„Zirkulierende Tumorzellen sind prognostisch relevant“
Interview mit Prof. Dr. Klaus Pantel
Für Hämatologen ist es eine Selbstverständlichkeit, einen Großteil der Diagnostik zu den von ihnen behandelten Krankheiten aus dem Blut durchzuführen, aber dass auch bei soliden Tumoren viele wichtige Informationen einfacher aus dem Blut als aus Tumorbiopsien zu gewinnen sind, hat sich immer noch nicht wirklich in der täglichen Praxis durchgesetzt. Prof. Dr. Klaus Pantel, Direktor des Instituts für Tumorbiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, war einer der ersten, die anfingen, Krebszellen und deren Bestandteile wie DNA und microRNA im Blut mittels hochempfindlicher Verfahren im Blut nachzuweisen. Diese „Liquid Biopsy“ könnte bei der Abschätzung der Prognose von Krebspatienten und möglicherweise auch bei der Therapiesteuerung eine wichtige Rolle spielen. Über die Grundlagen der „Flüssigbiopsie“, darüber, was heute bereits denkbar ist auf diesem Gebiet und warum sie immer noch keine breite Anwendung in der Klinik findet, gab Prof. Pantel im Gespräch mit Trillium Krebsmedizin Auskunft.
Sie sind Pionier auf dem Gebiet der Suche nach zirkulierenden Tumorzellen. Wie kommt man ursprünglich auf die Idee, im peripheren Blut nach Zellen solider Tumoren zu suchen? Wann begann das und hat das mit einem bestimmten Verständnis von Tumorbiologie zu tun?
Pantel: Man muss sicherlich ein Verständnis von Tumorbiologie haben, aber es ist in diesem Fall auch relativ offensichtlich: Die Sterblichkeit bei malignen Tumoren beruht ja wesentlich auf der Streuung der Tumorzellen und dann der Metastasierung, d. h. dem Heranwachsen von Tochtergeschwülsten in Sekundärorganen. Wir haben 1989 begonnen und sind zunächst davon ausgegangen, dass im Blut die Tumorzellen vielleicht zu stark verdünnt sind. Deshalb haben wir uns ein Filterorgan, nämlich das Knochenmark angesehen. Wir konnten zeigen, dass man dort auch frühzeitig Tumorzellen finden kann und dass das ein Risiko für die Entstehung von Metastasen ist. In der Zwischenzeit hatte sich dann die Methodik so weiterentwickelt, dass wir uns auch mit der Analyse im Blut beschäftigen konnten – was natürlich viel praktikabler und in der klinischen Praxis leichter anwendbar ist. Mit den neuen Methoden konnten wir vor gut zehn Jahren in der Tat die Tumorzellen aus den Milliarden von Blutzellen herausholen und weiter charakterisieren.
Mit welchen Methoden wurden die Tumorzellen damals nachgewiesen, und wie geschieht das heute?
Pantel: Tumorzellen von epithelialen Tumoren – Brustkrebs, Kolon-, Prostatakarzinom etc. – tragen als epitheliale Marker die Zytokeratine, die auf den umgebenden Blutzellen nicht exprimiert werden und damit einen selektiven Nachweis der Zellen gestatten. Das ist heute eigentlich nicht anders als schon vor Jahrzehnten. Was sich verbessert hat, sind die Anreicherungsmethoden, die heute sehr viel intelligenter geworden sind. In den letzten Jahren kamen dann noch genetische Methoden dazu: Wir sind heute in der Lage, diese Zellen mit dem epithelialen Marker zu isolieren und dann aus Einzelzellen eine komplette Genomanalyse durchzuführen [1].
Welche Bestandteile von Tumorzellen lassen sich heute im Blut nachweisen?
Pantel: An erster Stelle steht neben den zirkulierenden Tumorzellen selbst sicherlich die zirkulierende DNA. Die Tumorzellen geben, wenn sie absterben, DNA ab, die dann auch im Blut nachweisbar ist. Unglücklicherweise machen das auch normale Zellen, die absterben – bei einem starken Infekt oder wenn die Patienten Chemotherapie bekommen –, d. h. im Blut findet sich eine Mischung aus normaler DNA mit einem kleinen Anteil von Tumor-DNA. Um diese nachzuweisen, muss man sehr empfindliche molekulargenetische Methoden einsetzen. Das ist sicherlich der – neben den zirkulierenden Tumorzellen – attraktivste Ansatz. Sehr interessant, auch wenn es dazu noch nicht so viele klinische Daten gibt, sind mittlerweile auch die Exosomen; das sind Mikrovesikel, die ebenfalls von den Tumorzellen abgegeben werden, etwa virusgroß sind und RNA, DNA und Proteine enthalten. Exosomen sind nicht nur als Bio-Marker interessant, sondern sie können auch von Zellen im Körper wiederaufgenommen werden und deren Biologie verändern. Wir hatten vor zwei Jahren in Nature publiziert, dass solche veränderten Zellen auch die Nischen für metastasierende Zellen bilden können [2]. Das finde ich hochinteressant, dass Exosomen – ähnlich wie die zirkulierenden Tumorzellen – nicht nur als Biomarker dienen können, sondern auch eine aktive Rolle in Metastasierung und Tumorbiologie spielen.
Welche Methoden kann man heute anwenden, um zirkulierende zellfreie DNA zu analysieren?
Pantel: Wir haben eine steigende Zahl neuer Methoden, die hier eingesetzt werden können und die alle immer empfindlicher werden, weil man eben gesehen hat, dass der prozentuale Anteil der Tumor-DNA im Blut doch sehr klein ist. In den ersten Studien hat man Patienten mit sehr fortgeschrittenen Tumoren untersucht, bei denen 5–10% oder ein noch größerer Anteil der DNA im Plasma vom Tumor stammte. Da war die Empfindlichkeit der Methodik gar nicht so entscheidend. Es gibt aber doch eine ganze Menge von Patienten, bei denen weniger als 5% oder sogar weniger als 1% der DNA aus dem Tumor kommt. Deshalb geht die Entwicklung im Moment hin zu hochsensitiven Methoden, z. B. Droplet-PCR. Neuerdings verwendet man auch noch Barcoding-Eigenschaften, um Fehler zu vermeiden, denn wenn man so eine Methodik in die Grenzbereiche ihrer Sensitivität treibt, erhält man irgendwann auch falsch-positive Resultate.
Zu den praktischen Anwendungen: Wie sieht es mit Screening und Früherkennung aus?
Pantel: Screening und Früherkennung gehören zum Schwierigsten auf diesem Gebiet. Im Moment wird untersucht, ob man zum Beispiel bei Risikogruppen, etwa sehr starken Rauchern oder Patienten mit anderen Lungenerkrankungen, frühzeitig im Blut tumortypische DNA-Veränderungen finden kann. Da war man vor einigen Jahren noch sehr optimistisch – Stichwort „Krebsdiagnose aus einem Bluttropfen“ – aber in den letzten zwei Jahren ist hier wieder Ernüchterung eingekehrt: Man hat nämlich gefunden, dass viele Menschen ab einem gewissen Alter auch schon DNA mit tumortypischen Veränderungen im Blut haben. Es wird also wahrscheinlich nicht so einfach sein, daraus eine Krebsdiagnose zu stellen, wenn man selbst Mutationen im p53-Gen auch im Blut von völlig Gesunden findet. Das gleiche hat man für Leukämie- und für andere Tumoren relevante Gene usw. festgestellt.
Hier schauen wir jetzt, ob es vielleicht Kombinationen von 10, 20 oder 30 genetischen Veränderungen gibt, die dann doch als krankheitsspezifisch gelten können. Das ist natürlich viel Aufwand, und wenn man hier etwas finden würde, müsste man erst Gesunde mit Krebspatienten vergleichen und dann in einer Kohortenstudie untersuchen, wie viele Probanden mit positivem Testresultat Krebs bekommen. Und dann müsste man erst noch mit radiologischen Verfahren Informationen über die Lokalisation gewinnen. Hier ist also noch intensive Entwicklungsarbeit zu leisten. Was es wahrscheinlich am ehesten einmal geben wird, ist ein Früherkennungstest für Patienten mit hohem Risiko – mit familiären Krebssyndromen oder wie gesagt mit bestimmten Lungenerkrankungen –, aber erst einmal kein Screening für die Gesamtbevölkerung.
Wie sieht es in frühen Krankheitsstadien aus? In der Hämatologie wird ja z. B. bei vielen Erkrankungen die minimale Resterkrankung nach der initialen Therapie bestimmt, und das wird in einigen Fällen auch schon zur Therapiesteuerung eingesetzt. Bei soliden Tumoren ist das noch eher Zukunftsmusik?
Pantel: Genau. Das Vorhandensein von minimaler Resterkrankung wird zwar schon seit 2010 in der TNM-Klassifikation erwähnt, aber praktisch nicht angewendet. Das ist eigentlich sehr schade, weil die Daten, besonders beim Mammakarzinom, zur prognostischen Bedeutung zirkulierender Tumorzellen zum Zeitpunkt der initialen Operation enorm hart sind. Hier wurden ja Tausende von Patienten multizentrisch untersucht, und es gibt gar keinen Zweifel, dass das prognostisch relevant ist. Aber die Medizin ist teilweise sehr konservativ, es gibt insgesamt eine gewisse Skepsis gegenüber Prognosefaktoren, obwohl eigentlich auch die Bestimmung der Tumorstadien Prognosefunktion hat.
Kann ein Monitoring zirkulierender Tumorzellen oder zellfreier DNA die Wirksamkeit von Interventionen bei Mamma-, Prostatakarzinom etc. belegen? Wie sieht ein Vergleich mit anderen Tumormarkern aus?
Pantel: Auch hier haben wir vor ein paar Jahren auf europäischer Ebene eine sehr schöne Studie durchgeführt, in der wir ein Monitoring zirkulierender Tumorzellen mit den üblichen Serummarkern beim Mammakarzinom verglichen [3]. Dabei zeigte sich ganz deutlich, dass das Monitoring der zirkulierenden Tumorzellen wesentlich besser mit dem Tumorprogress, d. h. mit dem Erfolg oder Misserfolg der Therapie korrelierte als die Serummarker. Auch beim Prostatakarzinom ist das gezeigt worden, von Howard Scher und Johann de Bono, dass man schon nach ein paar Wochen Therapie Informationen bekommt, ob die Therapie erfolgreich ist [4]. Das ist allerdings noch nicht abrechenbar, zumindest nicht als Kassenleistung.
Dann zum metastasierten Stadium: Wann ist hier eine Liquid Biopsy sinnvoll, und welche Vorteile hat sie? Bei welchen Tumorentitäten ist sie schon etabliert bzw. wo ist es sinnvoll, sie anzuwenden?
Pantel: Aus meiner Sicht auf jeden Fall sinnvoll sind zwei Applikationen des Nachweises zirkulierender DNA: Das ist einerseits die RAS-Mutationsbestimmung beim Kolonkarzinom, die man aus dem Plasma sehr gut machen kann, zum anderen eine Applikation, die vielleicht noch ein bisschen vorrangiger ist, nämlich die EGFR-Mutationsanalytik beim Lungenkarzinom. Diese ist sehr Erfolg versprechend und wird auch in vielen Ländern in Europa schon durchgeführt. Hier sind ja Gewebebiopsien oft problematisch, weil sie ein ziemlich invasiver Eingriff sind. Ich glaube, das sind zwei Applikationen der DNA-Analytik aus Blut, für die es eine ganz klare klinische Rationale gibt. Zu Irritationen führt hier häufig, dass die Nadelbiopsie zum Beispiel beim Lungenkarzinom als eine Art Goldstandard gilt und beim Vergleich von Nadelbiopsie und Liquid Biopsy gewisse Diskrepanzen auftreten können. In der Realität ist es aber natürlich so, dass die Nadelbiopsie stark mit dem Problem der Tumorheterogenität zu kämpfen hat. Deshalb denke ich, dass man auch einen „Goldstandard“ manchmal hinterfragen muss.
Ließe sich das Problem der Heterogenität mit der Liquid Biopsy besser umgehen als mit konventionellen Biopsien?
Pantel: Der Charme der Liquid Biopsy ist natürlich, dass man hier DNA oder auch Zellen untersuchen kann, die von unterschiedlichen Tumorläsionen im Körper eines Krebspatienten abgegeben werden. Wir wissen ja schon seit Jahren, dass verschiedene Metastasen in einem individuellen Patienten unterschiedliche genetische Ausstattungen haben. Insofern besteht bei der Biopsie einer einzelnen Läsion immer die Gefahr, dass man eine genetische Aberration findet, die nicht repräsentativ ist für die übrigen Läsionen im Körper des Patienten. Bei der Liquid Biopsy bekommt man dagegen einen Pool genetischer und auch zellulärer Informationen – zumindest theoretisch. Natürlich ist die Liquid Biopsy ebenfalls begrenzt dadurch, dass man auch hier nur eine Momentaufnahme bekommt und dass man auch nur ein gewisses Aliquot analysiert. Ich würde also nicht sagen, dass die Liquid Biopsy überhaupt nicht mit Tumorheterogenität zu kämpfen hat. Ich glaube aber, wenn sie sich in den nächsten Jahren weiter so gut entwickelt, wird sie die Chance haben, einen repräsentativeren Pool an Information zu liefern als die willkürliche Punktion einer einzelnen Metastase. Und natürlich müssen beide Methoden in klinischen Studien zeigen, ob die Informationen, die sie liefern, wirklich prädiktiv sind für das Ansprechen auf eine Therapie – das ist das Entscheidende. Den aktuellen Stand der Entwicklung bei der Liquid Biopsy haben wir erst jüngst in einem Review-Artikel zusammengefasst [5].
Kann man heute schon Untersuchungen an Liquid Biopsies in der Praxis anwenden, um Patienten für bestimmte Therapien zu stratifizieren, die per Zulassung Companion Diagnostics erfordern wie zum Beispiel bei bestimmten Formen von Lungenkarzinomen oder beim kolorektalen Karzinom?
Pantel: Wir haben ja derzeit wie gesagt noch die Situation, dass die Gewebeuntersuchung, entweder am operierten Tumor oder an einer Biopsie, der Standard ist. Für den Fall, dass man kein Gewebe gewinnen kann – und das ist eben bei manchen Lokalisationen wie z. B. beim Lungenkarzinom gar nicht so selten – oder dass das mit großer Gefahr einhergeht, gab es vor Kurzem einen in meinen Augen guten Vorschlag im Journal of Clinical Oncology [6]: Dort wurde im Plasma von Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom nach der T790M-Mutation im Gen für den epidermalen Wachstumsfaktor gefahndet. Bei Patienten, die im Plasma positiv für diese Mutation waren, war das klinische Ergebnis einer Therapie mit dem Tyrosinkinaseinhibitor Osimertinib genauso gut wie bei denen, die in Gewebeproben positiv getestet worden waren. Wegen einer Rate an falsch-negativen Tests im Plasma von etwa 30% haben die Autoren vorgeschlagen, bei solchen Patienten erst einmal im Plasma zu testen: Findet man dort bereits die entsprechenden Mutationen, kann man diesen Patienten die Nadelbiopsie ersparen. Ist das Ergebnis negativ, müsste man zusätzlich auf eine Nadelbiopsie zurückgreifen. Ich fand das einen ganz guten Kompromiss – vielleicht ergibt sich auf diese Weise eine Art Stufendiagnostik, und es würde auch das Argument wegfallen, dass man aus dem Blut nicht immer ein Ergebnis bekommt und das deshalb gar nicht machen sollte. Dem Patienten würde es in jedem Fall dienen.
Welche Aktivitäten verfolgen Sie gerade, um den Ansatz der Liquid Biopsy weiterzuentwickeln?
Pantel: Wir haben seit 2015 ein EU-Konsortium, das Cancer ID heißt und für fünf Jahre mit 37 Partnerinstitutionen in ganz Europa läuft. Beteiligt sind auch die wichtigsten Experten aus dem Bereich der zirkulierenden Tumor-DNA, es geht also nicht nur um zirkulierende Tumorzellen. Hier ist das Ziel, eine technische und klinische Validierung von Assays durchzuführen, die dann auch in der Klinik Einsatz finden können. Wir haben nämlich gesehen, dass sehr viele Assays produziert und publiziert werden, dass aber relativ wenig davon in der Klinik ankommt. Deshalb soll dieses Konsortium jetzt die Assays im Bereich der Liquid Biopsy, die besonders weit entwickelt sind, in Ringversuchen auf Herz und Nieren prüfen und dann eine Empfehlung geben, welche davon als Companion Diagnostics zu empfehlen wären.
In Hamburg sind wir eines der onkologischen Spitzenzentren, das schon seit vielen Jahren von der Deutschen Krebshilfe gefördert wird, und innerhalb dieses onkologischen Spitzenzentrums haben wir ein Micrometastasis-Netzwerk geschaffen – das wird demnächst in Liquid-Biopsy-Netzwerk umbenannt –, in dem mehr als ein Dutzend klinische Abteilungen die Krebspatienten behandeln, mit uns kooperieren und insgesamt eine hervorragende Plattform bieten, um dieses Thema wirklich in der Tiefe, aber auch in der Breite zu bearbeiten.
Interview: Josef Gulden
Literatur
1. Alix-Panabieres C, Pantel K. Nature Rev Cancer 2014; 14: 623-31.
2. Hoshino A et al. Nature 2015; 527: 329-35.
3. Bidard FC et al. Lancet Oncol 2014; 15: 406-14.
4. Bardelli A, Pantel K. Cancer Cell 2017; 31: 172-9.
5. Heller G et al. Clin Cancer Res 2016, Sep 27 [prepub ahead of print, DOI 10.1158/1078-0432.CCR-16-1224].
6. Oxnard GR et al. J Clin Oncol 2016; 34: 3375-82.
Prof. Dr. Klaus Pantel