt refraktäre Patienten (gegen Bortezomib und Lenalidomid) und auch solche, die bereits eine autologe Stammzelltransplantation erhalten hatten, an. Das vorteilhafte Sicherheitsprofil wird Kombinationstherapien mit einer breiten Palette anderer Medikamente gestatten, so Raje.
Bei Kernexport und Mitose angreifen
CRM1 (chromosome region maintenance 1 oder Exportin 1) ist eines der am stärksten selektiv vulnerablen Moleküle beim multiplen Myelom: Es ist beteiligt am Export von Proteinen, zum Beispiel von vielen Tumorsuppressor-Faktoren aus dem Zellkern, die danach ihre supprimierende Wirkung nicht mehr ausüben können, so Jatin Shah, Houston. Als Monotherapie hat der selektive CRM-1-Inhibitor Selinexor relativ bescheidene Wirksamkeit, in Kombination mit Steroiden wie Dexamethason gibt es allerdings aus Phase-I-Studien ein klares Signal für eine synergistische Wirkung. Überdies geben präklinische Studien und die ersten Patientendaten Hinweise darauf, dass diese Zweierkombination eine Refraktärität von Myelomzellen gegen den Proteasominhibitor Carfilzomib überwinden kann. Auch zu Kombinationen mit zahlreichen anderen etablierten Substanzen laufen derzeit klinische Studien.
Das Kinesin-Spindel-Protein (KSP) ist ein Mikrotubuli-Motorprotein, das eine essenzielle Rolle beim Ablauf der Mitose und bei der Separation der Spindelpole spielt. Seine Hemmung verhindert die Ausbildung einer bipolaren Mitosespindel und führt unter anderem beim Mcl-1-abhängigen multiplen Myelom zum raschen Eintritt der Apoptose. Filanesib, ein hochgradig selektiver allosterischer Inhibitor von KSP, ist aktiv in mehreren präklinischen Myelom-Modellen und erzielte in einer Phase-II-Studie bei Patienten, die refraktär gegen Lenalidomid, Bortezomib und Dexamethason waren, interessante Ansprechraten und Überlebenszeiten – allerdings nur bei den zwei Drittel bis drei Viertel der Patienten, die vor Therapie niedrige Titer des Akut-Phase-Proteins „α 1-acid glycoprotein“ (auch Orosomucoid) aufwiesen. In einer Phase-I-Studie am M. D. Anderson Cancer Center in Houston konnte Filanesib in Kombination mit Carfilzomib bei Patienten, die zu 100% refraktär gegen Bortezomib und zu 80% refraktär gegen Lenalidomid waren, immerhin eine Ansprechrate von 37% und eine Clinical-Benefit-Rate von 63% erreichen. Derzeit laufen weitere Studien, in denen Filanesib neben Carfilzomib mit Dexamethason (dies ist als Zulassungsstudie gedacht), Bortezomib und Pomalidomid kombiniert wird.
Die Apoptose von Myelomzellen befördern
Neben der deregulierten Proliferation ist ein zentrales Kennzeichen von Tumorzellen das mangelnde Ansprechen auf Apoptose-Trigger. Hier gibt es eine Reihe therapeutischer Ansatzpunkte, so Lawrence Boise, Atlanta:
– Cyclin-abhängige Kinasen halten den Zellzyklus am Laufen. Ihre Hemmung alleine induziert keine Apoptose, aber in Kombination mit Dexamethason und Bortezomib sensibilisiert sie die Zellen für diese Substanzen. In frühen klinischen Studien konnte der CDK4/6-Inhibitor Palbociclib in einer solchen Dreierkombination Ansprechraten von 20% erzielen. Allerdings waren es vor allem Bortezomib-naive Patienten, die hiervon profitierten (40%), kaum jedoch die bereits mit dem Proteasominhibitor vorbehandelten Patienten (7%). Dinaciclib, ein Inhibitor der CDK5, ist auch in Monotherapie beim Myelom aktiv.
– Ein wichtiger anti-apoptotischer Regulator ist das mitochondriale Protein Bcl-2. Der Bcl-2-Inhibitor Venetoclax, der sich bereits in der klinischen Entwicklung bei B-Zell-Lymphomen befindet, zeigt auch bei einem Teil der Patienten mit multiplem Myelom Wirksamkeit; das Vorliegen einer t(11;14)-Translokation scheint von Bedeutung zu sein, ist aber kein sehr präziser Prädiktor für ein Ansprechen. Die Kombination mit Dexamethason verbreitert offenbar das Wirkspektrum, so Boise.
Kombiniert gegen AKT und MEK?
Zwei weitere in vielen Krebszellen aktive Signaltransduktions-Wege sind der vom Onkogen AKT beherrschte sowie der RAS-MEK-ERK-Weg, so Andrew Spencer, Melbourne. Ein Teil der Myelome ist von ersterem Signalweg abhängig und reagiert in präklinischen und frühen klinischen Studien mit Ansprechraten von bis zu 65% auf den AKT-Inhibitor Afuresertib, wenn dieser mit Bortezomib und Dexamethason kombiniert wird; selbst bei Bortezomib-refraktären Patienten liegt die Ansprechrate immer noch bei 43%.
Was den RAS-MEK-ERK-Signalweg betrifft, gibt es bereits Inhibitoren für das MEK-Onkoprotein, die beim Melanom in Kombination mit BRAF-Inhibitoren eingesetzt werden. Myelome scheinen auf die Kombination des MEK-Hemmstoffs Trametinib mit Dexamethason gut anzusprechen, und erste klinische Daten deuten auf einen starken synergistischen Effekt von AKT- und MEK-Inhibition hin. Auch mit bereits verfügbaren Myelom-Medikamenten, so Spencer, dürften die beiden Inhibitor-Klassen vorteilhaft kombinierbar sein.
Josef Gulden
15th International Myeloma Workshop vom 23. bis 26.9.2015, Rom.