Neues zur chronischen lymphatischen Leukämie
ASH 2014
Alleine unter dem Stichwort „chronic lymphocytic leukemia“ (CLL) finden sich im Programm des letzten ASH-Kongresses 184 Abstracts – das unterstreicht die Bedeutung der Erkrankung als häufigste Leukämie-Form und illustriert vor allem die rasante Entwicklung, die vor allem ihre Therapie derzeit nimmt: Keine zehn Jahre, nachdem es gelungen war, mit einer Kombination aus Chemotherapie und CD20-Antikörpern erstmals die Prognose dieser Patienten mit einer Verlängerung der Überlebenszeiten substanziell zu verbessern, zeichnet sich die nächste Revolution in der CLL-Therapie ab: Mit hochwirksamen neuen Medikamenten besteht erstmals die Aussicht, die CLL ganz ohne Chemotherapie zu behandeln.
Die inzwischen „klassische“ Chemoimmuntherapie mit Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab (FCR)wurde in der CLL8-Studie unserer Deutschen CLL-Studiengruppe (GCLLSG) als Standard für unbehandelte und fitte Patienten mit CLL etabliert [1]. Da das Zytostatikum Bendamustin v. a. bei indolenten Non-Hodgkin-Lymphomen in den letzten Jahren von sich reden gemacht hat, verglichen wir in der CLL10-Studie bei solchen fitten und nicht vorbehandelten Patienten die Kombination aus Bendamustin und Rituximab (BR) randomisiert mit FCR. Wie Barbara Eichhorst, Köln, in San Francisco berichtete [2], schnitt FCR insgesamt signifikant besser ab, was progressionsfreies Überleben (median 55,2 vs. 41,7 Monate; Hazard Ratio 1,626; p < 0,001) und die Eliminierung der minimalen Resterkrankung (MRD) in Blut und Knochenmark anging. Bei den über 65-jährigen Patienten (ca. ein Drittel aller Teilnehmer) war der Unterschied beim progressionsfreien Überleben jedoch nicht signifikant, und hier könnte sich durchaus eine künftige Rolle für Bendamustin ergeben: Die BR-Kombination war weniger toxisch als FCR, was sowohl Neutropenien (59,0% vs. 84,2%) als auch Infektionen vom Grad 3/4 anging (26,8% vs. 39,1%). Letzterer Unterschied war bei den über 65-Jährigen noch ausgeprägter mit 20,6% unter BR gegenüber 47,7% unter FCR (p < 0,001), sodass sich BR hier durchaus als Alternative anbietet.
MRD-Bestimmung immer wichtiger
Die Bestimmung der minimalen Resterkrankung (MRD), die bei der chronischen myeloischen Leukämie bereits Standard ist, gewinnt auch bei der CLL zunehmend an Bedeutung – derzeit vor allem zur Beurteilung der Wirksamkeit neuer Therapien in klinischen Studien. In der deutschen Studiengruppe haben wir unter Federführung der Kieler Gruppe um Michael Kneba richtungweisende Arbeiten zur Methodik und zur prognostischen Relevanz der MRD-Negativität durchgeführt. Ein Patient gilt demnach als MRD-negativ, wenn sich nach Ende der Therapie mittels 4-Farb-Durchflusszytometrie oder Polymerasekettenreaktion weniger als eine CLL-Zelle pro 10.000 Leukozyten im peripheren Blut oder im Knochenmark nachweisen lässt. Bisher nicht dagewesene Erfolge hat hier zum Beispiel in der CLL11-Studie bei komorbiden Patienten mit CLL die Kombination aus dem Typ-II-CD20-Antikörper Obinutuzumab und Chlorambucil erzielt: Damit wurden 37,7% der Patienten im peripheren Blut MRD-negativ gegenüber nur 3,3% mit Rituximab/Chlorambucil [3].
Ebenfalls von Barbara Eichhorst wurde beim ASH-Kongress eine entsprechende Auswertung der Daten von 542 Patienten aus unseren beiden Studien CLL8 und CLL10 gezeigt [4]. Demnach haben Patienten, die nach Abschluss der Therapie MRD-negativ sind, eine bessere Prognose hinsichtlich progressionsfreiem und Gesamtüberleben, die unabhängig vom klinischen Ansprechen ist: So schnitten Patienten mit nur partieller klinischer Remission, sofern sie MRD-negativ waren, genauso gut ab wie solche mit kompletter klinischer Remission und MRD-Negativität. Eine komplette klinische Remission war hingegen mit deutlich schlechterem progressionsfreiem Überleben assoziiert, wenn die MRD nicht verschwunden war (Abb. 1). Auch die europäische Zulassungsbehörde unterstützt inzwischen die Verwendung der MRD als Endpunkt zur Beurteilung des Therapieerfolgs in klinischen Studien zur CLL und anderen hämatologischen Erkrankungen. Damit ließe sich der Erfolg neuer Therapien viel früher beurteilen als in der Vergangenheit, wo man auf die Resultate der Überlebensanalysen warten musste.
Neue Therapien bei del(17p) wirksam
In den letzten Monaten wurden zwei Substanzen zur Therapie der CLL zugelassen, die an zentralen Komponenten im Signalweg des B-Zell-Rezeptors angreifen: Ibrutinib, ein Inhibitor von Brutons Tyrosinkinase (Btk), und Idelalisib, ein Hemmstoff der δ-Isoform der Phosphaditylinositol-3-Kinase (PI3Kδ). Zu beiden Substanzen gab es in San Francisco neue Daten, v. a. zu Patienten mit 17p-Deletion (del(17p)) bzw. TP53-Mutation, die bei einem aggressiven Krankheitsverlauf eine schlechte Prognose haben und auf gängige CLL-Therapien schlecht ansprechen:
In der Zulassungsstudie RESONATE hatte Ibrutinib bei Patienten mit vorbehandelter CLL progressionsfreies und Gesamtüberleben gegenüber einer Monotherapie mit dem CD20-Antikörper Ofatumumab deutlich und signifikant verlängert [5, 6]. In einer Phase-II-Studie (RESONATE™-17), an der auch unsere GCLLSG beteiligt war, erhielten 144 Patienten mit rezidivierter/refraktärer CLL oder „small lymphocytic lymphoma“ (SLL) und del(17p), die vorher bereits bis zu sieben verschiedene Therapien (im Median zwei) erhalten hatten, Ibrutinib. Wie Susan O´Brien, Houston, berichtete, war der Inhibitor bei ihnen genauso wirksam wie bei den Patienten in der Hauptstudie [7]. Die durch die Prüfärzte ermittelte Gesamtansprechrate, der primäre Endpunkt der Studie, betrug für dieses schwierige Kollektiv beeindruckende 82,6%, davon 17,4% partielle Remissionen mit Lymphozytose; drei Patienten erzielten eine komplette Remission. Die durch ein unabhängiges Expertenkomitee ermittelte Ansprechrate lag mit 65% und 4% partiellen Remissionen mit Lymphozytose etwas niedriger; weitere 24% der Patienten zeigten eine Krankheitsstabilisierung.
Nach zwölf Monaten waren 79,3% der Patienten progressionsfrei am Leben, 88,3% derer, die angesprochen hatten, waren weiterhin in Remission. 20 Patienten (13,9%) hatten eine Progression erlitten, davon elf (7,6%) Richter-Transformationen, von denen sieben innerhalb der ersten 24 Wochen der Therapie aufgetreten waren. 83,5% der Patienten waren nach zwölf Monaten noch am Leben. Zum Zeitpunkt der Analyse der Daten betrug die mediane Therapiedauer 11,1 Monate, 70% der Patienten nahmen Ibrutinib noch immer ein.
Diese Daten sind außerordentlich beeindruckend: So ist das progressionsfreie Überleben in diesem extrem schwierig zu behandelnden Kollektiv teilweise stark vorbehandelter Patienten deutlich länger als es bei nicht vorbehandelten Patienten in der CLL8-Studie unter FCR [1] und in einer britischen Studie mit dem CD52-Antikörper Alemtuzumab gewesen war [8]. Angesichts der guten Verträglichkeit, die sich mit den Daten aus der Zulassungsstudie deckt [9], erweist Ibrutinib sich hiermit als effektive Therapie für Patienten mit CLL oder SLL und Deletion 17p.
Die andere neue Substanz, der PI3Kδ-Inhibitor Idelalisib, zeigt ebenfalls Wirksamkeit bei Patienten mit del(17p) bzw.TP53-Mutation, wie sich in der zweiten Interimsanalyse einer großen Phase-III-Studie – ebenfalls unter Beteiligung der GCLLSG – zeigt, in der Patienten mit rezidivierter CLL Idelalisib oder Placebo, jeweils in Kombination mit Rituximab und im Anschluss weiter bis zur Progression, erhalten hatten [10]. Patienten der Placebogruppe, die progredient waren, konnten auf Idelalisib wechseln. Laut Jeff Sharman, Springfield, war Idelalisib in dieser zweiten Interimsanalyse sowohl bei den Ansprechraten (77% vs. 15%) als auch beim progressionsfreien Überleben (median 19,4 vs. 7,3 Monate; HR 0,25;
p < 0,0001) hochgradig überlegen. Diese Überlegenheit war unabhängig von gängigen Risikofaktoren: Patienten mit unmutiertem IGHV-Status und solche mit del(17p) oder TP53-Mutation schnitten unter Idelalisib genauso gut ab wie die Subgruppen ohne diese Risikofaktoren; das Gleiche galt für eine Deletion 11q. Auch beim Gesamtüberleben ist der PI3Kδ-Inhibitor signifikant überlegen, ungeachtet der Crossover-Option im Placebo-Arm nach Progression: Die Patienten im Placebo-Arm überlebten median 20,8 Monate, bei denen im Idelalisib-Arm ist der Medianwert noch nicht erreicht (HR 0,34; p = 0,0001).
BCL2-Inhibitor als nächster Schritt
Die beiden neuen Inhibitoren haben damit neben exzellenter Wirkung auf alle Patienten mit CLL insbesondere eine neue Ära für Hochrisiko-Patienten eröffnet, die wir bisher nur sehr unzureichend behandeln konnten. Eine weitere Substanz, die noch nicht zugelassen ist, aber zu höchsten Erwartungen Anlass gibt, ist der BCL2-Inhibitor Venetoclax (ABT-199, GDC-0199). BCL2 ist ein mitochondriales Protein, das in vielen Tumoren überexprimiert wird und die Tumorzellen vor Apoptose schützt. Indirekt hatte Venetoclax schon in der ersten klinischen Phase-I-Studie bei CLL-Patienten seine überragende Wirksamkeit dadurch gezeigt, dass dort – bedingt durch den raschen Zerfall sehr vieler leukämischer Zellen – mehrere Tumorlyse-Syndrome beobachtet wurden [11]. Dieses Problem hat man nun durch Einführung eines einschleichenden Dosierungsschemas im Griff.
Da Rituximab als Monotherapie bei CLL nur mäßig wirksam ist, aber die Aktivität anderer Medikamente ohne viel zusätzliche Toxizität verstärkt, wurde es in einer Phase-Ib-Studie in Kombination mit Venetoclax untersucht [12]. Wie Andrew Roberts, Parkville, Australien, berichtete, erwies sich das Regime in einem Kollektiv von 49 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer CLL oder „small lymphocytic lymphoma“ (SLL) als gut verträglich und sehr wirksam mit einer Gesamtansprechrate von 81% (davon 31% Komplettremissionen). In einer weiteren Phase-Ib-Studie, die Ian Flinn, Nashville, vorstellte, wurde der BCL2-Inhibitor mit dem neuen CD20-Antikörper Obinutuzumab kombiniert und erwies sich bei bisher neun Patienten sowohl in den Lymphknoten als auch im peripheren Blut als ähnlich wirksam wie die Venetoclax-Rituximab-Kombination [13]. Beide Studien definierten 400 mg/d als Zieldosis von Venetoclax, die die volle Wirksamkeit mit akzeptabler Verträglichkeit verbindet.
Neue Studien der GCLLSG
Diese Ergebnisse sind eine Bestätigung für uns, dass wir mit der in der GCLLSG geplanten großen Phase-III-Studie CLL14 auf dem richtigen Weg sind (Abb. 2): Darin erhalten Patienten mit neu diagnostizierter CLL und Komorbiditäten im Kontrollarm den in der CLL11-Studie etablierten Standard aus Obinutuzumab und Chlorambucil; im experimentellen Arm wird das Zytostatikum durch Venetoclax ersetzt. Damit wird erstmals bei diesen nicht fitten Patienten ein (potenziell schonenderes) Chemotherapie-freies Schema eingeführt. Venetoclax wird in einer in den Vorstudien etablierten einschleichenden Dosierung gegeben, die im ersten Zyklus mit 20 mg/d beginnt und im Lauf des zweiten Zyklus stufenweise auf 400 mg/d erhöht wird. Damit sind keine Tumorlyse-Syndrome mehr zu erwarten, sodass auch die Behandlung dieser „slow go“-Patienten problemlos möglich sein dürfte. Primärer Endpunkt der CLL14-Studie wird das progressionsfreie Überleben sein, und wir erwarten durch den Einsatz von Venetoclax eine Verlängerung von median 27 auf etwas über 40 Monate – mit einer Reduktion des Risikos für Progression oder Tod um 35% (HR 0,65), d. h. eine langfristige Krankheitskontrolle bei minimalen Nebenwirkungen. Die Studie soll 420 Patienten einschließen und hat ihren Schwerpunkt in Deutschland, wird aber weltweit auf vier Kontinenten durchgeführt und hat im Dezember 2014 mit der Rekrutierung von Patienten begonnen.
Daneben startet 2015 die CLL13-Studie (Abb. 2), in der wir fitte Patienten randomisieren werden, im Kontrollarm den bisherigen Standard FCR (bei über 65-Jährigen BR) zu erhalten, während in zwei experimentellen Armen jeweils ein CD20-Antikörper (Rituximab oder Obinutuzumab) mit Venetoclax kombiniert werden soll. Ziel ist eine Verlängerung des Überlebens und eine Erhöhung des Anteils an Patienten, die unter dieser Therapie MRD-negativ werden – und möglicherweise eines Tages als geheilt gelten werden können. Schließlich werden in der CLL12-Studie Patienten mit inaktiver Erkrankung (Binet-Stadium A), aber intermediärem bis sehr hohem Progressionsrisiko zwischen einer Watch-and-Wait-Strategie und einer Behandlung mit Ibrutinib randomisiert (Abb. 2). Auch hier sind die primären Ziele MRD-Freiheit und Lebensverlängerung.
Literatur
1. Hallek M et al. Lancet 2010; 376: 1164-74.
2. Eichhorst B et al. ASH 2014, Abstract #19.
3. Goede V et al. N Engl J Med 2014; 370: 1101-10.
4. Kovacs G et al. ASH 2014, Abstract #23.
5. Byrd J et al. N Engl J Med 2014; 371(3):213-23.
6. Brown JR et al. ASH 2014, Abstract #3331.
7. O´Brien S et al. ASH 2014, Abstract #327.
8. Hillmen P et al. J Clin Oncol 2007; 25: 5616-23.
9. Byrd J et al. N Engl J Med 2014; 371: 213-23.
10. Sharman J et al. ASH 2014; Abstract #330.
11. Seymour JF et al. EHA 2014, Abstract #S702.
12. Roberts AW et al. ASH 2014, Abstract #325.
13. Flinn I et al. ASH 2014, Abstract #4687.
Prof. Dr. med. Stephan Stilgenbauer
Klinik für Innere Medizin III
Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 23, 89081 Ulm