Bispezifischer Antikörper: besonders tiefe Remissionen bei ALL
Die Therapie der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) ist v. a. beim Erwachsenen nach wie vor verbesserungsbedürftig. Komplettremission ist dabei nicht gleich Komplettremission, so Nicola Gökbuget, Frankfurt: Die deutsche ALL-Studiengruppe (GMALL) konnte zeigen, dass Patienten, deren Remission in der Erstlinientherapie MRD-negativ ist, bei denen also unter 10.000 normalen Blutzellen keine leukämische Zelle mehr nachweisbar ist, eine deutlich günstigere Prognose haben. In einer Phase-II-Studie untersucht die GMALL bei Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL den bispezifischen Antikörper Blinatumomab, ein gentechnisches Konstrukt, das zwei Antigene zugleich erkennt und binden kann [1]: CD19 auf ALL-Zellen und CD3 auf zytotoxischen Lymphozyten. Dadurch kommen diese Zellen in engen Kontakt miteinander, und die T-Zelle kann die Tumorzelle angreifen und vernichten.
Primärer Endpunkt der einarmigen Studie mit bisher 189 Patienten ist die Rate an kompletten Remissionen bzw. Komplettremissionen mit nur partieller hämatologischer Erholung im Verlauf der ersten beiden Therapiezyklen. Dieses Ziel erreichten 43% der Patienten, mit einer rezidivfreien Überlebenszeit von median 5,9 Monaten. Als weiterer, exploratorischer Endpunkt wurde außerdem das MRD-Ansprechen in den ersten beiden Zyklen definiert, das bei 73 der 81 Patienten mit Komplettremission analysiert werden konnte. 60 von ihnen (82%) zeigten eine Abnahme der MRD, 51 (71%) komplette MRD-Negativität, d. h. unter Blinatumomab war bei etwas mehr als einem Viertel aller Patienten auch mit den empfindlichsten Tests keine leukämische Zelle mehr nachweisbar. Soweit man bisher weiß, so Frau Gökbuget, bedeutet MRD-Freiheit eine bessere Prognose.
Epigenetische Therapie auch bei AML
Ältere Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) haben eine schlechte Prognose: Ihre mediane Lebenserwartung liegt zwischen zwei und acht Monaten – abhängig von Allgemeinzustand, Komorbiditäten und biologischen Risikofaktoren (v. a. Zytogenetik), die bisher auch die therapeutische Strategie bestimmten: „Best Supportive Care“ (BSC), eine intensive Chemotherapie oder niedrig-dosiertes Cytarabin. Für viele ältere Patienten kommt insbesondere die intensive Chemotherapie wegen ihrer Toxizität nicht mehr infrage.
In der Phase-III-Studie AZA-001 hatte ein epigenetischer Therapieansatz mit Azacitidin gegenüber den konventionellen Therapien das Gesamtüberleben älterer Patienten mit myelodysplastischem Syndrom (MDS) signifikant verlängert [2] auch bei Patienten mit einem Blasten-Anteil von 20–30% im Knochenmark. Weil diese nach der gegenwärtigen WHO-Klassifikation an einer AML leiden, wurde eine neue Phase-III-Studie (AZA-AML-001) initiiert, die Hervé Dombret, Paris, vorstellte [3]: 488 Patienten (≥ 65 Jahre) mit neu diagnostizierter oder sekundärer AML und mehr als 30% Blasten wurden randomisiert, entweder Azacitidin (75 mg/m² und Tag an sieben Tagen eines vierwöchigen Zyklus) oder eine der konventionellen Therapien zu erhalten.
Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben, und der Unterschied von 10,4 versus 6,5 Monaten zugunsten von Azacitidin konnte sich sehen lassen, auch wenn er statistisch nicht signifikant war (p = 0,08). Wurden die jeweils verabreichten Folgetherapien statistisch berücksichtigt, fiel er mit 12,1 vs. 6,9 Monaten noch höher und dann auch signifikant aus (p = 0,0147). Nach einem Jahr waren noch 46,5% der mit Azacitidin, aber nur 34,2% der konventionell behandelten Patienten am Leben. In einer Subgruppenanalyse schnitten Patienten mit Hochrisiko-Zytogenetik besonders gut ab. Das Sicherheitsprofil von Azacitidin entsprach dem in den MDS-Studien.
Plk-Hemmer bei rezidivierter AML
Ein neues potenzielles Zielmolekül bei rezidivierter oder refraktärer AML sind Polo-ähnliche Kinasen (Polo-like kinases, Plk), die für Mitose und Zellteilung mitverantwortlich sind. Volasertib (BI 6727) ist ein selektiver und potenter Inhibitor von Plk; es kann den Zellzyklus stoppen und die Zellen in die Apoptose treiben. In einer Phase-I/II-Studie testet die deutsche Studiengruppe für adulte AML (AMLSG) derzeit Volasertib in verschiedenen Dosierungen, so Hartmut Döhner, Ulm [4]:
Volasertib wird an den Tagen 1 und 15 eines vierwöchigen Zyklus als einstündige Infusion gegeben. In der Phase I erhielten insgesamt 56 Patienten steigende Dosen an Volasertib, 15 von ihnen gehörten einer Erweiterungskohorte an; die maximale tolerierte Dosis wurde mit 450 mg definiert. Bei zwei Dritteln der Patienten wurden Nebenwirkungen registriert, die auf das Medikament zurückgeführt wurden, am häufigsten
Anämien (27%), Thrombozytopenien und Neutropenien (je 25%), Leukopenien (13%) und Alopezie (11%). Toxizitäten vom Grad ≥ 3, die bei mindestens drei Patienten auftraten, waren Neutropenie und Thrombozytopenie (je 25%), Anämie (21%), Leukopenie (13%), Mukositis (7%) und Pneumonie (5%).
Bei Dosen ab 350 mg wurde auch anti-leukämische Aktivität beobachtet: Fünf von 43 damit behandelte Patienten erreichten als bestes Ansprechen eine komplette Remission mit unvollständiger hämatologischer Erholung. Sie blieben für median drei und maximal neun Zyklen bei der Behandlung. In ihrem Knochenmark fanden sich Zellen mit Kernveränderungen und –fragmentierungen, wie sie charakteristisch für Zellen in Apoptose sind. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde nun eine Phase-III-Studie initiiert, in der ältere Patienten mit neu diagnostizierter AML, die keine intensive Chemotherapie vertragen, niedrig-dosiertes Cytarabin mit oder ohne Volasertib bekommen.
Josef Gulden
Literatur
1. Gökbuget N et al. Haematologica 2014; 99 (s1): 508-9 (EHA 2014, Abstract #S1314).
2. Fenaux P et al. Lancet Oncol 2009; 10: 223-32.
3. Dombret H et al. Haematologica 2014; 99 (s1): 788-9 (EHA 2014, Abstract #LB2433).
4. Döhner H et al. Haematologica 2014; 99 (s1): 223 (EHA 2014, Abstract #S649).
19th Congress of the European Hematology Association (EHA), 12.-15.6.2014 in Mailand.