Immuntherapie – ein Meilenstein in der Tumorbehandlung
Aus gegegebenem Anlass hat sich die Redaktion entschlossen, in dieser Ausgabe vom üblichen Konzept eines organbezogenen Schwerpunktthemas abzuweichen. „ASCO 2014“, der weltweit größte Krebskongress in Chicago, bietet interessante Neuigkeiten genug, um damit mehr als ein Heft zu füllen. Hier werden die aktuellsten und relevantesten Ergebnisse zu Haut-, Lungen-, gynäkologischen, urologischen und gastrointestinalen Tumoren sowie zu myeloproliferativen Neoplasien zusammengestellt.
Ein beherrschendes Thema dieses wie auch schon des letztjährigen ASCO-Kongresses war die Immuntherapie. Zwar werden bereits seit fast 20 Jahren monoklonale Antikörper mit Erfolg – zunächst gegen Lymphome und dann auch gegen solide Tumoren – eingesetzt, aber die neueste Entwicklung dürfte, wenn nicht alle Anzeichen täuschen, die Onkologie noch einmal verändern: Mehr als 120 Jahre nach William Coleys ersten klinischen Versuchen mit Bakterien-Extrakten haben die Immunologen einige der molekularen Mechanismen im Detail aufgeklärt, durch die Immunzellen daran gehindert werden, aggressiv gegen Tumorzellen vorzugehen. In der Folge wurden monoklonale Antikörper entwickelt, die diese „Immun-Checkpoints“ hemmen, und die Wirksamkeit dieses Konzepts konnte zunächst beim malignen Melanom, das seit jeher als stark immunogener Tumor galt, bestätigt werden: Langzeit-Überlebensraten um 20% bei fortgeschrittenen, metastasierten Melanomen, wie sie durch die CTLA-4-Hemmung erreicht werden [1], waren vor wenigen Jahren noch undenkbar.
Die Inhibitoren des PD-1-Rezeptors („Programmed Death 1“) und seiner Liganden PD-L1/2, die die Interaktion von T-Lymphozyten mit Krebszellen direkt im Tumorgewebe beeinflussen, scheinen noch wirksamer zu sein, wie man schon an den in Chicago vorgestellten Phase-I/II-Daten erkennen kann. Das gilt nicht nur für das Melanom (s. Artikel S. 58), sondern auch für nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (s. S. 62) und urologische Tumoren (s. S. 68) sowie sehr wahrscheinlich auch für viele andere solide Entitäten. Bei einigen Indikationen laufen bereits Phase-III-Studien mit PD-1-Inhibitoren.
Weitere Ansätze, die in den nächsten Jahren noch für interessante Ergebnisse sorgen dürften, gibt es zuhauf: zum Beispiel Vakzinen aus modifizierten Viren (s. Artikel Hauttumoren S. 58) oder genetisch manipulierte Immunzellen, denen ein chimärer Antigenrezeptor eingebaut wird, mit dem sie Tumorzellen viel effizienter als ein einfacher Antikörper und mit der Nachhaltigkeit einer endogenen Immunreaktion in Schach halten können (CART: Chimeric Antigen Receptor T cells).
Was diese immunologischen Therapieansätze besonders attraktiv macht, ist die Unabhängigkeit des Wirkmechanismus von genetischen Veränderungen: Die meisten Tumoren zeigen ja eine starke genetische Heterogenität und anhaltende Mutationsbereitschaft. Diese lässt viele zielgerichtete Therapien nach einiger Zeit ins Leere laufen, weil die somatischen Mutationen, die im Verlauf der Erkrankung jederzeit auftreten können, häufig sekundäre Resistenzen der Tumorzellen gegenüber diesen Therapien induzieren. Von Immuntherapien – und das gilt sowohl für Antikörper gegen tumorassoziierte Antigene als auch für die „Checkpoint“-Inhibitoren – sind solche Phänomene nicht zu erwarten. Die Entwicklung und Einführung der „Immun-Checkpoint“-Inhibitoren stellt daher einen wirklichen Meilenstein in der Tumorbehandlung dar, wie das auch die Fachzeitschrift „Science“ anerkannt hat, die 2013 die Immuntherapie als einen Durchbruch in der Onkologie kennzeichnete [2].
Literatur
1. Hodi FS et al. N Engl J Med 2010; 363:711–23.
2. Couzin-Frankel J. Science 2013; 342:1432–3.
Prof. Dr. med. Karl-Anton Kreuzer
Klinik I für Innere Medizin
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