Nephrologische Stufendiagnostik: Ursachen und Konsequenzen der Hämaturie

DOI: https://doi.org/10.47184/td.2024.01.02

Erkrankungen der Niere und der Harnwege müssen frühzeitig erkannt werden, um eine Chronifizierung bzw. Folgeerkrankungen zu verhindern und eine zielgerichtete Therapie einleiten zu können. Erster Schritt der stufenweisen Diagnostik einer Hämaturie ist ein orientierender Urinstreifentest. Anschließend werden eine Sedimentuntersuchung und eine Urineiweißdifferenzierung durchgeführt, denen gegebenenfalls weitere Untersuchungen folgen.

Schlüsselwörter: Urinteststreifen, Mikroskopie, Erythrozyten, Morphologie, Proteinurie

Erkrankungen der Nieren und der Harnwege können oftmals schwerwiegende Folgen haben. Hierzu gehören u. a. die Entwicklung chronischer Krankheitsverläufe, lebensbedrohliche septische Erkrankungen, die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie oder beispielsweise die Einleitung onkologischer Therapiemaßnahmen. Diese Situationen schränken die Lebensqualität und die Lebenserwartung betroffener Menschen deutlich ein. Deshalb ist es wichtig, durch entsprechende diagnostische Maßnahmen Erkrankungen der Nieren und des Urogenitaltraktes frühzeitig zu erkennen und zu beeinflussen.

In der klinischen Praxis stehen zahlreiche Untersuchungsverfahren zur Abklärung einer Nierenerkrankung zur Verfügung. Sie sollten zum Wohle der Betroffenen und auch aus medizinökonomischen Gründen rational und ziel­orientiert eingesetzt werden.

Neben der Erfassung der GFR gehört die Untersuchung des Urins zu den grundsätzlichen diagnostischen Maßnahmen. Sie liefert Hinweise auf eine evtl. Krankheitsursache und lässt eine Einschätzung entzündlicher Prozesse sowie eine Beurteilung von Nierenfunktionsstörungen zu. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Erfassung und Differenzierung einer Hämaturie.

Urinanalytik

Das rationale und stufenweise Vorgehen zur Abklärung einer Hämaturie ist in Abb. 1 zusammengefasst [1].

Eine erste Orientierung kann ein Urinstreifentest (Urinstick) liefern. Damit lässt sich semiquantitativ Hämoglobin (Erythrozyten) nachweisen. Um allerdings valide Aussagen zum Nachweis von Erythrozyten und/oder Leukozyten zu erhalten, sollten Proben des nichtzentrifugierten Urins (Spontanurin, zweiter Morgenurin, Mittelstrahlurin) gut durchmischt innerhalb von zwei Stunden nach Probengewinnung untersucht werden [2].

Das Vorhandensein von roten Blutkörperchen (RBC), Hämoglobin oder Myoglobin im Urin ist entweder durch einzelne Zellen (Punkte) oder homogene Farbdarstellung auf dem Teststreifenfeld zu erkennen. Der Erythrozytennachweis mittels Teststreifen basiert auf einer Reaktion mit Orthotoluidin bzw. Benzidinperoxid. Erfasst wird Hämoglobin und Myoglobin [2]. Falsch negative Befunde können beispielsweise bei Anwesenheit von Ascorbinsäure auftreten und falsch positive Ergebnisse durch Reste oxidierender Wasch- und Desinfektionsmittel in Urinsammelgefäßen.

Zu beachten ist zusätzlich, dass die Pseudoperoxidase-Aktivität (Hämoglobin, Myoglobin) schnell abnimmt und äußerst empfindlich auf verschiedene Konservierungsmittel reagiert, auch wenn die Probe gekühlt wird. Die analytische Empfindlichkeit des Teststreifens beträgt bei 10 x 106 RBC/l gegenüber der Partikelzählung etwa 80 % [3]. Die Spezifität des Erythrozytennachweises mit einem Streifentest ist im Vergleich zur Partikelzählung geringer, da Erythrozyten im Urin leicht lysieren. Statistische Ungenauigkeiten sowohl bei niedrigen Zählwerten als auch bei Signalen mit niedrigem Reflexionsgrad wirken sich auf die Übereinstimmung aus.

Es wird empfohlen, bei einem positiven Befund die Urinteststreifenprobe in einem Zeitraum von mehreren Monaten zu wiederholen, um dessen Relevanz zu belegen [4, 5]. Durch eine mikroskopische Beurteilung des Urins (manuell, automatisiert-Videomikroskopie), die sich aus einer derartigen Bestimmung ergeben muss, kann man wichtige weitere Informationen erhalten. Bei der Hellfeldmikroskopie oder im Phasenkontrastmikroskop sind Erythrozyten bei einer 400-fachen Vergrößerung gut als kernlose scheibenförmige Zellen von einer Größe zwischen 6–8 µm erkennbar. Als normal wird die Ausscheidung von bis zu fünf Erythrozyten pro Gesichtsfeld in einer Spontanurinprobe bei 400-facher Vergrößerung angesehen. Die Abb. 2A zeigt einen typischen Zellbefund bei einer Hämaturie.

Pathophysiologie der Erythrozyturie

Die Hämaturie beschreibt einen Zustand, der eine über das physiologische Maß hinausgehende Erythrozytenausscheidung im Urin kennzeichnet.

Ein pathologischer Befund kann seinen Ursprung in einer Erkrankung der Nieren oder des Urogenitaltraktes haben. Er kann aber auch Folge einer systemischen Störung sein, beispielsweise der Blutgerinnung, in die die harnbereitenden oder harn­ableitenden Organe sekundär einbezogen sind. Selten werden Erythrozyten im Urin nach extremer körperlicher Belastung im Sinne einer sogenannten „Marschhämaturie“ beobachtet. Differenzialdiagnostisch kommen als Ursachen einer Hämaturie viele Erkrankungen in Betracht. Mögliche Ursachen einer Hämaturie sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1: Ursachen einer Hämaturie (Auswahl wichtiger Faktoren in Anlehnung an Bolenz et al. [10]).

Glomeruläre Erkrankungen

  • IgA-Nephropathie
  • membranproliferative Glomerulonephritis
  • fokalsegmentale Glomerulosklerose
  • membranöse Glomerulonephritis
  • Minimal-Change-Glomerulopathie
  • Syndrom der dünnen Basalmembran
  • Lupus erythematodes (u. a.Systemerkrankungen)
  • Goodpasture-Syndrom
  • Schönlein-Henoch-Syndrom
  • Alport-Syndrom
  • Nagel-Patella-Syndrom
  • Thrombozytopenische Mikroangiopathie

Tumorerkrankungen

  • Nieren
  • Ureter
  • Blase
  • Prostata

Steinerkrankungen/Obstruktionen

  • Nierenbecken
  • Ureter
  • Blase

Infektionen

  • Tubulointerstitielle Nephritis
  • Zystitis

Medikamente

  • Heparin
  • ASS
  • orale Antikoagulatien
  • Cyclophosphamid u. a.

Störungen der Blutgerinnung/Thrombozytäre Defekte

Polyzystische Nierendegeneration

Traumen

Fieber und Dehydratation

Für praktisch alle klinischen Belange ist es sinnvoll, dass bei einer Hämaturie unterschieden wird, ob diese von einer Stein­erkrankung, einer Glomerulonephritis, einem Tumors oder bei einer Entzündung im Bereich der Nieren und ableitenden Harnwege verursacht wurde.

Differenzierung zwischen eumorphen und dysmorphen Erythrozyten

Aufgrund unterschiedlicher morphologischer Strukturen der Erythrozyten im Urin ist es möglich, eine Hämaturie nach ihrer glomerulären oder nicht glomerulären Herkunft zu unterscheiden.

Erythrozyten, die infolge einer Steinerkrankung oder einer Blutung in den Urin gelangen, besitzen eine normale Gestalt. Diese intakten, eumorphen Zellen sind glatt konturiert und treten in Abhängigkeit der Osmolarität des Urins als Stomatozyten, Diskozyten, Echinozyten oder Sphärozyten in Erscheinung (Abb. 2A).

Erythrozyten, die bei einer Glomerulonephritis im Urin nachweisbar sind, imponieren als Ring- oder Zwergform sowie durch unterschiedlich ausgeprägte Membranvesikulationen. Derartige Zellen werden als dysmorphe Erythrozyten bezeichnet (Abb. 2B).

Akanthozyten sind durch mehrfache Vesikelbildungen charakterisiert und weisen ebenso wie Erythrozytenzylinder pathognomonisch auf eine renoparenchymatöse Erkrankung hin. Die auffälligen Erythrozytenformen entstehen durch Schädigungen der Zellmembran infolge des glomerulären Entzündungsprozesses. Erythrozyten sind bei deren Passage durch die Kapillarschlingen von hydropisch geschwollenen Endothelzellen zu einem großen Teil fest eingeschlossen (Abb. 2C).

Infolge dieses Zell-Zellkontaktes können Entzündungsmediatoren, die im Rahmen einer glomerulären Inflammation freigesetzt werden, auch die erythrozytäre Zellmembran schädigen. Topo-optische Analysen an diesen Zellen beweisen Störungen der Glykokalyxmembran an den Erythrozyten. Diese Störungen der Membranarchitektur werden durch Einflüsse des kaotropen Milieus im Tubulussegment verstärkt. Es kommt zum Verlust von Bande-3-Proteinen, Akyrin und Glykophorin, die die Erythrozytenmembran destabilisieren [6, 7]. Infolge von Läsionen der Kapillarmembran entstehen beim Durchtritt der Erythrozyten zusätzliche mechanische Zell­alterationen, die die typische Vesikulationen dysmorpher Zellen mit verursachen. Die Prozesse der Entstehung dysmorpher Erythrozyten sind in Abb. 3 schematisch dargestellt.

Obwohl der Nachweis dysmorpher Zellen, insbesondere von Akanthozyten, ein pathognomonisches Zeichen ist, lässt dieser Befund keine Aussage zu unterschiedlichen histopathologischen Veränderungen zu [8].

Die Beurteilung von Erythrozyten im Urin stellt eine sehr sinnvolle Untersuchung dar, um den glomerulären oder nicht glomerulären Ursprung einer Hämaturie abzuschätzen [9, 10].

Urineiweißdifferenzierung

Parallel zur Sedimentanalytik erlaubt auch die Urineiweißdifferenzierung mit der quantitativen Messung von α2-Makroglobulin, IgG und Albumin eine Differenzierung in renale bzw. postrenale Hämaturie, wenn die Albuminausscheidung über 100 mg/g Kreatinin liegt. Bei einem α2-Makroglobulin/Albumin-Quotienten über 0,02 und einem IgG/Albumin-Quotienten über 0,2 liegt eine postrenale Hämaturie vor; ein Quotient unter 0,02 bzw. 0,2 macht eine renale Erkrankung sehr wahrscheinlich [5]. Gerade im Routinebetrieb ist hier die Möglichkeit gegeben, eine Proteinurie im Rahmen einer Hämaturie zu differenzieren (renale-postrenale Proteinurie respektive Hämaturie).

Konsequenzen eines Hämaturiebefundes

Eine Hämaturie ist ein frühes Warnsignal für Erkrankungen der Nieren und des Urogenitaltraktes. Eine mehrfache Bestätigung eines auffälligen Urinbefundes mittels Urinstreifentest bzw. Urineiweißdifferenzierung oder durch einen mikroskopischen Befund erfordert unbedingt weitere diagnostische Maßnahmen.

Eine Mikrohämaturie kann in typischer Weise auf eine Glomerulonephritis, insbesondere auf eine IgA-Nephropathie hinweisen [11]. Im Kontext mit weiteren Befunden wie dem Ergebnis der Urin­eiweißdifferenzierung kann eventuell eine Indikation zu einer Nierenbiopsie abgeleitet werden, um entsprechende therapeutische Schlussfolgerungen zu treffen [12]. Erforderliche Maßnahmen können unter Kenntnis der pathomorphologischen Veränderungen den Einsatz von Kortikosteroiden und Immunsuppressiva beinhalten. Dabei sind Entscheidungen zu weiteren grundsätzlichen Therapiemaßnahmen, z. B. einer effektiven Blutdruckkontrolle, vor allem durch eine ausdosierte RAAS- Blockade und möglicherweise den Einsatz von SGLT2-Inhibitoren sowie allgemeinen supportiven Maßnahmen, von Bedeutung. Dazu gehören strikte Nikotinabstinenz, Gewichtsreduktion, die Einhaltung einer natriumarmen Ernährung und eine notwendige Beeinflussung der kardiovaskulären Risikofaktoren.

Auch beim „Syndrom der dünnen Basalmembran“ (thin basement membrane nephropathy ) findet sich als ein typischer Befund eine Hämaturie mit dysmorphen Erythrozyten und Akanthozyten.

Bei Kindern und jungen Erwachsenen ist eine Erkrankung aus dem Formenkreis des Alport-Syndroms auszuschließen bzw. zu belegen. Es handelt sich hierbei um eine genetische Erkrankung, auf die eine persistierende Mikrohämaturie hinweist. Eine progrediente Verschlechterung der Nierenfunktion, eine Innenohrschwerhörigkeit sowie eine Cataracta subcapsularis und eine Hornhautdystrophie sind charakteristische Zeichen dieser folgenschweren hereditären Erkrankung [4].

Eine Makrohämaturie ist häufig durch eine Steinerkrankung mit oder ohne Obstruktion der Harnwege verursacht. Eine Tumorerkrankung ist durch die Beurteilung der Erythrozyten im Urinsediment nicht auszuschließen oder zu beweisen; dafür sind weiterführende zytologische Untersuchungen notwendig. Auch bei einer Antikoagulantientherapie kann eine Hämaturie auftreten. In diesen Fällen sollte jedoch zusätzlich auch eine organisch bedingte Blutungs­ursache ausgeschlossen werden.

Jeder Nachweis von Erythrozyten im Urin erfordert bei einer Bestätigung des Befundes weitere diagnostische Maßnahmen. Vor dem Einsatz invasiver Untersuchungsmethoden, einer Zystoskopie, einer Nierenbiopsie oder einer Renovasografie sollte stets ein nicht-invasives Verfahren zur Abklärung derartiger Befunde genutzt werden. Dies betrifft die Ultraschalltomografie oder radiologische und nuklearmedizinische Verfahren. Natürlich sind dabei auch laborklinische Untersuchungen zur Einschätzung der Nierenfunktion, zur Beurteilung des Ausmaßes entzündlichere Prozesse sowie zur Einschätzung systemischer oder metabolischer Dysregulationen und kardiovaskulärer Störungen erforderlich. Die mikroskopische Beurteilung der Erythrozyten im Urinsediment ist dabei eine einfache und jederzeit wiederholbare Methode, die dazu dient, weiterführende diagnostische Maßnahmen im Sinne einer urologischen oder nephrologischen Abklärung einer Erkrankung festzulegen.  

Autoren
Prof. Dr. Reinhard Fünfstück
Gesundheitszentrum Weimar
Prof. Dr. Walter Hofmann
SYNLAB MVZ Dachau GmbH
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