Neue Testgeneration schafft früher Gewissheit
Empfehlungen für die HIV-Diagnostik
Bislang betrug die Zeitspanne des bangen Wartens zwischen einer potenziellen HIV-Infektion – beispielsweise durch Nadelstichverletzung – und dem sicheren Ausschluss zwölf Wochen. Neue HIV-Tests der vierten Generation haben dieses Zeitfenster halbiert. Bei positivem Ergebnis eröffnet sich immerhin die Option, früher mit der Therapie zu beginnen.
Schlüsselwörter: HIV-Infektion, HIV-RNA, p24-Antigen, HIV-Tests der vierten Generation, HIV-Therapeutika
Hat AIDS seinen Schrecken als unheilbare, tödliche Krankheit verloren? Ja, zumindest in den reichen Industrienationen unterscheidet sich die Lebenserwartung der HIV-Patienten bei rechtzeitigem Therapiebeginn nicht mehr wesentlich von derjenigen der „Normalbevölkerung“[1]. Die sog. hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) beinhaltet in der Regel drei Wirkstoffe aus mindestens zwei Klassen, zum Beispiel zwei nukleosidische in Kombination mit einem nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (z. B. Tenofovir/Emtricitabin oder Rilpivirin plus Abacavir/Lamivudin) bzw. mit einem Integrase-oder Proteasehemmer (Raltegravir, Darunavir u. a.)[2]. Die derzeit in Deutschland verfügbaren Therapeutika sind in Tabelle 2 aufgelistet.
Therapie früher beginnen
Aufgrund potenzieller Nebenwirkungen wurde allerdings lange Zeit eine Therapie asymptomatischer Patienten erst dann empfohlen, wenn die Immunabwehr geschwächt war. Die Entscheidung fiel in der Regel aufgrund der CD4-Zellzahl und der Viruslast. Neuere Arbeiten konnten nun zeigen, dass eine Therapie auch bei asymptomatischen Patienten mit guter Immunlage die Prognose verbessert: In der START-Studie sank das Risiko, AIDS zu entwickeln, um beeindruckende 72%[3]. Deshalb empfiehlt die Deutsche AIDS-Gesellschaft seit November 2015 bei gesicherter HIV-Infektion einen frühestmöglichen Therapiebeginn unabhängig von der CD4-Zellzahl.
Im selben Jahr wurde vom Referenzzentrum für retrovirale Infektionen ein neuer Algorithmus zur Abklärung einer HIV-Infektion veröffentlicht (Abb. 1). Bis dahin empfahl das RKI im ersten Schritt einen Screeningtest auf Antikörper gegen HIV, der bei „reaktivem“ Ergebnis aus einer zweiten Probe zur Identitätssicherung bestätigt werden musste. War auch dieses Ergebnis positiv, so folgte ein spezifischer Antikörpernachweis beispielsweise durch eine Blot-Analyse.
Eine neue Testgeneration
Das Problem der ersten bis dritten Generation von Screeningtests war die lange Latenzzeit zwischen dem potenziell infektiösen Ereignis – etwa ungeschütztem Geschlechtsverkehr oder Nadelstichverletzung – und dem Ausschluss einer HIV-Infektion. Nach zwölf Wochen musste das Screening deshalb wiederholt werden, um eine HIV-Infektion auszuschließen. Die Assays der vierten Generation beziehen das p24-Antigen in das Screening ein und können so die Infektion bis zu einer Woche vor der Antikörper-Entwicklung nachweisen. Dieser Zeitgewinn findet seinen Niederschlag im neuen Algorithmus: Wenn die Bestätigung mit einem Antikörpertest negativ ausfällt, muss nun zwingend ein direkter Virusnachweis folgen.
Konkret lautet die aktuelle Empfehlung des Referenzzentrums für retrovirale Infektionen: Ist der HIV-Screeningtest der vierten Generation reaktiv, so wird direkt aus dieser ersten Probe ein Bestätigungstest zum Nachweis bereits vorhandener Antikörper (zum Beispiel mittels Westernblot) durchgeführt und so schnell wie möglich eine PCR zum Nachweis der HIV-RNA nachgezogen. In der Regel wird aber weiterhin eine zweite Probe zur Absicherung der Identität angefordert.
Dank der höheren Testempfindlichkeit der vierten Testgeneration reduziert sich für den Patienten das Zeitfenster der quälenden Unsicherheit bis zur Aussage „HIV-negativ“ von zwölf auf sechs Wochen. Ist ein zweiter Screeningtest also sechs Wochen nach dem potenziell infektiösen Ereignis negativ, so kann eine HIV-Infektion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Umgekehrt ist ein sicherer Nachweis der Infektion bereits nach wenigen Tagen möglich.
Ausblick
Die intensive, erfolgreiche HIV-Behandlung kann heute eine Übertragung auf den gesunden Partner verhindern, und auch eine medikamentöse Prä- und Postexpositionsprophylaxe vermindert das Risiko einer Infektion. All diese Anstrengungen fruchten aber natürlich nur bei gesicherter Diagnose, und hier gibt es ein Problem: Insbesondere bei vermeintlichen Nicht-Risiko-Patienten wird zu wenig getestet – sei es, dass sich die Patienten aus Angst vor einem positiven Test zu spät vorstellen, sei es, dass Ärzte über mögliche Indikatorerkrankungen wie zum Beispiel seborrhoische Dermatitis, maligne Lymphome, Hepatitis B oder C oder[1] zu wenig Bescheid wissen. Auch bei ungeklärter Leuko- oder Thrombopenie findet man in über 3% eine HIV-Infektion.
Trotz aller Fortschritte bei Diagnostik und Therapie bleibt ein Wermutstropfen bestehen. Auch nach über 20 Jahren intensiver Forschung konnte bisher kein effektiver Impfstoff entwickelt werden; die extreme genetische Wandlungsfähigkeit des HI-Virus vereitelte bislang alle Versuche mit klassischen Impfstoffen. Ein vielversprechender neuer Ansatz besteht möglicherweise in der Impfung mit mRNA anstelle von Proteinen[4].