Das nationale Kompetenznetzwerk für Hochdurchsatzsequenzierung
Die Hochdurchsatzsequenzierung (NGS) ganzer Genome, Transkriptome oder Epigenome spielt in den Lebenswissenschaften und der Medizin eine immer wichtigere Rolle. Mit der Möglichkeit, solche Untersuchungen sogar auf der Ebene einzelner Zellen durchzuführen, hat die Genomforschung das Potenzial, Medizin und Lebenswissenschaften zu revolutionieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert seit 2018 vier NGS-Kompetenzzentren (NGS-CCs). Mithilfe einer zentralen Koordinationseinheit (CCU) sollen Synergien zwischen den Zentren in einem Netzwerkverbund geschaffen werden. Die NGS-CCs bieten neben wissenschaftlich anspruchsvollem NGS-Service auch Unterstützung und Beratung bei der Entwicklung von NGS-Studien sowie bei der Auswertung der anfallenden Daten an. Darüber hinaus trägt das Netzwerk zu nationalen Standards für den sicheren Einsatz der Genomanalyse in der Medizin bei.
Schlüsselwörter: NGS-Kompetenznetzwerk, Genomforschung, DFG-geförderte Sequenzierungsprojekte
Einleitung
Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat sich die Genomforschung rasant weiterentwickelt [1–8]. Die Einführung der Hochdurchsatzsequenzierung (Next Generation Sequencing, NGS) im Jahr 2007 führte zu einem enormen Boost der Genomforschung in allen Bereichen der Lebenswissenschaften und der Medizin [9, 10]. Auch die genomische Diagnostik hat inzwischen in einigen Bereichen, unter anderem bei seltenen Erkrankungen und in der Onkologie, Einzug in den klinischen Alltag gehalten [5–8, 11]. Mit der Einzelzellgenomik geht die nächste genomische Revolution einher, die alle Bereiche der Lebenswissenschaften und der Medizin transformieren wird [3, 4].
Für die Immunologie bedeuten die Möglichkeiten der Genomforschung ebenfalls einen Paradigmen-Wechsel [12–15]. Systembiologische Ansätze halten Einzug in die Entschlüsselung von komplexen Volkskrankheiten. Und neben der Genomforschung tragen andere wissenschaftliche Disziplinen wie die Bioinformatik maßgeblich zum Verständnis immunologischer Prinzipien bei [16].
Die Beschreibung von immunologischen Zelltypen, deren funktionelle Zustände, Differenzierung, Aktivierung und Funktionalität werden zusehends durch nicht-immunologische Techniken umfänglich definiert werden. Neue Fähigkeiten, neues Know-how und Expertise werden in der immunologischen Forschung und mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der klinischen Immunologie notwendig werden. Der interdisziplinäre Forschungsansatz systembiologischer/-medizinischer Forschung unter Einbeziehung genomischer Daten wird den Alltag eines Immunologen genauso verändern, wie dies in anderen Bereichen der Lebenswissenschaften, zum Beispiel in der Onkologie, bereits geschehen ist.
In dieser kurzen Übersicht versuchen wir, die Entwicklung und die Ziele des durch die DFG geförderten NGS-Kompetenznetzwerkes (NGS-CN, Abb. 1) zu erläutern, und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für die immunologische Forschung in Deutschland zu beleuchten.
Historie
Nachdem das Ergebnis des Humanen Genomprojektes bekannt war, entschied die deutsche Regierung unter Federführung des BMBF, ein Programm zur Genomforschung aufzusetzen, das sogenannte Nationale Genomforschungsnetzwerk (NGFN). In mehreren erfolgreichen Förderperioden wurde das NGFN zwischen 2001 und 2013 gefördert. Insgesamt mehr als 5.200 Publikationen entstanden aus diesem medizinisch orientierten Genomforschungsnetzwerk. Auch in den Folgejahren wurden wichtige Konsortien gefördert, so z. B. das Deutsche Epigenom-Netzwerk.
Danach wurden in Deutschland entgegen dem internationalen Trend nicht mehr weitere große Initiativen gestartet, wie die 2015 ins Leben gerufene „Precision Medicine Initiative“ in den USA [17], „The 100.000 Genomes Project“ im Vereinigten Königreich [18] oder „France Genomique“. Deutschland gehört auch nicht zu den Staaten mit großen Programmen zur Sequenzierung von mehr als 100.000 humanen Genomen (wie z. B. UK, China, Japan, Australien, Saudi-Arabien, USA).
Der vielbeachtete Zukunftsreport 2014 der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum Thema Herausforderungen der Omics-Technologien für Deutschlands Infrastrukturen in Forschung und Lehre führte zum Einsatz von Expertengremien durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das BMBF. Aufgrund der Diskussionen dieser Expertengremien entwickelte die DFG ein Konzept der kompetitiven Förderung zur Entwicklung von Genomzentren und der Möglichkeit für alle Wissenschaftler der Lebenswissenschaften in Deutschland, in drei – teilweise bereits begonnenen – Runden Fördermittel für Genomforschung einzuwerben. Aus dem Wettbewerb für die Genomzentren sind im Jahr 2018 vier NGS-CCs erfolgreich hervorgegangen, die seit 2019 über die in Bonn am LIMES-Institut angesiedelte „Central Coordination Unit“ (CCU) (https://www.ngscn-ccu.uni-bonn.de/en/ngs-cn) zu einem Netzwerk der NGS-Kompetenzzentren zusammengeführt werden:
1. das Competence Center for Genomic Analysis Kiel (https://cloud.ikmb.uni-kiel.de/landing_page/about_us),
2. das Dresden Concept Genome Center (https://genomecenter.tu-dresden.de/about-us),
3. das NGS Competence Center Tübingen (https://www.medizin.uni-
tuebingen.de/de/en/Research/Research+Infrastructure/NCCT+(NGS+Competence+Center+T%C3%BCbingen)+.html) und das
4. West German Genome Center
(https://www.wggc.uni-bonn.de/en)
Aufgabe dieses Netzwerkes ist es, neue Konzepte der Gestaltung der Genomforschung in Deutschland zu entwickeln, Beratung und Durchführung DFG-geförderter Sequenzierungsprojekte anzubieten, Interaktionen mit anderen Wissenschaftsstandorten aufzubauen und weitere Chancen und Möglichkeiten der Genomforschung in Deutschland zu eruieren.
Das NGS-Kompetenznetzwerk ist zunächst für drei Jahre durch die DFG finanziert. Es steht außer Frage, dass dies nur der Anfang für die Entwicklung weiterreichender Netzwerkstrukturen und für eine stabile und nachhaltige Finanzierung der Genomforschung in Deutschland sein kann.
Konzepte der Genomforschung
Die Möglichkeiten der Hochdurchsatzsequenzierung und die damit verbundene Vielzahl verschiedenster Technologien, Methoden, Prozesse und Arbeitsabläufe erlaubt es dem einzelnen Forscher nicht, diese wichtige Technologie im eigenen Labor zu etablieren. Vielmehr bedarf es hochspezialisierter Zentren, diese Technologie allen Wissenschaftlern so zur Verfügung stellen, dass diese schnellen und umfänglichen Zugang erhalten, um sich auf ihre wissenschaftlichen Fragestellungen konzentrieren zu können.
Im internationalen Vergleich heben sich die Standorte hervor, die entsprechend effiziente Organisationsformen sowie entsprechende Mittel und Infrastruktur zur Verfügung gestellt haben. Beispiele sind das Broad Institute im Forschungsraum Boston, USA, das Sanger Institute in Hinxton, UK oder nationale Einrichtungen am Karolinska Institut in Stockholm, Schweden.
In einem föderalen Land wie Deutschland scheint eine Abwandlung zentraler Konzepte angeraten; hier eignet sich ein Netzwerk spezialisierter Genomzentren, die eng miteinander zusammenarbeiten. Das durch die DFG geförderte NGS-CN stellt einen solchen ersten Schritt dar, um die Genomforschung flächendeckend für die Lebenswissenschaften und die Medizin zugänglich zu machen. Bei der Einrichtung dieses Netzwerkes lag der Fokus auf der Unterstützung universitärer Genomforschung. Es steht jedoch außer Frage, dass eine Verknüpfung mit Standorten mit starker Genomforschung vonnöten ist. Insbesondere muss eine Verzahnung mit Großforschungseinrichtungen wie der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft gelingen, um die Genomforschung auf Dauer erfolgreich in Deutschland zu verankern.
Langfristig muss jeder universitäre Standort mit einer medizinischen Fakultät einen Hub für Genomforschung aufbauen. Nicht jeder Standort wird alle Subdisziplinen der Sequenzierung vorhalten können, aber ohne Genomforschung werden deutsche Universitätskliniken ihre Zukunftsfähigkeit verspielen. Die jetzt bestehenden vier Zentren könnten als Kristallisationspunkte oder zentrale Hubs im Gesamtnetzwerk dienen. Im WGGC wird diese Idee bereits umgesetzt; mit Aachen, Saarbrücken und Essen-Duisburg sind neben den drei Hauptstandorten Köln, Bonn und Düsseldorf bereits weitere universitäre Partner vernetzt. Mit dem DZNE und dem Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung kommen bereits zwei nicht-universitäre Forschungseinrichtungen als Partner hinzu.
DFG-geförderte Sequenzierungsprojekte
Eine wesentliche Aufgabe der NGS-CCs liegt in der Beratung, Durchführung und wissenschaftlichen Begleitung von universitären Sequenzierungsprojekten (Tab. 1).
Dazu hat die DFG 2018 den ersten von drei aufeinanderfolgenden Aufrufen zur Einreichung von Sequenzierungsprojekten gestartet. Insgesamt 53 Projekte mit einem Gesamtvolumen von über 14 Millionen Euro wurden in der ersten Runde gefördert. Diese Projekte stehen in den nächsten Monaten zur Sequenzierung in den eingerichteten NGS-Kompetenzzentren an. Die Begutachtung des zweiten Aufrufs ist bereits abgeschlossen und die Ergebnisse werden in den nächsten Wochen erwartet. Ein dritter Aufruf zur Einreichung von Projekten ist für Anfang 2020 vorgesehen. Ob es weitere Förderrunden geben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht entschieden. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, auch andere Förderinstrumente der DFG, vom Einzelverfahren bis zum SFB mit den NGS-Zentren zu verknüpfen. Hier stehen die Zentren ebenfalls für die Beratung, die Konzeptionierung von Sequenzierungsprojekten und deren Durchführung und Analyse als Partner zur Verfügung.
Interaktionen mit anderen Wissenschaftsstandorten, Chancen und Möglichkeiten
Nicht nur im Zusammenhang mit Forschungsverbundprojekten bestehen vielerlei Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Wissenschaftsstandorten ohne NGS-CC mit einem der existierenden Zentren. Nachdem sich das Netzwerk etabliert hat, besteht nun die Gelegenheit, das Netzwerk auch auf andere Standorte auszudehnen. Von den Synergien, die sich bereits heute zwischen den NGS-CCs abzeichnen, können auch andere Standorte profitieren. Ganz besonders dringlich wird die Weiterentwicklung der Genomforschung im Hinblick auf eine Teilnahme Deutschlands an einer modernen Präzisionsmedizin, die ohne Genomforschung und Sequenzierung gar nicht denkbar ist. Berücksichtigt man dabei, in welchem Tempo andere Länder hier bereits vorangeschritten sind, scheint die Vernetzung zumindest aller Standorte mit Universitätsmedizin in Deutschland eine conditio sine qua non zu sein.
Fazit
Die Genomforschung ist auf dem besten Weg, eine der zentralen Säulen der Medizin und der Lebenswissenschaften zu werden. Auch die Immunologie wird von dieser Entwicklung enorm profitieren. Das DFG-geförderte NGS-CN stellt einen Baustein dar, diese weltweit zu beobachtende Entwicklung auch in Deutschland für anspruchsvolle biomedizinische bzw. immunologische Forschung und langfristig für eine effiziente, personalisierte Patientenversorgung zu nutzen.
Es steht außer Frage, dass unsere bisherigen Anstrengungen in der Genomforschung und in den kooperierenden Disziplinen in Deutschland nicht ausreichen, um international kompetitive Entwicklung und Forschung auf diesem Gebiet langfristig zu betreiben. Jetzt ist nicht mehr nur die DFG gefordert, diesen innovativen und zukunftsorientierten Forschungsbereich mit entsprechenden Fördermaßnahmen weiterzuentwickeln, sondern andere Forschungsförderer auf Landes- und Bundesebene müssen hier die Zeichen der Zeit erkennen. Die Kombination von Immunsystemforschung im Kontext der großen Volkskrankheiten mit der Genomforschung [14] bietet eine einmalige Gelegenheit für Deutschland, bei der medizinischen Forschung auch in Zukunft international eine wichtige Rolle zu spielen.