Auf dem Weg zur Vollautomation
Hämatologische Diagnostik
Wirtschaftliche und personelle Engpässe verlangen nach verstärkter Automation. In der Hämatologie wird derzeit die Integration der Bildverarbeitung und Durchflusszytometrie vorangetrieben. Weitere Techniken stehen auf der Wunschliste.
Das Blutbild gehört zur labormedizinischen Basisdiagnostik und ist Bestandteil eines Großteils aller Aufträge in Klinik und Praxis. Je nach Ausrichtung des Labors und seiner Einsender- und Patientenklientel ergeben sich dabei ganz unterschiedliche Herausforderungen. So geht es im Routinelabor vor allem darum, zuverlässig aus der Vielzahl der unauffälligen Blutbilder die wenigen pathologischen herauszufiltern. Im hämatologischen Speziallabor steht dagegen ein möglichst hoher Informationsgewinn aus der Einzelprobe durch eine präzise Vorklassifizierung und die Nutzung innovativer Messgrößen – wie etwa Retikulozytenhämoglobin oder unreife Thrombozyten – im Vordergrund.
Diese hohen Anforderungen müssen unter eher schlechter werdenden Rahmenbedingungen erbracht werden: inadäquat niedrige Kostenerstattung im kassenärztlichen Bereich, steigende Arbeitsbelastung durch Konzentrationsprozesse im stationären und ambulanten Labor und der zum Teil jetzt schon spürbare und absehbar größer werdende Fachkräftemangel.
Eine Möglichkeit, das steigende Probenaufkommen mit geringerem Personaleinsatz zu bewältigen, liegt in der weiteren Automatisierung bisher manuell durchgeführter Tätigkeiten. Für das kleine Blutbild und die mechanisierte Differenzierung gesunder Leukozytenpopulationen sind Hämatologieanalyzer, die mit einer Kombination aus Impendanzmessung und Laserstreulicht arbeiten, bereits seit vielen Jahren etablierter Standard.
Digitale Morphologie
Was diese Techniken naturgemäß nicht leisten können, ist eine morphologische Beurteilung des Blutausstrichs. Sind in der Blutprobe Zellen enthalten, die nicht eindeutig zugeordnet werden können, geben die Geräte Warnhinweise aus, die bislang zu einer mikroskopischen Nachdifferenzierung des Ausstrichs führten. Um diese Automatisierungslücke zu schließen, wurden digitale Bilderkennungssysteme entwickelt, die in der Lage sind, aus einem standardisierten Blutausstrich gescannte Bilder von Leukozyten und Erythrozyten zu erstellen und diese automatisch vorzuklassifizieren. Im Anschluss werden die Bilder dem Anwender zur Überprüfung, ggf. Korrektur und Freigabe am Bildschirm angezeigt.
Diese Vorklassifizierung funktioniert bei morphologisch weitgehend unauffälligen Zellen mittlerweile sehr gut. Bei pathologischen Zellbildern oder eingeschränkter Qualität der Ausstriche ist die Zuordnung jedoch weniger zuverlässig und erfordert regelhaft eine manuelle Nachdifferenzierung am Mikroskop. Nach Nebe[1] „profitieren also vor allem solche Labore von der computerassistierten Mikroskopie, die viele normale Proben gesunder Personen im Probeneingang aufweisen und deren Hämatologieanalyzer viele normale Proben fälschlicherweise mit Warnhinweisen versehen“. Unbestreitbare Vorteile bieten die Systeme bei der Standardisierung und Qualitätssicherung: Während die manuelle Differenzierung naturgemäß stark untersucherabhängig ist, macht die automatisierte Auswertung diesen Prozess objektiver.
Die automatische Speicherung der Bilder ermöglicht nicht nur eine unkomplizierte Dokumentation, sondern erleichtert darüber hinaus auch die Weiterbildung der Mitarbeiter, da Befunde gemeinsam am Bildschirm diskutiert werden können. Auch eine telemedizinische Mitbeurteilung durch hämatologisch erfahrene Kollegen ist möglich, was insbesondere bei kleineren Laboren mit weniger spezialisierten Mitarbeitern von Vorteil sein kann.
Eine in Entwicklung befindliche, völlig neue Technologie ist die optische Bestimmung der Parameter des kleinen und großen Blutbilds aus einem Objektträger, auf den ein definiertes Blutvolumen mit einer Art Tintenstrahldrucker aufgebracht und anschließend analysiert wird. Ob diese Technik die Blutbildanalyse revolutionieren könnte, bleibt abzuwarten.
Durchflusszytometrie
Eine andere Möglichkeit, mit Warnhinweisen versehene Blutbilder routinemäßig weiter abzuklären, bietet unter dem Schlagwort „immunologisches Blutbild“ die Durchflusszytometrie. Die prinzipielle Machbarkeit wurde in verschiedenen Publikationen gezeigt, aber im Routinelabor konnte sich dieses Vorgehen bisher kaum durchsetzen. Die Gründe liegen in den hohen Kosten für die Antikörperpanels und der fehlenden Vollautomatisierung, die eine Einsparung der höheren Analysekosten durch geringere Personalkosten verhindert. Die Integration der immunologischen Differenzierung von Thrombozyten und T-Zellen bzw. die Einführung eines Durchflusszytometers, das mit Primärproben bestückt werden kann und alle weiteren Schritte automatisch erledigt, sind sicher Schritte in die richtige Richtung, werden aber bislang nur sehr vereinzelt beschritten.
Die „EDTA-Straße“
Ebenfalls nur von wenigen Herstellern verwirklicht ist bislang die Integration der zweithäufigsten Anforderung aus EDTA-Blut nach dem Blutbild – der immunologischen HbA1c-Bestimmung. Auch die Anbindung eines Geräts zur turbidimetrischen CRP-Bestimmung ist bereits realisiert, und die Blutsenkung aus EDTA-Blut, die in vielen Laboren mit guter Korrelation zur Westergren-Methode bestimmt wird, wäre eine weitere Option. Rund würde die Sache, wenn alle geeigneten Verfahren in einer „EDTA-Straße“ verfügbar wären und über ein integriertes Expertensystem validiert werden könnten.
Zukünftige Entwicklungen
Während sich die Klinische Chemie weiterhin dem Prinzip der selektiven Stufendiagnostik verpflichtet fühlt, geht in der automatisierten Hämatologie ein klarer Trend dahin, über eine möglichst große Zahl von Detektoren möglichst große Panels von Messwerten zu generieren, deren biostatische Auswertung multidimensionale Informationen über die Zellen liefern. Dadurch kann die Spezifität der Blutbildautomaten erhöht und die Anzahl der falsch positiven Warnhinweise reduziert werden. Darüber hinaus erleichtert die Kombination etablierter und neuer Parameter eine weitergehende Klassifizierung pathologischer Blutbilder, beispielsweise im Bereich der Anämien oder Leukämien.
Eine Herausforderung in diesem Zusammenhang wird es jedoch sein, die behandelnden Kliniker vom Nutzen dieser neuen diagnostischen Strategien zu überzeugen. Ernüchternde Zahlen dazu liefert eine Umfrage an einem US-amerikanischen Krankenhaus, in der sogar etablierte Parameter wie die Angabe der Leukozytensubklassen als Absolutwert nur von der Hälfte der Kliniker als nützlich eingestuft wurden. Hier sind Gerätehersteller und Labore gefragt, die Ergebnisse nicht nur in nüchternen Zahlen aufzulisten, sondern die relevanten Informationen für den Kliniker gut verständlich aufzubereiten.