Große Auswahl an Verfahren und Geräten

Patientennahe Hämostasediagnostik

Die patientennahe Hämostase­diagnostik ist unverzichtbar und wird durch moderne Analysatoren effektiv unterstützt. Echte POCT-Geräte dienen vor allem der Therapieüberwachung, komplexere Systeme erlauben auch eine umfassende Analyse von Gerinnungsstörungen.

Die moderne Gerinnungsdiagnostik ist durch zunehmende Automation gekennzeichnet – ein Prozess, der zweifellos neben einer Verbesserung der Ergebnis­qualität auch zur Standardisierung der Methoden und Verkürzung der Durchlaufzeiten im Labor beigetragen hat (vergleiche tabellarische Übersicht).
Gleichzeitig aber führt die Konzentra­tion der Tests auf großen Systemen zu immer stärkerer Zentralisierung und damit zum Verlust des direkten Kontakts zwischen Analytikern und behandelnden Ärzten. Hämostaseologen, die noch vor Ort „häkeln“ und dabei nicht nur Zeiten stoppen, sondern auch die Qualität des Gerinnsels und andere diagnostisch wichtige Details berücksichtigen, sind selten geworden.
Es könnte allerdings sein, dass ausgerechnet die Fortschritte der Automationstechnik dazu beitragen, die Vor-Ort-Analytik wieder zu stärken. Die Rede ist von Point-of-Care-Systemen, die patientennahe Tests ermöglichen und so rasche therapeutische Entscheidungen auch in Einrichtungen ohne Zentrallabor fördern. Hier schlummern erhebliche Potenziale vor allem in den Akut­bereichen der Krankenhäuser, aber auch in Arztpraxen und bei der Patienten-Selbst­testung zu Hause. Nach Erhebungen der Unternehmens­beratung Frost & Sullivan ist hier in den nächsten Jahren mit einem erheblichen Marktwachstum zu rechnen.
Die klassischen Tests der plasmatischen Gerinnung werden im POCT-Bereich mit Teststreifen oder Einmalkartuschen durchgeführt. Zu beachten sind störende Einflussfaktoren wie zum Beispiel Antiphospholipid-Antikörper, Hyper­bilirubin- und Hypertriglycerid­ämie oder Hämolyse, die allerdings noch nicht für alle Geräte ausreichend untersucht wurden. Noch immer werden deshalb verfälschte Messergebnisse ohne Fehlermeldung oder nur mit unspezifischen Flags angezeigt.

Therapiekontrolle
Die Bestimmung der PT1, ausgedrückt als INR (International Normalized Ratio) oder Quick-Wert, ist das klassische Einsatzgebiet von POCT-Geräten beim Patienten-Selbstmanagement. Auch wenn zunehmend direkte orale Anti­koagulanzien eingesetzt werden, finden die Vitamin-K-Antagonisten noch immer breite Verwendung, insbesondere bei Herzrhythmusstörungen, künstlichen Herzklappen, Thrombosen oder Lungenembolien. 
Für diese Patienten gibt es heute eine reiche Auswahl an einfach zu bedienenden Handgeräten (siehe Tabelle), die ein hohes Maß an Unabhängigkeit von medizinischen Einrichtungen gewährleis­ten. Allerdings setzt die ambulante Selbstkontrolle intensive Schulung der Patienten voraus, da Fehler bei der Probennahme oder der Gerätebedienung die Ergebnisse stark verfälschen können. Der therapeutische Schutz ist nur gegegeben, wenn die Vorschriften strikt eingehalten werden.
Für die Überwachung der Therapie mit unfraktioniertem Heparin (UFH) kommen POCT-Systeme vor allem in kleineren Häusern ohne eigenes Labor zum Einsatz. Zwei der aufgeführten Handgeräte bieten die ACT2, eines zusätzlich die aPTT3. Erstere ist vor allem bei hohen Heparindosierungen indiziert, beispielsweise bei herzchirurgischen Eingriffen, extrakorporaler Membranoxigenierung, Dialyse oder katheterinterventionellen Eingriffen.
Einschränkend ist zu sagen, dass diese Verfahren generell – also nicht nur im  POCT-Bereich – wenig standardisiert sind und dementsprechend schlecht untereinander korrelieren. Die Empfindlichkeit gegenüber Heparin hängt von den verwendeten Aktivatoren wie zum Beispiel Kaolin, Silica oder Ellagsäure sowie weiteren Komponenten der Reagenzsysteme ab. Hypothermie und Hämodilution können die Gerinnungszeiten verlängern, Entzündungen dagegen – zum Beispiel über Faktor FVIII als Akut­phaseprotein – verlängerte Zeiten kompensieren.

Umfassende Beurteilung
Für die Erkennung der nicht-iatrogenen Störungen der Hämostase und zum präoperativen Ausschluss eines erhöhten Nachblutungsrisikos sind die bisher genannten Gerinnungstests weniger geeignet. Zur umfassenden Beurteilung der Hämostase nutzt man besser visko­elastische Verfahren (s. a. hier); diese können ebenfalls patientennah eingesetzt werden, stellen aber keine Point-of-Care-Tests im Sinne der RiliBÄK dar, denn für ihre Bedienung ist eine spezielle Schulung erforderlich.
Die von der Thrombelastografie abgeleiteten Verfahren geben in vitro Auskunft über die Dynamik der Entstehung, Stabilisierung und Auflösung des Blutgerinnsels und vermitteln so einen indirekten Eindruck von der In-vivo-Hämostasekapazität. Dies schließt je nach verwendetem Reagenziencocktail neben den Faktoren und Inhibitoren der plasmatischen Gerinnung auch die Thrombozytenfunktion und Fibrinolyse ein. Ferner kann damit die Wirkung verschiedener gerinnungshemmender Medikamente verfolgt werden. Bei komplexen chirurgischen Eingriffen helfen diese Systeme – eine kompetente Interpretation der Messkurven und Messgrößen vorausgesetzt – den Blutverlust zu reduzieren und Blutprodukte gezielter einzusetzen.

Thrombozytenfunktionstestung

Auch für die gezielte Messung der Plättchenfunktion stehen patientennah durchführbare Tests zur Verfügung, die eine spezielle Schulung erfordern. Thrombozytenfunktionstests dienen vor allem der Beurteilung und Überwachung einer Therapie mit Aggregationshemmern wie etwa Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®), GPIIb/IIIa-Inhibitoren (z. B. ReoPro®, Integrillin®) oder P2PY12-Inhibitoren (Plavix®, Prasugrel®, Brillinta®). Weiterhin werden sie zur Erkennung angeborener und erworbener Thrombozytopathien sowie des Von-Willebrand-Syndroms – der häufigsten Blutungskrankheit – eingesetzt.


Fazit und Ausblick

Systeme für den patientennahen Einsatz haben die Hämostase-Diagnostik enorm bereichert. Allerdings sind noch Schwachstellen zu beseitigen, zum Beispiel bei der Schulung und Qualitätssicherung im Home Care Bereich und bei der Bedienung komplexerer Geräte durch labormedizinische Laien. Vor allem aber wäre die Zusammenführung möglichst vieler relevanter Testverfahren auf einer vollautomatischen Systemplattform inkl. Reagenzien, Hardware und Software wünschenswert.

1Prothrombin Time, 2Activated Clotting Time, 3acitvated Partial Thrombin Time


Prof. Dr. med. Kai Gutensohn

LADR GmbH MVZ Dr. Kramer & Kollegen


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