Aus Tieren gewonnene Antikörper bleiben unverzichtbar in Forschung und Klinik
DOI: https://doi.org/10.47184/ti.2020.04.07Zusammen mit César Milstein wurde Georges Köhler mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 1984 für die Entdeckung, wie man monoklonale Antikörper mittels Hybridomzellen in großer Menge produzieren kann, ausgezeichnet. Diese Technologie stellt einen der bedeutendsten Meilensteine der Immunologie dar und ist nicht nur die Grundlage für unsere heutige Forschung; auch aus dem klinischen Alltag sind Antikörper zur Behandlung von Patienten mit Tumor- und Autoimmunerkrankungen nicht mehr wegzudenken.
Mit diesem Beitrag möchte die Deutsche Gesellschaft für Immunologie (DGfI) auf Bestrebungen mit starkem Verdacht einer zugrundeliegenden lobbyistischen Absicht hinweisen, deren Ziel es ist, Antikörper, die im Tier generiert wurden oder zukünftig generiert werden sollen, aus der Wissenschaft und aus der Klinik zu verbannen und zu verbieten. Die DGfI beteiligt sich am Widerstand der internationalen wissenschaftlichen Community gegen diese wissenschaftsfeindlichen Bestrebungen.
Am 15. Mai 2020 gab das EU-Referenzlabor für Alternativen zu Tierversuchen (EU Reference Laboratory for Alternatives to Animal Testing), kurz EURL ECVAM, eine Stellungnahme ab, die suggeriert, dass die Nutzung von Antikörpern, die aus Tieren gewonnen wurden, wissenschaftlich überholt und ethisch verwerflich sei [1]. In diesem Statement wird u. a. behauptet, dass aus Tieren gewonnene Antikörper massive Qualitätsprobleme aufweisen würden, insbesondere, dass sie unspezifisch seien. Darüber hinaus wird behauptet, aus Tieren gewonnene Antikörper seien unter Tierschutzaspekten unethisch und daher durch Alternativen, wie Antikörper aus recombinant libraries, zu ersetzen. Journale sollen im Regelfall Manuskripte zurückweisen, deren Daten auf Antikörpern aus Tieren beruhen, und Fördermittel im Allgemeinen nicht für wissenschaftliche Projekte gegeben werden, die aus Tieren gewonnene Antikörper verwenden. Diese Behauptungen und Empfehlungen wurden als „Correspondence“ in „Nature Methods“ publiziert [2] und in „Nature“ [3] von den gleichen Autoren wiederholt. Dabei fällt auf, dass eben diese Autoren sowohl als beratende „Ad-hoc Members“ die EU-Empfehlungen maßgeblich erarbeitet haben, als auch ihre eigenen Empfehlungen dann noch in einem „independent scientific peer review“ bestätigt haben. Besonders hervorzuheben ist, dass diese Personen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Gründer, Aufsichtsratsmitglieder oder Mitarbeiter von Firmen sind, die Antikörper aus recombinant libraries oder z. B. DARPINs (Designed Ankyrin Repeat Proteins) produzieren und verkaufen.
Dieser als Tierschutz getarnte industrielle Rabiat-Lobbyismus hat Chancen, Grundlage einer EU-Richtlinie zu werden. Dagegen regt sich in der wissenschaftlichen Community massiver Widerstand.
Selbstverständlich unterstützt die DGfI alle Bemühungen, die Zahl der Tiere in Tierversuchen zu reduzieren und Alternativen zu identifizieren. Die derzeitigen Empfehlungen des EURL ECVAM sind jedoch wissenschaftlich völlig unhaltbar und hätten im Falle ihrer Umsetzung in europäisches Recht dramatische Auswirkungen auf die biomedizinische Forschung in Europa.
Die DGfI ist im engen Austausch mit verschiedenen Fachgesellschaften auf deutscher und europäischer Ebene und arbeitet intensiv daran, ein politisches Statement zu veröffentlichen, um sowohl auf politischer Ebene als auch bei Drittmittelgebern die Gefahr dieser Lobby-Bestrebungen zu verdeutlichen.
Einige klare Stellungnahmen wissenschaftlicher Fachgesellschaften sind bereits veröffentlicht und nachfolgend aufgelistet. Mit dieser Lektüre sollte es möglich sein, sich selbst ein Bild darüber zu machen, warum es so wichtig für unsere wissenschaftliche Community ist, hier Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zu weiteren Entwicklungen werden wir die Mitglieder der DGfI auf dem neuesten Stand halten.
Stellungnahmen
1) In einer ersten Gegendarstellung zur Empfehlung des EU-Referenzlabors ECVAM zur Verbannung von im Tier-hergestellten Antikörpern äußern sich – ebenfalls im Fachjournal „Nature Methods“ – spanische Wissenschaftler der Confederation of Spanish Scientific Societies (COSCE) zusammen mit der Europäischen Tierversuchsassoziation (European Animal Research Association, EARA) [4]. In diesem Beitrag wird sowohl die EU-Empfehlung als auch der in „Nature“ publizierte Beitrag kritisch und auf prägnante Art hinterfragt. Dieser Artikel ist insbesondere deswegen interessant zu lesen, da hier unseres Erachtens nach ein wichtiger Aspekt fehlt, nämlich die Bedeutung des Autorenteams, dessen Mitgliedern allen jeweils Firmenanteile gehören oder die in verschiedenen Firmen arbeiten, die Tier-unabhängige Antikörper entwickeln und verkaufen.
https://doi.org/10.1038/s41592-020-00977-5
2) Das Forschungsinstitut Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB) hat ein 14-seitiges Statement mit Beiträgen von Experten des Instituts, aber auch von Experten aus belgischen Biotech- und Pharmaunternehmen verfasst [5]. In diesem sehr wissenschaftlich ausgearbeiteten Beitrag werden wichtige Schlüsselpublikationen zitiert, die sowohl die Vor- als auch die Nachteile von Antikörpern darstellen, die nicht im Tier generiert wurden. Hier werden sorgfältig die Darlegungen der EU-Empfehlung mit anderen Publikationen verglichen. Es wird das Potential von Antikörpern aus Tier-Immunisierungen sachlich richtiggestellt. Viele einseitige Darstellungen und Fehlinformationen werden dabei aufgedeckt. Enthalten ist auch die Forderung nach vergleichenden Studien unter Beteiligung vieler Wissenschaftler, um Antikörper aus beiden Systemen in ihrer Effizienz zu vergleichen. Dieser Artikel ist sehr lesenswert, wenn man ein bisschen Zeit hat und tiefgründig in die Materie einsteigen will. Zudem wurde ein Statement in „EMBO reports“ veröffentlicht [6].
https://vib.be/news/opinion-do-not-ban-animal-immunization-antibody-production
3) Vom Dachverband der Europäischen Gesellschaften für Immunologie EFIS wurde ein kurzes, aber prägnantes Statement veröffentlicht [7]. Momentan erarbeitet EFIS zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Immunologie eine politisch kraftvolle Gegendarstellung.
https://www.efis.org/cms/upload/bilder/home/EFIS_EFIS-Vaccine-TF_EURL-ECVAM-Statement_20201022.pdf
4) Die League of European Research Universities (LERU) hat in seinem 8-seitigen Statement [8] nicht nur systematisch erarbeitet, an welchen Stellen die EURL ECVAM Fehlinformationen veröffentlicht hat, sondern auch aufgezeigt, welche Vorteile insbesondere aus dem Tier gewonnene polyklonale Antikörper aufweisen. Diese können über Phage-Display in dieser Art derzeitig nicht generiert werden. LERU hat verschiedenste Beispiele, u. a. Gegengifte für Schlangen- und Skorpionbisse, aufgeführt, in denen nur polyklonale Antikörper funktionieren. Solche polyklonalen Antikörperseren retten nicht nur vielen Menschen jährlich das Leben, sondern sie mildern auch Folgeschäden ab.
5) In einem sehr offensiven Schreiben in „Nature“ nimmt Matt Truppo von Janssen Pharmaceutical Companies of Johnson & Johnson, Spring House, Pennsylvania, USA Bezug auf die Empfehlung von EURL ECVAM und bezieht zu den zuerst in „Nature“ und „Nature Methods“ publizierten Schreiben von Gray et al. Stellung. Das Schreiben beginnt mit den Worten: „Wir sind nicht einverstanden mit den Behauptungen von Alison Gray und Kollegen, dass synthetische Antikörper die aus Tieren gewonnenen Antikörper in „allen bekannten Anwendungen“ ersetzen können“ [9].