Nach wie vor ist das PCA die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Männern. Dr. Sabine Isabel Siegert, München, beleuchtete molekularpathologische Untersuchungen bei Betroffenen mit einem PCA. Von Interesse sind hierbei die Informationen zur hereditären Disposition der Patienten sowie zu prädiktiven und therapeutischen Implikationen der Testungen.
Jedes zehnte Prostatakarzinom hereditär
Vielfach unbekannt ist laut Siegert die Tatsache, dass das PCA bei Männern das Karzinom mit dem größten Vererbungspotenzial ist. „Wir kennen etwa 170 Loci auf nahezu allen Chromosomen, die in irgendeiner Form etwas mit der Entstehung des Prostatakarzinoms zu tun haben – natürlich nicht alleine, sondern meist in Kumulation.“ Jedes zehnte PCA werde monogen, nämlich autosomal dominant, vererbt und sei damit ein hereditärer Tumor. Ein solcher zeichne sich klinisch durch ein frühes Erkrankungsalter, ein höheres Tumorstadium bei der Erstdiagnose und einen aggressiven Verlauf aus.
Erstaunlicherweise zeigten sich aber beim Gesamtüberleben im Vergleich zum sporadischen PCA keine großen Unterschiede, erläuterte Siegert. Die Pathologin erinnerte daran, aufgrund der Assoziation mit erblichen Tumorsyndromen wie dem HBOC (Hereditary Breast and Ovarian Cancer) und dem Lynchsyndrom bei Männern mit einem hereditären PCA bei den weiblichen Familienangehörigen nach einem Mamma- oder Ovarialkarzinom zu suchen.
Welche Genalterationen führen zu einem Prostatakarzinom?
„Die meisten genetischen Veränderungen, die zur Entstehung eines Prostatakarzinoms führen, sind im Wesentlichen unbekannt“, konstatierte Siegert. Man wisse nur von etwa 10 % der Genveränderungen. Dabei handle es sich vor allem um Gene, die mit der DNA-Reparatur zu tun haben, wie die bekanntesten Vertreter BRCA1/2 sowie ATM („ataxia telangiectasia mutated“), die zu einer HRD führen und daher auch für andere Tumorerkrankungen prädisponieren.
Ebenso Patienten mit Lynchsyndrom, also Träger von Mutationen der DNA-Mismatch-Reparatur(MMR)-Gene wie MLH1 („MutL protein homolog 1“), MSH6 („mutS homolog 6“) und insbesondere MSH2, haben – unter anderem – ein erhöhtes Risiko, an einem PCA zu erkranken.
Das am häufigsten mutierte Gen beim hereditären PCA ist HOXB13 (Homeobox B13), das für einen Transkriptionsfaktor kodiert. „Es hat keine Assoziation zu High-Risk-Karzinomen und bringt kein Risiko für andere Karzinome oder für Mutationsträgerinnen mit sich“, erklärte Siegert. „HOXB13 führt zur größten Suszeptibilität für ein Prostatakarzinom, nicht aber zu aggressiven Karzinomen.“ Das höchste Risiko für eine besonders aggressive Erkrankung bergen Mutationen der Gene BRCA2, ATM und MSH2.
Persönliches Risiko und genetische Abklärung
Ein Polygenic Risk Score (PRS) untersucht definierte „single nucleotide polymorphisms“ (SNPs). Für das PCA wird der kumulative Effekt multipler bekannter Low-Risk-SNPs gemessen. Der PRS stellt laut Siegert eine erlaubte statistische Methode dar, das persönliche Risiko für ein PCA zu berechnen. In Kombination mit der Familienanamnese und eventuellen Genmutationen bietet der Score die Möglichkeit der individuellen Risikoabschätzung. Dabei ist interessant: „Ist der PRS bei einem BRCA2-Mutationsträger niedrig (5 %), sinkt das Risiko für ein PCA unter den Durchschnittswert.“ Siegerts Fazit: „Das Zusammenspiel der genetischen Veränderungen ist komplex, und wir haben hier bei Weitem noch nicht alles verstanden.“
Eine genetische Abklärung, ob ein hereditäres Karzinom vorliegt, sollte durchgeführt werden bei:
- allen Patienten mit einem metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC),
- Hochrisikokarzinomen,
- positiver Familienanamnese und
- Familienmitgliedern mit Mamma-, Ovarial- oder Pankreaskarzinom sowie mit Lynchsyndrom.
Krebsdiagnostik: auf der Suche nach „actionable targets“
Nach den Keimbahnmutationen und den ererbten Karzinomen widmete sich Siegert den molekularpathologischen Untersuchungen am Tumorgewebe, die bei PCA-Patienten Targets für eine zielgerichtete Therapie identifizieren sollen. Im metastasierten Stadium häufig zu finden sind wie bei anderen Tumoren inaktivierende Alterationen von TP53 sowie außerdem BRCA1/2-Mutationen. „Beim kastrationsresistenten PCA sind natürlich Mutationen häufig, die mit dem Androgenrezeptor (AR) zu tun haben“, ergänzte die Pathologin.
„Fast 45 % der fortgeschrittenen PCA zeigen Genveränderungen, die dem ESCAT-Level 2 a und 2b entsprechen und damit potenziell therapeutisch angehbar wären. Das ist relativ viel“, konstatierte sie. Der ESCAT(ESMO Scale for Clinical Actionability of Molecular Targets)-Score zeigt Genmodulierungen auf, die zu medikamentös angehbaren Veränderungen führen. Nur bei 4 % aller PCA findet sich eine hohe Tumormutationslast, die beim PCA als ≥ 20 Mutationen/Mb definiert ist, oder eine hohe Mikrosatelliteninstabilität, sodass theoretisch eine Off-Label-Therapie mit einem Checkpoint-Inhibitor möglich wäre.
Alterationen von HRD-Genen meist nur somatisch
Die meisten Mutationen von HRD-Genen – am häufigsten sind BRCA1/2-, ATM- und FANCA(„Fanconi anaemia, complementation group A“)-Alterationen – sind laut Siegert beim PCA somatisch, also nur im Tumor vorhanden und nicht in der Keimbahn. Diese prädisponieren für eine Therapie mit PARP-Inhibitoren (PARPi) – zugelassen ist derzeit als Monotherapie Olaparib nach Vorbehandlung mit einem New Hormonal Agent (NHA) bei Nachweis einer BRCA1/2-Mutation (somatisch oder Keimbahn). Siegert erklärte: „Die HRD-Diagnostik ist in den Leitlinien angekommen.“
In der aktuellen Version der S3-Leitlinie lautet die Empfehlung beim mCRPC [1]: „Falls keine positiven Ergebnisse einer früher durchgeführten Keimbahntestung vorliegen, soll vor Einleitung einer systemischen Therapie des metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinoms die Sequenzierung (Keimbahn, somatisch) von Genen, die in der Reparatur der homologen DNS-Rekombination (homologe Rekombinationsreparatur [HRR]) eine Rolle spielen, durchgeführt werden.“ Der Empfehlung mit Empfehlungsgrad 1 liegt ein hohes Evidenzlevel zugrunde. Solche Multigenanalysen könnten nicht nur Aussagen zur wahrscheinlichen Wirksamkeit von PARPi-basierten Therapien, sondern auch über das Vorliegen von Androgenrezeptor(AR)-Mutationen zur Wirksamkeit von AR-gerichteten Therapien liefern, erinnerte Siegert. Zuweilen fänden sich bei Multigenanalysen fortgeschrittener PCA auch Alterationen, die bei anderen Tumoren therapeutisch adressiert werden, wie zum Beispiel EGFR-Amplifikationen. Dafür lägen beim PCA keine Zulassungen vor, es könnte aber in späten Therapielinien mithilfe von Einzelfallentscheidungen ein Therapieversuch gestartet werden, so Siegert.
BRCA-Testung bleibt wichtig
Auch Prof. Maximilan Kriegmair, Planegg, unterstrich die große Bedeutung der HRD-Mutationen, allen voran der BRCA-Mutationen bei den gewebebasierten Biomarkern im aktuellen klinischen Alltag. „Beim PCA brauchen wir Biomarker, die uns durch die vielen Therapiesequenzen führen. Je weiter die Erkrankung fortschreitet, umso mehr Therapiemöglichkeiten in Ergänzung zur Androgendeprivation stehen zur Verfügung.“ Abseits ihrer prädiktiven Bedeutung hätten BRCA-Mutationen außerdem eine prognostische Bedeutung. „BRCA-Wildtyp-Patienten leben deutlich länger“, betonte Kriegmair.
Seit einiger Zeit stehen auch Kombinationstherapien aus PARPi und einer AR-gerichteten Therapie mit einem NHA zur Verfügung, für die keine BRCA-Testung notwendig ist und die beim mCRPC bereits in der Erstlinie eingesetzt werden können, wenn eine Chemotherapie nicht indiziert ist. Die Studien zeigten zwar in der unselektionierten Gesamtpopulation Vorteile für die Kombination, aber Subgruppenanalysen verdeutlichten, dass die Effekte vor allem durch die Patienten mit BRCA-Mutation getrieben waren, erklärte Kriegmair weiter. Die Biomarkerbestimmung sei daher weiterhin sinnvoll, um die Patienten zu identifizieren, die sicher und relevant von der Therapie profitieren. Eine mögliche Vorgehensweise sei, in der Erstlinie mit der Kombination aus PARPi und NHA zu starten, die Testung zu initiieren und bei Patienten ohne BRCA-Mutation bei schlechter Verträglichkeit niederschwellig zu deeskalieren und den PARPi abzusetzen.