Fortgeschrittenes Magenkarzinom: Neuer Standard für die Zweitlinientherapie
Seit Dezember 2014 steht zur Zweitlinientherapie des metastasierten Magenkarzinoms der monoklonale humane Antikörper Ramucirumab zur Verfügung, in Kombination mit Paclitaxel oder – für Patienten, die keine Chemotherapie vertragen – in Monotherapie. Die Zulassung basiert auf zwei Phase-III-Studie, in denen die Gesamtüberlebenszeit für solche Patienten verlängert werden konnte.
Das Magenkarzinom ist die fünfthäufigste Tumorentität weltweit und die dritthäufigste Todesursache unter den Krebserkrankungen, so Salah-Eddin Al-Batran, Frankfurt am Main. Es zählt zu den Tumoren mit starker Neoangiogenese, d. h. einer ausgeprägten Neubildung von Blutgefäßen, die den Tumor mit Nährstoffen versorgen sollen. Der am häufigsten eingesetzte Angiogenese-Hemmer Bevacizumab, der nur den Subtyp A des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF-A) hemmt, hatte bisher keinen Erfolg gebracht. Eine entscheidende und zentrale Rolle bei der Neoangiogenese spielt der Typ-2-Rezeptor für VEGF (VEGFR-2). Er wird durch den humanen monoklonalen Antikörper Ramucirumab gehemmt, so Sonja Loges, Hamburg-Eppendorf, der spezifisch an die extrazelluläre Domäne des VEGFR-2 bindet und dadurch die pro-angiogene Wirkung von drei VEGF-Subtypen (A, C, D) inhibiert. Und auch die Zellen des Magenkarzinoms exprimieren VEGFR-2: Bindet Ramucirumab also an den Rezeptor, so kann man möglicherweise auch von einer direkten Antikörper-abhängigen zellulären Zytotoxizität ausgehen, so Frau Loges.
Die nun erfolgte Zulassung von Ramucirumab zur Zweitlinientherapie des Magenkarzinoms basiert auf zwei großen Phase-III-Studien. Da es für diese Situation bisher nur sehr wenige gesicherte Daten gab, wurde in der einen Studie die Ramucirumab-Monotherapie mit „Best supportive care“ (BSC), in der anderen die Kombination aus Ramucirumab und Paclitaxel mit einer Paclitaxel-Monotherapie verglichen.
Die REGARD-Studie, so Al-Batran, schloss 355 Patienten ein, die nach Platin- oder Fluoropyrimidin-haltiger Erstlinientherapie progredient gewesen waren [1]. Sie wurden im Verhältnis 2:1 randomisiert, Ramucirumab (8 mg/kg i. v. alle zwei Wochen) oder Placebo, jeweils zusätzlich zu BSC, zu erhalten. Die Behandlungen wurden doppelblind gegeben, primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben. Es wurde durch den Antikörper signifikant von median 3,8 auf 5,2 Monate verlängert (Hazard Ratio 0,776; 95%-Konfidenzintervall 0,603–0,998; p = 0,0473). Nach sechs Monaten waren unter Ramucirumab noch 41,8% der Patienten am Leben, unter Placebo 31,6%; nach zwölf Monaten waren es 17,6% bzw. 11,8%. Der Überlebensvorteil erstreckte sich auf alle untersuchten Subgruppen und blieb auch in einer multivariaten Analyse unabhängig von wichtigen Prognosefaktoren wie zum Beispiel Performancestatus, Lokalisierung des Primärtumors oder dem Vorliegen von Peritonealmetastasen erhalten (HR 0,774; 95%-KI 0,605–0,991;
p = 0,042). Daneben verlängerte Ramucirumab hochsignifikant das progressionsfreie Überleben von median 1,3 auf 2,1 Monate (HR 0,483; 95%-KI 0,376–0,620; p < 0,0001).
Ramucirumab zeigte sich in dieser Studie erstaunlich wirksam, so Al-Batran – möglicherweise liegen der Effektivität neben den anti-angiogenetischen auch immunologische Effekte zugrunde: Im Gegensatz zu Bevacizumab markiert der VEGFR-2-Antikörper nämlich auch die Tumorzellen und löst dadurch möglicherweise einen Angriff von T-Lymphozyten aus.
Das Design der zweiten Phase-III-Studie namens RAINBOW [2] trug der Tatsache Rechnung, dass Patienten mit Magenkarzinom häufig eine Zweitlinientherapie erhalten; die deutsche S3-Leitlinie nennt als mögliche Regimes Irinotecan, Taxane oder diverse Kombinationen [3]. Eingeschlossen wurden 665 Patienten, die nach einer Erstlinientherapie mit einem Platinsalz plus einem Fluoropyrimidin mit oder ohne einem Anthrazyklin progredient gewesen waren. Alle bekamen Paclitaxel (80 mg/m2 i. v. an den Tagen 1, 8 und 15 eines vierwöchigen Zyklus) und wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert, zusätzlich Ramucirumab (8 mg/kg i. v. alle zwei Wochen) oder Placebo zu erhalten. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben.
Es wurde auch hier durch Ramucirumab signifikant um etwas über zwei Monate verlängert (von 7,4 auf 9,6 Monate; HR 0,807; 95%-KI 0,678–0,962; p = 0,017). Die Überlebensraten lagen nach sechs Monaten bei 72% vs. 57%, nach zwölf Monaten bei 40% vs. 30%. Auch hier zeigte sich eine hochsignifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens von 2,9 auf 4,4 Monate (HR 0,635; 95%-KI 0,536–0,752; p < 0,0001).
Die häufigsten Nebenwirkungen der Ramucirumab-Therapie sind Neutropenien, Fatigue und Hypertonie. Hypertonie stellt eine klassenspezifische Toxizität von Angiogenese-Inhibitoren dar, die Neutropenie geht möglicherweise darauf zurück, so Frau Loges, dass auch hämatopoetische Stammzellen im Knochenmark VEGFR-2 exprimieren.
Ramucirumab stellt mit diesen Ergebnissen und der nun erfolgten Zulassung einen neuen Standard für die Zweitlinientherapie des Magenkarzinoms dar, so Al-Batran. Die Überlebenszeiten in der RAINBOW-Studie seien annähernd so lang wie man sie üblicherweise nach einer Erstlinientherapie beobachtet. Von einem Einsatz von Ramucirumab in der Erstlinie sei eine noch stärkere Verlängerung zu erwarten.
Josef Gulden
Launch-Pressekonferenz “EU-Zulassung für Ramucirumab: Neuer Antikörper in der Therapie des Magenkarzinoms” am 28.1.2015 in Frankfurt/Main, veranstaltet von Lilly Oncology, Bad Homburg.