Kongressbericht
Beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) konnten in den letzten Jahren bei ungefähr der Hälfte aller Adenokarzinome Treibermutationen – meist in wichtigen Komponenten von Signaltransduktionswegen – nachgewiesen werden, die für das maligne Wachstum der Tumorzellen verantwortlich und damit potenzielle Ziele für Medikamente sind. Bereits zugelassen sind mehrere Inhibitoren der Tyrosinkinase des Typ-1-Rezeptors für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGFR), zuletzt Afatinib (Giotrif®), das als ErbB-Family-Inibitor nicht nur diesen, sondern alle Mitglieder der Familie der EGF-Rezeptoren irreversibel hemmt.
In der Zulassungsstudie LUX-Lung 3 [1], so Dr. Karl-Matthias Deppermann, Erfurt, waren 345 NSCLC-Patienten mit mutiertem EGFR randomisiert worden, entweder eine Chemotherapie aus bis zu sechs Zyklen Cisplatin und Pemetrexed oder 40 mg/d Afatinib zu erhalten. Beim primären Endpunkt progressionsfreies Überleben (PFS) schnitt die Afatinib-Gruppe mit median 11,1 Monaten deutlich besser ab als die Kontrollgruppe mit 6,9 Monaten (Hazard Ratio 0,58; p = 0,001). Wurden nur die 308 Patienten mit Deletionen von Exon 19 und L858R-Mutationen im EGFR-Gen berücksichtigt, war das mediane PFS unter Afatinib mit 13,6 gegenüber 6,9 Monaten sogar annähernd verdoppelt (HR 0,47; p = 0,001). Die häufigsten Nebenwirkungen waren unter Afatinib Diarrhö, Hautausschläge und Stomatitis, unter Chemotherapie Nausea, Fatigue und Appetitlosigkeit.
In umfangreichen Fragebögen bei zehn aufeinanderfolgenden Arztbesuchen, die in beiden Armen zu beinahe 100% ausgefüllt wurden, gaben die Patienten ihre Einschätzung von Symptomen und Lebensqualität [2]. Dabei zeigte sich, so Prof. Frank Griesinger, Oldenburg, dass die Zeit bis zur Verschlechterung von Husten und Dyspnoe mit Afatinib deutlich und signifikant verlängert wurde. Die Dyspnoe verbesserte sich im Afatinib-Arm bei 64% der Patienten, im Chemotherapie-Arm nur bei 50% (p = 0,010). Auch die Lebensqualität insgesamt (p = 0,015) ebenso wie körperliche (p < 0,001), Rollen- (p = 0,004) und kognitive Funktion (p = 0,007) waren im Verum-Arm signifikant besser. Die zahlenmäßig größten Probleme unter Afatinib waren Diarrhö und Stomatitis, die sich bei 83% bzw. 61% der Patienten in diesem Arm verschlechterten. Das Management dieser Nebenwirkungen, so Griesinger, sollte unbedingt proaktiv erfolgen, d. h. die Patienten müssen von Beginn an auf diese Problematik aufmerksam gemacht und am besten bereits prophylaktisch mit Rezepten für eine entsprechende Medikation versehen werden.
Eine Herausforderung stellt seinen Worten zufolge mancherorts noch die Zusammenarbeit zwischen Pathologie und therapierenden Ärzten dar: Medikamente wie Afatinib nutzen nur Patienten, deren Tumoren Mutationen im EGFR-Gen tragen. Patienten, die die Diagnose eines fortgeschrittenen Lungentumors erhalten, verstehen häufig nicht, dass sich die Einleitung der Therapie verzögert. Man muss offen mit ihnen darüber sprechen, so Griesinger, dass bei Kenntnis der pathologischen Ergebnisse eine bessere Therapie möglich wird. Grundsätzlich sollte man das Resultat der EGFR-Mutationstestung nicht mehr als zehn Tage nach Abgabe der Biopsie vorliegen haben.
Angiokinase-Hemmung als neuer Ansatz
Die Therapie von Lungentumoren befindet sich in rasanter Fortentwicklung, ist aber noch lange nicht zufriedenstellend. Als hochinteressanter neuer Ansatz gilt die Hemmung mehrerer für die Tumorangiogenese wichtiger Rezeptorkinasen (FGFR für Fibroblasten-Wachstumsfaktor, VEGFR für vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor und PDGFR für Thrombozyten-Wachstumsfaktor). Die Substanz Nintedanib, die diese drei Rezeptoren inhibiert, wurde in der Phase-III-Studie LUME-Lung 1 bei Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC nach Versagen einer Erstlinien-Chemotherapie in Kombination mit Docetaxel mit dem Taxan in Monotherapie verglichen [3]. Laut Studienleiter Priv.-Doz. Dr. Martin Reck, Großhansdorf, erhielten 1.314 Patienten in Europa, Asien und Südafrika alle drei Wochen 75 mg/m2 Docetaxel und dazu doppelblind täglich zweimal 200 mg Nintedanib oral oder Placebo.
Den primären Endpunkt, das progressionsfreie Überleben, konnte Nintedanib bei allen Patienten signifikant von 2,7 auf 3,4 Monate verlängern (HR 0,79; p = 0,0019), bei den Patienten mit Adenokarzinom-Histologie waren es 2,8 vs. 4,0 Monate (p = 0,0193). Bei den Patienten mit Adenokarzinom fiel sogar die Verlängerung des Gesamtüberlebens signifikant aus mit 12,6 versus 10,3 Monaten (HR 0,83; p = 0,0359); im Gesamtkollektiv war nur ein positiver Trend zu erkennen mit 10,1 vs. 9,1 Monaten (p = 0,272).
Die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher unter Nintedanib, Diarrhö (6,6% vs. 2,6%) und eine Erhöhung der Alaninaminotransferase (7,8% vs. 0,9%), waren durch supportive Maßnahmen oder Dosisreduktion gut beherrschbar. Für andere anti-angiogenetische Medikamente typische Nebenwirkungen (Hypertonie, Blutungen oder thromboembolische Ereignisse) waren im Nintedanib-Arm nicht häufiger. Auch Studienabbrüche waren in beiden Armen vergleichbar häufig.
Josef Gulden
Symposium “Fortschritt in der Therapie des NSCLC – neue Therapieansätze treffen den Bedarf” und Pressegespräch “Klinischer Bedarf und neue Perspektiven in der Zweitlinientherapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC)“ anlässlich des Deutschen Krebskongresses am 21. bzw. 20. Februar 2014 in Berlin, unterstützt bzw. veranstaltet von Boehringer Ingelheim.
Literatur
1. Sequist LV et al. J Clin Oncol 2013; 31: 3327-34.
2. Yang JC et al. J Clin Oncol 2013; 31: 3342-50.
3. Reck M et al. Lancet Oncol 2014; 15: 143-55.