Invasive Pilzinfektionen sind eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität nach allogener Stammzelltransplantation. Nicht selten durchkreuzen sie als bedrohliche Komplikation die aufwendigen Therapieregimes der Grunderkrankung. Mykosen haben keine typischen Symptome und werden deshalb oft spät entdeckt. Es erfordert sehr differenziertes Hinschauen und strategisches Vorgehen, um Pilzinfektionen rechtzeitig auf die Spur zu kommen oder sie möglichst zu vermeiden. In einem Interview erläutert der Infektiologe PD Dr. Werner Heinz, Oberarzt an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II am Universitätsklinikum Würzburg, die Möglichkeiten einer differenzierte, individuelle und situationsbezogene Vorgehensweise.

 

Nach einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation sind diese Patienten einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Wie hoch ist dabei der Anteil an Mykosen?

Heinz: Das Risiko einer invasiven Pilzinfektion hängt vom Patienten ab, vom Zeitpunkt, und nach den aktuellen epidemiologischen Daten ebenso vom Zentrum und der lokalen Exposition. Hier finden wir sehr unterschiedliche Inzidenzen. Die Gesamtwahrscheinlichkeit, eine invasive Mykose zu entwickeln, liegt nach Daten der EORTC zwischen 5% und 25% für den gesamten Zeitraum von ein bis zwei Jahren nach allogener Stammzelltransplantation.

Um welche Mykosen handelt es sich?

Heinz: Am häufigsten sind es Schimmelpilz-Infektionen wie Aspergillosen, überwiegend hervorgerufen durch Aspergillus fumigatus. Interessanterweise finden sich auch Zentrums­effekte wie beispielsweise ein vermehrtes Auftreten von Aspergillus terreus an zwei klimatisch sehr unterschiedlichen Orten, in Houston/Texas und Innsbruck/Österreich. Ansonsten ist Aspergillus fumigatus der dominante Schimmelpilz unter den Aspergillus-Spezies. An zweiter Stelle nach den Aspergillosen rangieren die Hefepilz-Infektionen (Candida). Sie treten nicht als Infektionen der Lunge, sondern meist invasiv im Sinne einer Candidose oder Candidämie auf.
Betrachtet man hier die Spezies-Differenzierung, ist sowohl bei hämatologischen wie auch bei mit allogenen Stammzellen transplantierten Patienten nur noch bei einem kleinen Teil Candida albicans zu finden. Überwiegend treten von anderen Arten verursachte Candida-Infektionen auf. Zu den sogenannten seltenen Mykosen gehören Fusarien und Mucor-Mykosen, die zuletzt auch als Zygomykosen bezeichnet wurden. Diese finden wir häufiger erst im späteren Verlauf nach der Transplantation (Kontoyiannis DP et al. Clin Infect Dis 2010; 50: 1091-100) und vermehrt bei Patienten nach einer vorausgegangenen antimykotischen Therapie oder Prophylaxe.

Gibt es eine Früherkennungs-Strategie für Mykosen?

Heinz: Ja, denn die diagnostischen Möglichkeiten haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Neben der klassischen Kultur und mikroskopischen Verfahren, die gerade für die Aspergillose eher unzureichend sind, hat sich der Galaktomannan-Test  für das Screening weitestgehend etabliert. Es gibt auch neue diagnostische Verfahren wie den Beta-D-Glucan-Test, der aber in Deutschland praktisch keine Anwendung findet. Der Lateral-Flow-Device ist ein neuer Test, der voraussichtlich zugelassen wird und auch die Aspergillus-PCR ist meines Erachtens geeignet, die Dia­gnostik zu verbessern. Insofern hat sich eine Strategie entwickelt, die als präemptive bzw. Diagnostik-gesteuerte Therapie der Aspergillose in mehreren Studien untersucht wurde und hier meines Erachtens im Vergleich zur empirischen Strategie gleichwertige Effekte zeigen konnte. Wir haben also die Möglichkeit, mit einer suffizienten und konsequent durchgeführten Diagnostik die Aspergillose zu erkennen und frühzeitiger eine Behandlung einzuleiten. Dies bedeutet allerdings, dass wir einen gewissen diagnostischen Aufwand betreiben müssen, wozu als Grundvoraussetzung auch eine frühzeitige und konsequente radiologische Untersuchung mit hochauflösendem CT gehört.

Wenn Mykosen entdeckt werden, kommt die Therapie oft zu spät. Wie können sie verhindert werden?

Heinz: Wenn nach der EORTC-Klassifizierung eine nachgewiesene Aspergillose vorliegt, ist es tatsächlich für eine Therapie schon sehr spät. Wenn eine frühzeitige und konsequente Diagnostik vorausgeht, können wir die Aspergillose oftmals rechtzeitig behandeln. Alternativ ermöglicht die Symptom-gesteuerte bzw. empirische Therapie ein noch früheres Eingreifen zum Beispiel bei persistierendem Fieber. Noch weitreichender und protektiver ist eine prophylaktische Strategie.

Wann gilt ein Patient als „Hochrisiko“-Patient und ab wann wird die Prophylaxe eingesetzt?

Heinz: Nach den üblichen Kriterien besteht ein hohes Risiko bei einer Neutropenie, die länger als neun Tage andauert und nach allogener Stammzelltransplantation. Ebenso sind eine längere Steroid-Einnahme, Umwelteinflüsse wie Kontakt zu Pilzsporen aus z. B. landwirtschaftlichen Arbeits- oder privaten Hobbybereichen und eine zurückliegende Aspergillus-Infektion wichtige Risikofaktoren für eine Pilzinfektion. Eine Schimmelpilz-aktive Prophylaxe ist zurzeit bei Patienten etabliert, die eine remissions-induzierende Chemotherapie zur Behandlung einer akuten myeloischen Leukämie (AML) bekommen und damit eine Neutropenie-Phase von mehr als zehn Tagen haben. Dies ist im Rahmen der Chemotherapie eine Patientengruppe mit dem höchsten Risiko. Hier wurde die Prophylaxe aufgrund eines erzielten Überlebensvorteils zugelassen.
Die zweite Gruppe besteht aus Patienten nach allogener Stammzelltansplantation. Hier ist eine Aspergillus-aktive Prophylaxe schon seit längerer Zeit etabliert, insbesondere bei schwerer Abstoßungsreaktion gegenüber dem Transplantat, da in diesem Fall das Infektionsrisiko für eine Aspergillose nochmals deutlich zunimmt. Eine allgemeine Mykose-Prophylaxe mit Fluconazol ist bereits seit vielen Jahren im Einsatz. Ihr Vorteil gegenüber keiner Prophylaxe im gesamten Zeitraum nach der Transplantation konnte durch Studien belegt werden. Aktuellere Daten haben jedoch gezeigt, dass eine Aspergillus-aktive Prophylaxe eine relevante Ergänzung darstellt mit dem Resultat eines reduzierten Anteils an Schimmelpilzinfektionen.

Aufgrund seiner Verträglichkeit konnte Voriconazol laut IMPROVIT-Studie länger verabreicht werden als Itraconazol. Wie lange ist die Prophylaxe erforderlich, um erfolgreich zu sein?

Heinz: Gegenüber Itraconazol wurde Voriconazol von den Patienten besser toleriert, wodurch es weniger Therapieabbrüche gab. Außerdem erfordert die Resorption von Itraconazol eine Bestimmung der Wirkspiegel. Generell gilt eine Prophylaxedauer von 100 Tagen nach Transplantation. Differenziert ergeben sich aber folgende Phasen: die Neutropeniephase, die frühe Transplantationsphase bis Tag 30, die mittlere Transplantationsphase bis Tag 100, in der ein hohes Abstoßungsrisiko und somit auch ein Mykose-Risiko besteht und die späte Phase (>100 Tage ) nach Transplantation. In den jeweiligen Phasen ist das Risiko unterschiedlich hoch:
In der Neutropeniephase sollte mindestens eine Prophylaxe gegen Hefepilze zum Einsatz kommen. In der Abstoßungsphase (Graft-versus-Host-Disease) ist eine Aspergillus-aktive Prophylaxe eindeutig zu empfehlen. In den weiteren Phasen hängt die Entscheidung vom individuellen Risiko des Patienten ab. Liegt z. B. eine vorausgegangene Aspergillose oder ein anderer Risikofaktor wie z.B. eine COPD oder höheres Alter vor, hat eine besondere Exposition gegenüber Pilzsporen stattgefunden (Beruf oder Hobby), würde ich die Notwendigkeit einer Prophylaxe prüfen. Weist der Patient kein weiteres Risiko auf, hat er nach der Neutropenie­phase keine schwere Immunsuppression mehr, und ist eine ausreichend enge diagnostische Verlaufskontrolle möglich, sind auch präemptive Strategien eine sinnvolle Möglichkeit.
Die Zulassungserweiterung von Voriconazol bietet zusätzlich zum präemtiven und gezielten Einsatz die Möglichkeit, Patienten im zugelassenen Rahmen mit einer Prophylaxe zu versorgen. Dies ist z. B. eine sinnvolle Option für Patienten mit hohem Risiko, bei denen eine ausreichende und zeitnahe Diagnostik nicht möglich ist. In diesen Situationen plädiere ich für eine konsequente Prophylaxe. Eine Beendigung der Prophylaxe hängt von der individuellen Transplantation, von der Immunsuppression und vom Zustand des Patienten ab. Im Falle einer Abstoßungsreaktion kann die Prophylaxe auch bis zu 180 Tage andauern. Die Prophylaxe-Dosierung unterscheidet sich bei Voriconazol nicht von der therapeutischen Dosierung. Dies ist meines Erachtens sinnvoll, weil mit einer niedrigeren Dosierung die Entwicklung von Resistenzen begünstigt werden kann. Triazol-resistente Aspergillosen sind bisher in Deutschland eine Ausnahme.

In der Sekundärprophylaxe konnte laut VOSIFI-Studie mit Voriconazol eine deutlich verringerte Rückfallrate beobachtet werden. Worauf sind diese Ergebnisse zurückzuführen?

Heinz: Aus dieser Studie kann geschlossen werden, dass unter einer antimykotischen Prophylaxe mit Voriconazol die Rate der Rezidive bei Stammzell-transplantierten Patienten nach einer vorausgegangenen Mykose gering ist. Lediglich bei drei von 42 Patienten trat eine erneute Mykose auf. Ohne Sekundärprophylaxe lag bei bisherigen Untersuchungen die Rückfallrate bei rund 30%. Eine Prophylaxe sollte hier auf jeden Fall erfolgen, um die Patienten vor einer weiteren Infektion zu schützen. In der klinischen Praxis ergibt sich oft ein fließender Übergang zwischen einer Therapie und einer sekundären Prophylaxe, sodass es schwer zu sagen ist, wann die Therapie aufhört und wann die Prophylaxe beginnt. Oft haben die Patienten eine primäre Aspergillose im Rahmen der vorangegangenen Chemotherapie. Aufgrund dessen bekommen sie durchgehend ein Antimykotikum und dennoch zeitnah auch die allogene Stammzelltransplantation. Zum Teil haben diese Patienten Manifestationen, Infiltrate oder Residuen und werden deshalb kontinuierlich mit einer Prophylaxe bzw. fortgeführten Therapie versorgt.


Wie wird therapeutisch fortgefahren, wenn die Prophylaxe nicht greift?

Heinz: Kommt es dennoch zu einer Durchbruchsinfektion, sind zunächst  dia­gnostische Maßnahmen wichtig. Auch während der Prophylaxe empfehle ich eine frühzeitige Computertomografie (z. B. nach 3 Tagen Fieber) und ggf. ein Galactomannan Screening. Wenn sich hier ein Verdacht ergibt, ist eine Bronchoskopie angezeigt, um herauszufinden, ob es sich um eine Aspergillose oder um eine andere Infektion handelt. Dies kann für den weiteren Therapieverlauf entscheidend sein. Die Therapie kann parallel schon geändert werden. Wenn es sich dann z. B. um eine seltene Mucor-Mykose handelt, braucht der Patient für die nächsten Wochen oder Monate eine ganz andere Therapie.
Um mit dieser Situation umgehen zu können, hilft eine vorausgehende eingehende Diagnostik. Mögliche Gründe für eine Durchbruchinfektion sind: Es kann ein Erreger vorliegen, der gegen das prophylaktisch eingesetzte Antimykotikum resistent ist oder nicht von seinem Erregerspektrum erfasst wird, der Patient kann das Medikament nicht ordnungsgemäß eingenommen haben, oder der Wirkmechanismus kann aufgrund von Wechselwirkungen oder Resorptionsproblemen gestört sein. Letztere Optionen resultieren in niedrigen Wirkspiegeln. Daher ist die Bestimmung der Serumkonzentration in dieser Situation meines Erachtens sehr sinnvoll. Wenn die Spiegel gesteigert werden können, habe ich immer noch die Möglichkeit, das Medikament später wieder einzusetzen. Dass diese Option für einen Patienten erhalten bleibt, der bei einer nachgewiesenen Aspergillose oder einer Schimmelpilz-Infektion über Wochen weiter therapiert werden muss, ist mir sehr wichtig. Gegebenenfalls wird die Therapie vorübergehend umgestellt und ich kann später bzw. nach Klärung des Problems wieder auf die oral verfügbaren Triazole zurückgreifen. Ansonsten kann bei Durchbruchsinfektionen die Erweiterung des Wirkspektrums durch den Einsatz einer alternativen oder ergänzenden Substanz wie z. B. liposomales Amphotericin B sinnvoll sein.

Herzlichen Dank für das Gespräch!
Interview:  Gabriele Henning-Wrobel

Interview mit PD Dr. Werner Heinz, Würzburg