24. Bundeskongress der Pathologie 2024
Politische Gesprächsrunde: „Ohne Pathologie gibt es keine Krebstherapie“
Der Berufsverband Deutscher Pathologinnen und Pathologen e. V. (BDP) tagte Ende November 2024 in Berlin. Ein Höhepunkt des zweitägigen Kongresses war eine politische Gesprächsrunde, die sich dem Thema „Rolle der Pathologie in der modernen Krebstherapie“ widmete. Fortlaufende neue Erkenntnisse in der Onkologie ermöglichen heute immer zielgerichtetere Behandlungen; dies setze allerdings eine starke und flächendeckende pathologische Diagnostik voraus, betonten die Referenten. Prof. Karl-Friedrich Bürrig, ehemaliger BDP-Präsident (Ende 2024 wurde Prof. Ludwig Wilkens zum neuen Präsidenten gewählt), sprach über politische regulatorische Herausforderungen, und Prof. Sebastian Stintzing, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Charité Universitätsmedizin, Berlin, beleuchtete das Zusammenspiel von Onkologie und Pathologie aus klinischer Perspektive. Zudem gab Dr. Dennie Andresen, AstraZeneca, einen Einblick in die Rolle der pharmazeutischen Industrie in der personalisierten Krebsmedizin und die Bedeutung der Pathologie für die Testung und Entwicklung von Arzneimitteln. Im Anschluss diskutierte die Runde unter Moderation von Lisa Braun gemeinsam mit Dr. Johannes Bruns, Deutsche Krebsgesellschaft, Franz Knieps, BKK Dachverband, und Prof. Andrew Ullmann, FDP, über die zentrale Bedeutung diagnostischer Testung, der Vergütungsformen und der Sektorengrenzen.
Pathologie, Onkologie, Diagnostik, molekularpathologische Testung, zielgerichtete Therapie, personalisierte Krebsmedizin, Honorierung
„Die Pathologie steht unter einem so hohen Druck wie schon lange nicht mehr und bewegt sich in einem ambivalenten Spannungsfeld. Auf der einen Seite wird die pathologische Diagnostik als unverzichtbar für die personalisierte Krebstherapie anerkannt – so zum Beispiel auf dem Deutschen Krebskongress oder in vielen politischen Gesprächen. Auf der anderen Seite wird das Fach zunehmend degradiert, was sich in Honorar- und Leistungskürzungen oder Nichtberücksichtigung in zentralen Gesetzen ausdrückt. Diese Entwicklungen passen nicht zusammen“, erklärte Prof. Karl-Friedrich Bürrig. So führe beispielweise die Einbudgetierung molekularpathologischer diagnostischer Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) je nach Kassenärztlicher Vereinigung (KV) des jeweiligen Bundeslandes zu Honorarkürzungen von bis zu 50 % – sodass nicht einmal kostendeckend gearbeitet werden könne, bemängelte er. Im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz würden die Pathologie und die Onkologie in der Leistungsgruppensystematik gar nicht mehr genannt.
„Jede Abwertung der fachärztlichen Leistung und jede Honorarkürzung gefährdet letztendlich die Versorgung der Patientinnen und Patienten“, betonte Bürrig und ergänzte: „Zur Wahrheit gehört auch: Kostenintensiv ist die Behandlung von Krebserkrankungen, nicht die Diagnostik.“ Die Aufwendungen für die initiale pathologische Diagnostik seien vergleichsweise gering: So kosteten beispielsweise die Biopsie und die immunhistochemische Untersuchung bei einem kolorektalen Karzinom etwa 155 Euro; werden bedarfsweise weitere molekularpathologische Untersuchungen (z. B. auf RAS und BRAF) durchgeführt, beliefen sich die Ausgaben auf etwa 720 Euro. Die Kosten für ein Krebsmedikament lägen pro Verordnung bei etwa 1.400 Euro. „Die pathologische Diagnostik ist nicht nur qualitativ hochwertig, schnell, sicher und präzise, sondern auch konkurrenzlos kostengünstig. Unsere Diagnostik nimmt Schaden von den Patientinnen und Patienten, sie vermeidet teilweise unnötige Behandlungen und damit eine Vergeudung von Mitteln. An dieser Stelle zu sparen, ist schlichtweg falsch“, unterstrich Bürrig. Auch Prof. Sebastian Stintzing unterstützte diese Einschätzung: Für einen Patienten mit metastasierter Erkrankung müssten durchschnittlich 250.000 Euro in der Behandlung berechnet werden. Dagegen seien die Kosten für die initiale pathologische Diagnostik recht übersichtlich, folgerte der Onkologe.
Interdisziplinärer Austausch: Was brauchen Onkologen und Pathologen?
Die Diagnostik und der interdisziplinäre Austausch mit dem behandelnden Fachkollegium ermöglichten oft erst zielgerichtete Therapien, erinnerte Bürrig. Stintzing stimmte zu: Ein enger Austausch zwischen Onkologen und Pathologen sei wichtig – Klinik und Pathologie sollten hier noch stärker als bisher miteinander kommunizieren.
Doch was wünschen sich onkologisch tätige Kliniker vom Pathologen? Stintzing nannte hier zunächst eine hohe Transparenz bei der Testung. So seien folgende Angaben wünschenswert:
- der geschätzte Tumoranteil im untersuchten Gewebe,
- das DNA-Extraktionsverfahren,
- das verwendete System zur Detektion von Mutationen,
- die erreichte Sensitivität.
Der anfordernde Kliniker müsse hingegen dem Pathologen mitteilen,
- welches Gewebe untersucht werden soll (Metastase oder Primarius),
- ob der Erkrankte vortherapiert ist und
- in welcher Therapiesituation sich dieser befindet.
Bei der Befundung des Pathologen wünschte sich Stintzing vor allem eine klare Sprache sowie eine einheitliche Benennung der Mutation nach klinischer Nomenklatur. So sollten anstelle der Angaben „positiv“ oder „negativ“ besser die Bezeichungen „Wildtyp“ oder „mutiert“ verwendet werden. Zudem sei es wichtig, die exakte Mutation anzugeben und nicht allgemeine Bezeichnungen wie zum Beispiel „RAS-mutiert“. In der metastasierten Situation sollten Tests eingesetzt werden, die in einheitlicher strukturierter Form für die jeweilige Entität und mit ausreichender Spezifität und Sensitivität vor allem therapierbare genetische Alterationen erfassen.
Präzisionsmedizin als Chance
Zielgerichtete Therapien machen einen hohen Anteil der neu zugelassenen onkologischen Wirkstoffe aus, erklärte Dr. Dennie Andresen. Es gebe immer mehr biomarkerassoziierte Therapiestrategien, und eine präzise Diagnostik am Anfang der Behandlungskette sei von entscheidender Bedeutung. Präzisionsmedizin führe zu besseren klinischen Ergebnissen und einer höheren Lebensqualität bei Patienten mit klinisch relevanten Alterationen im Vergleich zu nicht zielgerichteten Therapien. Die molekularpathologische Testung biete die Möglichkeit, an innovativen Therapiekonzepten teilzuhaben.
Als positives Beispiel für die gelungene Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie (hier AstraZeneca) nannte er die Testung der homologen Rekombinationsdefizienz (HRD) in Deutschland. So war der Zugang zur Testung außerhalb von Studien im Jahr 2019 noch limitiert, bevor ein Harmonisierungsprojekt in Deutschland angestoßen worden war, das als Vorbild für den weltweiten Zugang zur HRD-Testung galt. „Aktuell bieten 51 Labore die HRD-Testung in Deutschland an. Das ist ein Riesenerfolg, weil damit die Versorgung der Patienten gewährleistet werden konnte“, so Andresen.
Die Bedeutung von Multigenanalysen werde zunehmen, und die Diagnostik werde immer komplexer; zudem werde der Trend in Richtung Pan-Tumordiagnostik gehen, prognostizierte er. Eine wichtige Rolle spielten künftig auch die Datengenerierung, die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz (KI).
Als potenzielle Barrieren bei der Testung nannte er: fehlende Standards zur Bewertung neuer Biomarker und Technologien, heterogene Laborinfrastrukturen, mangelhaftes Bewusstsein bei Stakeholdern sowie verschiedene Finanzierungs- und Zulassungsprozesse für Medikamente und Diagnostika. Die mangelnde Finanzierung von Diagnostika und die unzureichende Erstattung schränkten die Einführung von neuen Tests im Labor ein. Darüber hinaus sei aufgrund der demografischen Veränderungen mit mehr Krankheitsfällen und weniger Personal zu rechnen. Die Kostendebatte werde nicht nur unter Pathologen, sondern auch unter niedergelassenen Ärzten, in Kliniken oder unter Apothekern geführt, erklärte Prof. Andrew Ullmann: „Überall heißt es immer, es reiche nicht.“ Trotz begrenzter finanzieller Ressourcen sei es wichtig, dass die innovative Diagnostik und Therapie auch bei den Patienten ankomme, betonte er. Dies sei eine zentrale Aufgabe der Politik. Allerdings müsse man ehrlich hinterfragen, was wir uns an Gesundheitsversorgung als Gesellschaft noch leisten möchten und können. Die Wahrheit sei, dass bei ständig steigenden Kosten in Zukunft nicht mehr alles finanzierbar sein werde.
Die Pathologie sollte mehr „out of the box“ denken und neue Partner für ganzheitliche Lösungen suchen, riet Franz Knieps. Im derzeit bestehenden System der Sektoren seien viele Punkte nicht lösbar.
Sektorengrenzen überwinden
„Die sektorale Trennung zwischen ambulant und stationär ist seit Langem überholt, und das Weiterdenken in Sektoren ist sinnlos. Hier muss man neu ansetzen“, so Knieps. Denn pathologische Institute – egal ob niedergelassen oder als Abteilung im Krankenhaus – erbringen ihre Leistungen in der Regel in beiden Sektoren.
Dr. Johannes Bruns nahm den Gedanken der Sektorenüberwindung im Hinblick auf die Vergütung pathologischer Leistungen auf. Eine mögliche Lösung wäre, das Budget für die Pathologie in § 116b der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) zu integrieren. „Die Pathologie sollte meiner Ansicht nach dort verankert werden“, erklärte der Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft.
Die Referenten waren sich einig: Die flächendeckende Testung sei essenziell und der Grundstein für zielgerichtete Therapien. „Die Pathologen stehen am Anfang der Patient Journey. Laufen die Dinge zu Beginn nicht gut, können sie später nicht mehr korrigiert werden. Deshalb muss man die prozessorale Diskussion aufmachen und nicht die Diskussion um einzelne Tests“, gab Bruns zu bedenken.