Zahlreiche myelotoxische Chemotherapien, speziell im urologischen Bereich, sollten nur mit der gleichzeitigen Gabe eines Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktors (G-CSF) durchgeführt werden. Dieser verkürzt die Dauer von Neutropenien und vermindert die Inzidenz febriler Neutropenien. Das seit Juli 2013 in Europa zugelassene Lipefilgrastim wird einmal pro Chemotherapiezyklus subkutan injiziert.
Ein 65jähriger Patient mit einem initial lymphogen metastasierten Prostatakarzinom toleriert die Einleitung der Androgendeprivation und später die Einleitung der Chemotherapie (Docetaxel) zunächst gut. Doch eine Woche nach Applikation entwickelt er neutropenisches Fieber, drei Wochen nach Gabe des 1. Zyklus stirbt er. David Pfister, Aachen, wies mit diesem Fallbeispiel darauf hin, wie wichtig der Einsatz von G-CSF ist, besonders bei älteren Patienten und vor allem, wenn Komorbiditäten (in diesem Fall rezidivierende Makrohämaturie mit Spülpflicht, Rektuminfiltration, Entwicklung eines toxischen Megakolons) vorliegen. Gerade urologische Erkrankungen (z. B. Prostata-, Urothel-, Nierenzell- sowie das eher seltene Penis-Ca) betreffen vorwiegend ältere Patienten, die häufig bereits Komorbiditäten aufweisen. Neun von zehn Tumorpatienten entwickeln je nach Intensität der Chemotherapie und ihrer Risikofaktoren unterschiedlich ausgeprägte Neutropenien. Fieber über 38 °C sowie ein drastischer Abfall der neutrophilen Granulozyten unter 1000/µl oder sogar unter 500/µl signalisieren eine febrile Neutropenie (FN), deren Auftreten speziell im ersten Chemotherapiezyklus am riskantesten ist. Die Mortalität liegt bei ca. 10 % und kann bei Komorbiditäten auf über 20 % steigen.
Zur Prophylaxe eignet sich das rekombinante, langwirksame G-CSF-Präparat Lipefilgrastim (Lonquex®), ein kovalentes Konjugat aus Filgrastim und einem Methoxypolyethylenglykol-(mPEG)-Molekül von 20 kDa, das per Fertigspritze einmal pro Chemotherapiezyklus in einer Dosierung von 6 mg etwa 24 Stunden nach der Chemotherapie subkutan appliziert wird. Ausgenommen sind jedoch Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie und myelodysplastischen Syndromen.
Das humane Glykoprotein G-CSF stimuliert die Proliferation hämatopoetischer Vorläuferzellen, deren Differenzierung zu reifen neutrophilen Granulozyten in sämtlichen Entwicklungsstadien sowie die Freisetzung der Neutrophilen und deren Funktionen. Die spezifische Wirkung des natürlichen Glykoproteins und seiner rekombinant hergestellten Derivate (z. B. Filgrastim) wird durch Bindung an humane CSF-Rezeptoren auf neutrophilen Granulozyten vermittelt.
Lipefilgrastim ist kein Biosimilar, sondern wird hergestellt aus rekombinantem Filgrastim, mPEG und zwei aktivierten Zuckerketten (Kohlenhydrat-Linker). Dabei wird mithilfe eines Kohlenhydrat-Linkers ein mPEG-Molekül an die natürliche Glykosylierungsstelle Threonin 134 gebunden. Durch diese sog. Glykopygelierung verdoppelt das Filgrastim-Molekül seine Größe und erzielt eine Masse von durchschnittlich 39 kDA. Aufgrund der größeren Molekülmasse ist die renale Clearance von Lipefilgrastim stark vermindert, und es bleibt so länger in der Zirkulation: Die Einmalgabe pro Zyklus ist Studien zufolge wirksam und sicher. Der Abbau von Lipefilgrastim erfolgt im Wesentlichen intra- oder extrazellulär durch proteolytische Enzyme.
Helga Vollmer
Symposium „Neue Herausforderungen und neue Therapieoptionen in der Uro-Onkologie 2014“ anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) am 3. Oktober 2014 in Düsseldorf, unterstützt von Teva GmbH, Ulm.