Überblick und Einblick in den Transregio SFB 237 Nucleic Acid Immunity

Nukleinsäureimmunität

Nukleinsäuren definieren das Erbgut eines jeden Lebewesens. Das Eindringen fremder Nukleinsäuren stellt daher eine Gefahr dar. Die Abwehr fremder Nukleinsäuren ist somit eine der grundlegendsten Aufgaben des Immunsystems. Deshalb entwickelten Lebewesen auf verschiedensten Stufen Mechanismen, um diese gezielt zu erkennen und zu eliminieren. Die Gesamtheit dieser Mechanismen wird heute als Nukleinsäureimmunität bezeichnet [1, 2]. 
Fremde Nukleinsäuren werden durch das angeborene Immunsystem identifiziert, das mit seinen genetisch angelegten Rezeptoren hochkonservierte molekulare Strukturen erkennt. Diese Rezeptoren werden als Mustererkennungsrezeptoren (Pattern Recognition Receptors, PRR) bezeichnet [3]. Vertreter dieser Rezeptorfamilien sind die Toll-like Rezeptoren (TLR), RIG-I-like Rezeptoren (RLR), Nod-like Rezeptoren, Lectin-like Rezeptoren und andere [4]. Die von ihnen erkannten hochkonservierten molekularen Strukturen werden in Indikatoren für Pathogene, also „Pathogen Associated Molecular Patterns“ (PAMP), und für Gefahren, also „Danger Associated Molekular Patterns“ (DAMP), unterteilt. Das bekannteste Beispiel für eine Pathogen-assoziierte molekulare Struktur sind die Lipopolysaccharide (LPS) gramnegativer Bakterien. LPS ist unserem Organismus fremd und somit durch TLR4 eindeutig als PAMP erkennbar [5]. Wie jedoch erkennt unser Immunsystem Nukleinsäuren von fremden Organismen, wenn sie doch ebenso unser eigenes Erbgut definieren?

Prinzipien der Nukleinsäure­erkennung

Nukleinsäuren haben eine universelle Grundstruktur und können daher nicht durch diese grundlegenden molekularen Strukturen als eigene oder fremde DNA oder RNA identifiziert werden. Um fremde von eigenen Nukleinsäuren unterscheiden zu können, nutzt das Immunsystem die folgenden Prinzipien: Zugänglichkeit und Konzentration, Lokalisation und spezielle strukturelle molekulare Muster. Die lokale Zugänglichkeit von Nukleinsäuren wird durch deren Konzentration in Verbindung mit der Degradation durch Nukleasen und der Bindung an weitere Komponenten wie Proteine und dem daraus folgenden Einfluss auf Stabilität und Erkennbarkeit beeinflusst. Beispielsweise baut DNase II phagozytierte DNA von apoptotischen Zellen oder Bakterien ab und macht die kurzen DNA-Fragmente für TLR9 verfügbar. TLR9 wird durch kurze DNA-Fragmente aktiviert, die unmethlyierte CpG-Motive enthalten, wie sie vor allem in bakterieller DNA vorkommen. Ebenso weist die Lokalisation von Nukleinsäuren in Kompartimenten einer Zelle, die in ihrer Form ungewöhnlich ist, zum Beispiel DNA im Zytoplasma, auf einen nicht-physiologischen Kontext hin. Strukturell können fremde Nukleinsäuren anhand spezieller Sequenzmotive, besonderer Konformation und fremdartiger chemischer Modifikationen erkannt werden. So sind zum Beispiel die Enden humaner mRNA und viraler RNA mit anderen Cap-Modifikationen versehen, oder die zuvor genannten CpG-Motive nicht wie bei humaner DNA zumeist methyliert [6].   

Rezeptoren der Nukleinsäure­immunität

Die Nukleinsäure-spezifischen Immunrezeptoren, die dem Immunsystem die Erkennung fremder Nukleinsäuren ermöglichen, werden auf Basis ihrer Funktion in zwei Gruppen unterteilt: Rezeptoren mit Effektorfunktionen wie 2'-5'-Oligoadenylatsynthetase 1 (OAS1) oder doppelsträngige RNA-spezifische Adenosin-Desaminase (ADAR1) erkennen fremde Nukleinsäuren und führen eigenständig zum Abbau oder Umbau der Nukleinsäuren. Proteinkinase R (PKR) hingegen hemmt die allgemeine Proteinsynthese. Außerdem kann ein weiterer Effekt dieser Rezeptoren die Steigerung der Sensitivität der zweiten Gruppe der Nukleinsäure-Rezeptoren sein. Diese zweite Gruppe von Rezeptoren induzieren vornehmlich indirekt antivirale Effekte über die Aktivierung von Signalketten. Vertreter dieser Gruppe erkennen Nukleinsäuren außerhalb der Zelle (TLR3), in Endolysosomen (TLR7, TLR8, TLR9) und im Zytosol (RIG-I, MDA5, cGAS, AIM2) [6]. Charakteristisch für die Aktivierung dieser Rezeptoren ist die Induktion von Typ-I-Interferon und den Interferon-induzierbaren Genen [7]. Die Aktivierung von AIM2 hingegen führt zur Bildung eines sogenannten Inflammasoms und der Sekretion von IL-1 beta [8, 9]. In der Folge werden erkannte Erreger in Abhängigkeit des induzierten Signals in ihrer Vermehrung gehemmt oder direkt, beziehungsweise zusammen mit den von ihnen infizierten Zellen, abgetötet. 

Transregio 237 Nukleinsäureimmunität

Das Konzept der Erkennung konservierter Muster durch die Rezeptoren des angeborenen Immunsystems wurde 1989 von Charles Janeway vorgestellt [3]. Etwa ein Jahrzehnt später wurde TLR9 als erster mustererkennender Rezeptor (PRR) beschrieben, der Nukleinsäuren erkennt [10]. Seit 2000 wird intensiv an den Rezeptoren und Mechanismen der Erkennung von Nukleinsäuren und der in Folge induzierten Immunantworten, also der Nukleinsäureimmunität geforscht. Diese Forschung hat wichtige neue Erkenntnisse hervorgebracht [1, 2]. Je mehr wir jedoch über die Erkennung von Nukleinsäuren und der Immunreaktion lernen, desto mehr neue Lücken tun sich auf. Letztlich stehen wir immer noch am Anfang, das Zusammenspiel aller involvierten Rezeptoren und Signalwege und der daraus resultierenden Krankheitsbilder zu verstehen. 
Um die Kompetenz und die Ressourcen der Forschungsexpertise in Deutschland in diesem Feld zu bündeln wurde 2017 die Initiative zu einem SFB/Transregio der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestartet. Bereits im folgenden Jahr wurde der SFB/Transregio 237 Nukleinsäureimmunität mit Unterstützung der DFG gegründet. Die aktuell insgesamt 21 wissenschaftlichen Projekte verteilen sich auf die vier Standorte Bonn, München, Dresden und Marburg und beschäftigen sich mit zwei grundlegenden Themengebieten: Die Projekte des ersten Themengebiets untersuchen die Mechanismen der Nukleinsäureimmunität auf molekularer und zellulärer Ebene. Das zweite Themengebiet widmet sich den funktionalen Konsequenzen der Nukleinsäureimmunität auf systemischer Ebene. 
So vielfältig wie die untersuchten Themen des Verbundes sind auch die bisher publizierten Ergebnisse dieser Verbundforschung. Unter anderem wurde erkannt, dass der humane NOD-like Rezeptor NLRP1 direkt von doppelsträngiger RNA aktiviert wird, wie sie bei der Replikation von Viren mit einzelsträngigem RNA-Genom positiver Polarität entstehen [11]. NLRP1 ist in Keratinozyten hoch exprimiert und trägt so zur Barrierefunktion der Haut bei. Weiter wurde entdeckt, dass die Aktivierung von TLR8 im Endolysosom durch intrazelluläre Pathogene von der synergistischen Freisetzung von Uridine durch die Spaltung pathogener RNA durch die Endoribonukleasen RNaseT2 und RNase 2 abhängt [12]. Ebenso konnte zum besseren Verständnis von Typ-I-Interferonopathien wie dem Aicardi-Goutières-Syndrom [13, 14] oder STING-assoziierter infantiler Vaskulopathie (SAVI) [15] beigetragen werden, um nur ein paar Beispiele zu nennen. 
Mit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie haben sich natürlich auch viele unserer Projektleiter und Wissenschaftler der Erforschung dieses Virus und der ausgelösten Krankheit COVID-19 [16–18] sowie der Entwicklung von Untersuchungsmodellen [19] und Therapiemöglichkeiten [20, 21] gewidmet. Zur Weiterentwicklung von Nanobodies zur passiven Immunisierung gegen SARS-CoV-2 wurde im letzten Jahr die Firma DiosCURE durch Florian Schmidt, Paul König und Eicke Latz ausgegründet. 
Zurzeit bereiten wir den Fortsetzungsantrag für eine zweite Förderperiode vor, in der wir auf bestehenden Erkenntnissen aufbauend weitere Aspekte der Nukleinsäureimmunität erforschen wollen. Ein Höhepunkt der aktuellen Förderperiode wird eine weitere internationale Konferenz zu Nukleinsäureimmunität in 2022 sein, die wir in Edinburgh organisieren und zu der wir in Kürze einladen. Wenn Sie mehr über den Transregio 237 Nukleinsäureimmunität, unsere Projekte und Veranstaltungen erfahren möchten, besuchen Sie gerne unsere Webseite www.trr237.uni-bonn.de.

Autoren
Prof. Dr. Gunther Hartmann
Sprecher
Universitätsklinikum Bonn
Prof. Dr. Veit Hornung
Co-Sprecher
Genzentrum, LMU München
Prof. Dr. Axel Roers
Co-Sprecher
Institut für Immunologie, TU Dresden
Dr. Simon Görgen
Koordinator
Universitätsklinikum Bonn