Die Geschichte des „Dresden Symposium on Autoantibodies“ begann im Jahre 1990 mit dem von Karsten Conrad (Dresden) organisierten „1. Dresdner Autoantikörpersymposium“, das sich seit dem dritten Symposium (1996) unter dem jetzigen Titel und der bewährten Leitung von Karsten Conrad zu einem Fixpunkt im internationalen wissenschaftlichen Veranstaltungskalender entwickelt hat. Im Jahr 1990 waren es noch 72 Teilnehmer aus 4 Ländern; in diesem Jahr bereits über 500 Teilnehmer aus 50 Ländern, die dem Ruf der Organisatoren „…to bring together clinicians and scientists specialising in autoimmunology to exchange academic information and to present and discuss the results of basic and applied research on autoantigens, autoantibodies and autoimmunity“ folgten. Sie diskutierten unter dem diesjährigen Schwerpunkt „precision medicine – role of autoantibodies in prediction and care of autoimmune disease“ über Erfahrungen, konzeptionelle Überlegungen und auch therapeutische Ansatzpunkte.
“Precision medicine“, auch als „precision health“ bezeichnet, basiert, wie von Marvin Fritzler (Kanada) einleitend vorgestellt wurde, auf der sogenannten „P4-Medizin“ mit deren Säulen Partizipation, Personalisierung, Prädiktion und Prävention. Dies geht mit dem Paradigmenwechsel von der primär kurativen Medizin zu einer Medizin einher, in der, ausgerichtet auf das einzelne Individuum bzw. auf spezifische Gruppen, Krankheitsvorhersage und -prävention gleichberechtigt neben frühzeitiger und exakter Diagnose sowie wirksamer und rechtzeitiger Behandlung stehen. Für die Autoimmunerkrankungen im Allgemeinen und von Michael Mahler (USA) speziell für die rheumatoide Arthritis ergänzt, bedeutet das, Biomarker bzw. Markermuster zu finden, die auf ein Krankheitsrisiko hinweisen. Dann können frühzeitig präventive Konzepte angewendet werden und/oder die Diagnose kann bereits im präklinischen Stadium gestellt werden. So kann eine Therapie eingeleitet werden, noch bevor eine präklinische in eine undifferenzierte Autoimmunerkrankung und später in eine klinisch aktive systemische Autoimmunerkrankung übergeht.
Dem Rechnung tragend wurde in mehreren Sitzungen über den gegenwärtigen Stand bzw. neue Entwicklungsstrategien in der Bestimmung von etablierten Autoantikörpern sowie über Technologien zur Identifikation von „novel autoantigenic targets“ und „novel autoantibodies“ berichtet und über Einsatzgebiete wie „autoimmune diseases with renal involvement“, „rheumatoid arthritis diagnostics“, „myositis and systemic sclerosis“ bis hin zu „autoimmune neurology“ und „cardiac channelopathies“ diskutiert.
Hervorgehoben wurde, dass die Weiterentwicklungen in den „Omics“-Analysentechnologien die Identifikation einer Vielzahl weiterer Biomarker und Markermuster ermöglichen wird.
Es bestand Konsens darüber, dass bei der Bewältigung der Fülle an Informationen, die bei der Suche und Validierung von neuen Markern und Markermustern, aber auch bei der praktischen Nutzung dieser im Rahmen von „precision medicine/health“ gewonnen wird, Bioinformatik und künstliche Intelligenz einen immer größeren Raum einnehmen müssen. Beispielhaft wurde das an „Artificial intelligence for automated patter recognitation“ von Rico Hiemann (Deutschland) demonstriert.
Yehuda Shoenfeld (Israel) wies darauf hin, dass neben den „klassischen Autoimmunerkrankungen“ eine ständig steigende Zahl weiterer Krankheiten mit autoimmuner Genese identifiziert wird. Diese Autoimmunität wird von Shoenfeld als Mosaik bezeichnet, das auf der Grundlage von Immundefekten, genetischer und epigenetischer Variabilität, hormonellem Ungleichgewicht und Umwelteinflüssen entsteht. Auf die Rolle, die das Mikrobiom und speziell der Darm in diesem Zusammenhang spielen, wies Thorsden Matthias (Deutschland) hin. Nach Y. Shoenfeld kann sich – wie durch ein Kaleidoskop betrachtet – das Mosaik der Autoimmunität verändern und eine Autoimmunerkrankung in eine andere übergehen bzw. durch diese ergänzt werden. Beispiele dafür sind Patienten mit Dermatomyositis oder systemischem Lupus erythematodes, die Sarkoidose bzw. rheumatoide Arthritis entwickeln. Weitere Beispiele sind die Entwicklung von Myastenia gravis bei Patienten mit Immunthrombozytopenie nach Splenektomie sowie systemische autoimmune rheumatische Erkrankungen (SARD) und weitere Autoimmunkrankheiten als „adverse effects“ nach Tumortherapie mit Checkpoint-Inhibitoren. Letzteres wurde in Beiträgen von Emma de Moel (Niederlande) und Minoru Satot (Japan) ausführlich diskutiert.
Zu den neuen Erkrankungen mit autoimmunem Hintergrund zählen insbesondere auch diejenigen, bei denen Autoantikörper gefunden werden, die gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren gerichtet sind – sogenannte „funktionelle Autoantikörper“. Dazu gehören „chronic fatigue syndrome“, „postural orthostatic tachycardia syndrome“, „complex regional pain syndrome“ und „post-human papilloma-virus vaccination syndrome“, aber auch eine Reihe von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die im Mittelpunkt der Vorträge von Varvara Ryabkova (Russland), Gabriela Riemekasten (Deutschland) und Niels-Peter Becker (Deutschland) standen. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich für die genannten Erkrankungen neue, auf die funktionellen Autoantikörper gerichtete therapeutische Konzepte (Rituximab, IVIG, Plasmapherese, Immunabsorption, In-vivo-Neutralisation) ergeben. Ein auf der In-vivo-Neutralisation von funktionellen Autoantikörpern basierendes Therapiekonzept stellte Niels-Peter Becker (Deutschland) vor. Dabei werden funktionelle Autoantikörper, die gegen den beta1-adrenergen Rezeptor gerichtet sind und als kausal für die dilatative Kardiomyopathie angesehen werden, im Blut durch Behandlung mit einem gegenwärtig in der Entwicklungsphase befindlichen Medikament (BC 007) neutralisiert. Wie Becker berichtete, zeigte BC 007 in Studien an Hunden mit dilatativer Kardiomyopathie eine Verbesserung der Herzfunktion und längere Überlebenszeit. Im Hinblick auf die Herzfunktion wird BC 007 gegenwärtig in der klinischen Phase II an Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie (DCM) geprüft.
Den am Schlusstag des Symposiums vergebenen Posterpreis erhielten gleichberechtigt Madeleine Jenning (Deutschland) und Christian P. Moritz (Frankreich).
Elektronischer Tagungsband
Karsten Conrad, Luis E. C. Andrade, Edward K. L. Chan, Marvin J. Fritzler, Ger J. M. Pruijn, Yehuda Shoenfeld, Günter Steiner (Eds.) Precision Medicine - Role of Autoantibodies in the Prediction and Care of Autoimmune Diseases. Report on the 14th Dresden Symposium on Autoantibodies, September 10-13, 2019. Pabst Science Publishers 2019, 49525 Lengerich, Germany, ISBN 978-3-95853-532-9