Getrennt oder vereint?
Molekulardiagnostik
Molekulardiagnostik lässt sich keiner medizinischen oder technischen Einzeldisziplin zuordnen. Ihre Zukunft liegt vielmehr in der fächerübergreifenden Kooperation – sowohl aus wirtschaftlichen, als auch fachlichen Erwägungen heraus.
Die nebenan dargestellte Schlacht bei Königgrätz markierte nicht nur den Anfang vom Ende deutscher Kleinstaaterei (danach traten die souveränen Staaten südlich der Mainlinie dem Deutschen Reich bei); sie wurde auch berühmt durch General von Moltkes Parole „getrennt marschieren, vereint schlagen“. Mit dieser Strategie gelang es ihm, den Aufmarsch der zahlreich beteiligten Armeen durch kürzere Wege und gegenseitige Verstärkung zu koordinieren.
Zum Beispiel Zervixkarzinom
In ähnlicher Weise könnten auch die souverän agierenden Disziplinen der In-vitro-Diagnostik im Bereich der molekularen Medizin von kurzen Wegen und gegenseitiger Verstärkung profitieren. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Diagnostik des Zervixkarzinoms. Traditionell erfolgt hier das Routinescreening zytologisch (Pap-Test) und bei Bedarf histopathologisch (Biopsie), doch der eigentliche Krankheitsauslöser sind humane Papillomaviren (HR-HPV), für die die Virologen zuständig sind. Da die maligne Transformation wiederum auf der mRNA- und Proteinebene (E6/E7, p16/Ki-67) mit entsprechenden Auswirkungen auf Biomarker im Blut (z. B. Micro-RNA) erfolgt, fühlen sich neben Molekularpathologen zunehmend auch Laborärzte angesprochen. Und schließlich ist die Expertise der Humangenetiker gefragt, da in rund 20% der Fälle eine familiäre Belastung mit entsprechendem Beratungsbedarf besteht.
Der Markt als Vater aller Dinge
In der heutigen Zeit ist nicht mehr unbedingt der Krieg, sondern eher der Markt der „Vater aller Dinge“. Diagnostika-Hersteller haben das verstanden und bieten bereits seit vielen Jahren Plattformen für eine fächerübergreifende molekulare Diagnostik an, seien es Amplifikations- oder Sequenzierautomaten, Microarraygeräte oder Massenspektrometer.
Nun liegt es an den Anwendern, die Angebote auch zu nutzen, indem sie entweder interdisziplinäre Kompetenzzentren gründen oder sich zu Servicegemeinschaften zusammenschließen. Auf diese Weise lassen sich molekulardiagnostische Spezialuntersuchungen bündeln, um höhere Auftragsvolumina zu generieren. Bei Preisen von 100.000 € und mehr für ein Großgerät sind möglichst lange Analysenserien die Grundvoraussetzung für einen wirtschaftlichen Betrieb. Sie gewährleisten nicht nur eine optimale Systemauslastung, sondern verbessern auch die Position für Preisverhandlungen. Bei ausreichend hohem Reagenzverbrauch kann die Hardware relativ günstig über kurze Zeiträume geleast werden, um den Gerätepark in diesem höchst dynamischen Marktsegment stets aktuell zu halten.
Eine neue Diagnostik
Jenseits aller wirtschaftlichen Überlegungen sprechen aber vor allem medizinische Gründe für eine fächerübergreifende Zusammenarbeit. Molekulardiagnostik bedeutet ja keineswegs nur die Fortführung der klassischen Labormedizin, Mikrobiologie oder Pathologie mit erweitertem Analysenspektrum, sondern einen radikalen Wechsel der diagnostischen Strategie.
Stand bislang die korrekte Einordnung und Verlaufskontrolle manifester Krankheitsbilder im Zentrum der Aktivitäten, so befasst sich die molekulare Diagnostik eher mit der Vorhersage und Früherkennung von Krankheiten, die aus dem komplexen Wechselspiel von Veranlagung und Umwelt resultieren. Es liegt auf der Hand, dass dieses multifaktorielle Geschehen nicht wie bisher durch ein bis zwei Labortests oder Gewebefärbungen abgebildet werden kann – eher werden es zehn oder zwanzig Biomarker sein, die allein schon aus Gründen der statistischen Unabhängigkeit aus unterschiedlichen Wissensdomänen stammen sollten.
Ein zweiter Schwerpunkt der Molekulardiagnostik ist die Entwicklung von Biomarkern für die individualisierte Therapie bei schwer behandelbaren Krankheiten wie Krebs, Autoimmunsyndromen oder Infektionen mit multiresistenten Keimen. Auch hier stößt die bisherige Strategie, nach einzelnen Treibermutationen, HLA-Varianten oder Resistenzgenen zu fahnden, inzwischen an ihre Grenzen und verlangt nach einer multivariaten (und in der Regel interdisziplinären) Herangehensweise.
Fehlende Vergütung
Noch verweigern die Krankenkassen diesem molekulardiagnostischen „Multiplexing“ die Vergütung und behindern so die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Um das zu ändern, bedarf es auf Seiten der diagnostischen Disziplinen einer starken Verhandlungsposition – ein weiterer Grund, sich fächerübergreifend zusammenzutun, um „vereint schlagen“ zu können.
gh