Totalautomation versus patientennahe Testung
Automations- und IT-Systeme für die Mikrobiologie
Die Automation der Mikrobiologie schreitet in zwei Richtungen voran: Während große Zentrallaboratorien von der Automation kultureller Verfahren profitieren, kommen in Bereichen ohne ausgebildetes Laborpersonal zunehmend immunologische oder molekularbiologische POCT-Geräte zum Einsatz.
Schlüsselwörter: Totalautomation, POCT, IT
Für Krankenhäuser der Maximalversorgung mit mehr als 600 Betten macht es Sinn, bei der Automation der Labordiagnostik eine zweigleisige Strategie zu verfolgen: Im Zentrallabor wird heute in aller Regel die Vollautomation angestrebt, und parallel dazu können Point-of-Care-Geräte überall dort zum Einsatz kommen, wo eine Dezentralisierung die Arbeitssituation entspannt und unmittelbare therapeutische Entscheidungen beschleunigt. Das kann im OP, auf Intensivstation, in der Notaufnahme, in Ambulanzen und einigen diagnostischen Bereichen der Fall sein.
Ähnliche Regeln lassen sich auch auf die medizinische Mikrobiologie in großen Krankenhäusern angewenden, allerdings mit dem Unterschied, dass die Prozesszeiten für Keimnachweise und Resistenzbestimmungen grundsätzlich länger sind als für Blutzuckerbestimmungen oder Blutbilder, sodass der Einsatz von Point-of-Care-Geräten restriktiver beurteilt werden muss.
Vorteile und Grenzen der Totalautomation
Grundsätzlich ist heute in der Mikrobiologie ein ähnlich hoher Automatisierungsgrad wie in der Klinischen Chemie und Hämatologie erreichbar – und das trotz deutlich komplizierterer Arbeitsabläufe, von der kulturellen Anzucht über die Keimidentifikation bis zur Resistenztestung. Das auf dieser Seite vorgestellte Automationssystem ermöglicht auch die Einbindung der MALDI-TOF-Massenspektrometrie, die sich vor allem für die schnelle direkte Keimbestimmung im Urin und in Blutkulturen eignet. Das nebenstehend gezeigte System verfügt über hochwertige Kameras, die die Ablesung der Platten am Bildschirm ermöglichen, ohne dass die Platten aus dem Brutschrank genommen werden müssen.
Diese Form der Vollautomation ermöglicht eine Abarbeitung nach dem 24/7-Prinzip: Rund um die Uhr können Proben angenommen, prozessiert und befundet werden. Damit verbunden ist auch eine lückenlose Dokumentation aller Prozesse im Laborinformationssystem (Beispiel auf S. 177 unten). Das bringt gerade im Hinblick auf die steigenden Fallzahlen Sicherheit für Patienten und Personal. Und auch wenn sich die Kultivierungszeiten selbst nicht beschleunigen lassen, erhält man mit IT-Unterstützung schnellere Ergebnisse als bei manueller Dokumentation.
Einige Institute versuchen, durch Totalautomation die Personalbindung zu reduzieren und Personal einzusparen. Das ist prinzipiell möglich und auch Ziel dieser großen Investition. Allerdings muss stets bedacht werden, dass die Automaten nur flüssige Probenmaterialien verarbeiten können; was sich nicht in ein geeignetes Medium überführen lässt, kann auch nicht den Weg durch die Automation gehen und bindet folglich weiterhin Personal.
POC-Geräte
Das zweite Gleis der Automation bringt die rasche, patientennahe Diagnostik auf den Weg – und verlässt damit den durch qualifiziertes Personal abgesicherten Rahmen des Labors. In einem Zeitraum von 10 bis 60 Minuten liefern POC-Geräte ein zuverlässiges Ergebnis, auch wenn sie von Personal ohne Laborausbildung bedient werden. Zum Nachweis kommen immunchemische und molekularbiologische Verfahren infrage.
Drei Vertreter dieser Geräteklasse präsentieren sich auf dieser Doppelseite. Links oben wird ein Immunoassay mit Silber-Verstärkungstechnik vorgestellt, der innerhalb von 10 Minuten einen Antigennachweis liefert; darunter ist ein handliches molekularbiologisches Gerät zu sehen, dass für eine PCR 30 Minuten benötigt. Das rechts gezeigte Gerät beruht auf einer Helikase-abhängigen Amplifikation, benötigt also keinen Thermocycler.
Die vielfältigen Vorteile solcher kleinen Vor-Ort-Geräte liegen auf der Hand: Sie sind rund um die Uhr einsatzbereit, benötigen nur wenige Minuten Hands-on-Time, der Transport in das Zentrallabor entfällt und die Ergebnisse stehen unmittelbar am „Point of Care" zur Verfügung. Die Kehrseite der Medaille ist der hohe Preis für die Verbrauchsmaterialien – oft nur eine Kartusche, die alle Reagenzien enthält und in der Regel auch eine ausführliche Qualitätskontrolle bietet, sodass nur noch das Endergebnis abgelesen werden muss. Dafür bindet das Gerät meist Pflegepersonal, das womöglich ohnehin schon extrem knapp ist. All diese Fakten wollen wohl überlegt sein. Auch der Versand von Proben bindet Personal, was bei der Entscheidung für oder gegen patientennahe Diagnostik oft übersehen wird. Ob sich diese Form der Diagnostik wirklich lohnt, kann nach Abwägung aller Vor- und Nachteile nur individuell je nach Personal- und Finanzsituation, klinischen Erfordernissen u. ä. entschieden werden.
Es gibt noch einen analytischen Nachteil der kulturfreien Verfahren: Sie unterscheiden nicht zwischen lebenden und toten Infektionserregern. Hier laufen derzeit Studien, die nahelegen, dass die Zahl der Nukleinsäurekopien in der Probe als Anhalt dienen kann: Je höher diese ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Erreger lebt (ausgenommen Erreger, die sich nicht konventionell anzüchten lassen). Allerdings müssen solche empirischen Regeln erst noch intensiv evaluiert und die Bedingungen standardisiert werden. Falls sich das Vorgehen bewährt, wäre grundsätzlich eine Quantifizierung nötig, und auch die Probenahme müsste standardisiert sein.
Softwareausstattung
Die Hersteller haben ihre Geräte mittlerweile größtenteils mit Schnittstellen für die bidirektionale LIS-Anbindung ausgerüstet, und häufig ist zusätzlich eine Interpretationslogik verfügbar. Umgekehrt bieten auch viele LIS-Anbieter ein intelligentes Modul für die medizinische Mikrobiologie an, sodass man sich entscheiden kann, wo man die „Maschinenintelligenz" ansiedelt. Trotzdem bleibt die Anbindung von Automationssystemen an das LIS weiterhin eine große Herausforderung, die von EDV-Experten gemeistert werden muss.
Priv.-Doz. Dr. Beniam Ghebremedhin
Universität Witten/Herdecke
HELIOS Klinikum Wuppertal
Dr. Gabriele Egert
Mitglied der Redaktion