Mit Ausnahme der akuten Promyelozyten-Leukämie (APL) ist die Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) des Erwachsenen nach wie vor ein schwieriges Terrain für den Hämatologen. Die immer präzisere Subklassifikation dieser sehr heterogenen Erkrankung eröffnet jedoch neue Optionen mit Medikamenten, die zum Teil an genau definierten molekularen Mechanismen angreifen und für Subgruppen vielversprechende Aktivitäten zeigen. Aber auch bei der klassischen 7 + 3-Chemotherapie kann man zum Beispiel durch neue Verpackung der Zytostatika zu einer erstaunlichen Steigerung der Wirksamkeit kommen, wie bei der ASH-Jahrestagung gezeigt werden konnte.
Nach überstandener Krebserkrankung haben Patienten ein erhöhtes Risiko, später an einem Sekundärmalignom zu erkranken, darunter häufig myeloide Neoplasien, deren Verlauf dann oft letal ist. Da in den letzten Jahren eine klonale Hämatopoese bei Patienten nachgewiesen wurde, die später zum Beispiel eine akute myeloische Leukämie (AML) entwickelten, überprüften Kollegen am M. D. Anderson Cancer Center in Houston die Hypothese, dass eine solche klonale Hämatopoese auch das Risiko für therapiebedingte myeloide Neoplasien erhöht [1].
Zunächst, so Koichi Takahashi, Houston, wurden Knochenmarkzellen von 14 Patienten mit therapiebedingter myeloider Neoplasie einer Sequenzierung unterzogen, die insgesamt 29 Treibermutationen in 16 Genen ergab, darunter bei fünf Patienten (36%) Mutationen im TP53-Gen. Nach diesen Mutationen wurde dann gezielt in Knochenmark- und peripheren Blutproben derselben Patienten gesucht, die bei Diagnose der ursprünglichen Tumorerkrankung und vor Beginn der Krebstherapie entnommen worden waren. Dabei fanden sich bei zehn der Patienten 21 der einschlägigen Mutationen im Sinne einer prä-leukämischen klonalen Hämatopoese mit einer medianen Allelfrequenz von 8,5%; zwölf weitere Mutationen in den ursprünglichen Proben hatten sich offenbar nicht zu Treibermutationen entwickelt, ihre Allelfrequenz war mit median 1,2% deutlich niedriger.
In einer Kontrollkohorte von 54 Lymphom-Patienten ohne sekundäre myeloide Neoplasie fand sich in peripherem Blut, das vor Beginn der Therapie abgenommen worden war, lediglich bei 17 (31%) klonale Hämatopoese (insgesamt 22 Mutationen). Mit dem Vorliegen klonaler Hämatopoese vor Beginn der Therapie war ein deutlich und signifikant höheres Risiko für ein myeloides Sekundärmalignom assoziiert (30% vs. 7%; p = 0,015).
Eine Validierungskohorte umfasste 74 Patienten, die wegen eines Lymphoms zunächst ein CHOP-basiertes Protokoll sowie in 47% der Fälle eine Bestrahlung und in 22% eine autologe Stammzelltransplantation erhalten hatten. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 14,8 Jahren entwickelten fünf dieser Patienten nach median 5,4 Jahren eine maligne myeloide Erkrankung. In Blutproben aus der Zeit vor der Therapie fand sich bei vier dieser fünf Patienten (80%), aber nur bei elf der übrigen 69 (16%) eine klonale Hämatopoese (p = 0,005). Positiver und negativer prädiktiver Wert der klonalen Hämatopoese lagen bei 26,7% bzw. 98,3%. Eine multivariate Analyse zeigte, dass die klonale Hämatopoese das Risiko für eine myeloide Neoplasie ungefähr genauso stark erhöht (Hazard Ratio 12,0; p = 0,027) wie eine autologe Stammzelltransplantation (HR 10,5; p = 0,037).
Diese Befunde suggerieren mögliche Screening-Strategien, mit denen man Patienten mit einem erhöhten Risiko für myeloide Sekundärtumoren identifizieren könnte. Zuvor, so Takahashi, sollte die Rolle der klonalen Hämatopoese als prädiktiver Marker aber noch einmal in einem prospektiven Setting überprüft werden.
Bcl-2-Inhibition auch bei AML vielversprechend
Ältere Patienten mit AML sind oft nicht mehr für eine intensive Chemotherapie geeignet; eine Alternative ist dann häufig niedrig dosiertes Cytarabin, worauf aber maximal jeder vierte mit einer kompletten Remission anspricht. Mit dem Bcl-2-Inhibitor Venetoclax wurde jüngst ein neues Therapieprinzip in die Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) eingeführt, das Tumorzellen durch Blockade des anti-apoptotischen Proteins Bcl-2 in den programmierten Zelltod zwingt. Bei der rezidivierten oder refraktären AML hat Venetoclax als Monosubstanz Wirkung gezeigt, und in einer Phase-I-Studie wurden für die Kombination mit niedrig dosiertem Cytarabin (20 mg/m2 an den Tagen 1–10 jedes 4-Wochen-Zyklus) als Dosierung von Venetoclax für die Phase II 600 mg/d definiert. In San Diego konnte Andrew Wei, Melbourne, erstmals Ergebnisse für die Eskalations- und Extensionsphase vorstellen [2]:
Das Ansprechen war sehr ermutigend mit einer Gesamtremissionsrate von 61% bei insgesamt 61 Patienten im medianen Alter von 74 Jahren, davon 33 komplette Remissionen mit oder ohne komplette hämatologische Erholung (54%). Alle ansprechenden Patienten gehörten zu der Untergruppe, die zuvor keine myeloproliferative Neoplasie aufgewiesen hatte. Venetoclax in der Dosierung von 600 mg/d war (mit einem einschleichenden Dosierungsregime) in dieser Studie in Kombination mit niedrig dosiertem AraC gut verträglich und mit hohen Ansprechraten verbunden, auch bei Patienten
- im Alter von über 75 Jahren,
- bei solchen mit sekundärer AML, die vorher bereits wegen eines myelodysplastischen Syndroms hypomethylierende Substanzen erhalten hatten,
- bei Vorliegen eines ungünstigen Karyotyps sowie einer FLT3-ITD- bzw. einer IDH1/2-Mutation.
Die Überlebensraten für alle Patienten nach einem Jahr liegen über 60%, für die Responder sogar bei rund 80%. Derzeit wird eine randomisierte Studie zur Bestätigung dieser Ergebnisse geplant, so Wei; in der Zwischenzeit hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde Venetoclax in dieser Indikation bereits einen „Breakthrough Therapy“-Status zuerkannt, der möglicherweise zu einer beschleunigten Zulassung führen könnte.
Immuntoxin als potente Ergänzung zu 7 + 3
Auch bei jüngeren Patienten mit AML, die eine intensive Chemotherapie erhalten können, besteht Verbesserungsbedarf über das hinaus, was man heute etwa mit dem klassischen 7 + 3-Regime erreichen kann. Insbesondere verspricht man sich Fortschritte von einer Verbesserung der Remissionstiefe, d. h. einer Erhöhung der Raten an MRD-negativen Remissionen. Da bei rund 90% aller AML-Erkrankungen die Blasten der Patienten das CD33-Antigen exprimieren, wurde ein Immuntoxin entwickelt, in dem der CD33-Antikörper Vadastuximab mit zwei Molekülen eines Pyrrolobenzodiazepin-Dimers gekoppelt ist (Vadastuximab Talirine). Nach Aufnahme des Konjugats in die CD33-positiven Zellen wird in deren lysosomalem Kompartiment das Toxin abgespalten und kann durch Crosslinking der DNA zum Zelltod führen.
In einer Phase-Ib-Studie schlossen US-amerikanische Kollegen bislang 42 weniger als 65 Jahre alte Patienten mit neu diagnostizierter AML ein [3]. Sie erhielten ein gängiges 7 + 3-Regime mit Cytarabin (100 mg/m2) und Daunorubicin (60 mg/m2) und dazu an den Tagen 1 und 4 Vadastuximab Talirine, so Harry Erba, Birmingham, Alabama.
Von den 40 bisher auswertbaren Patienten erreichten 24 (60%) eine komplette Remission, weitere sieben (18%) eine Komplettremission mit unvollständiger Erholung der hämatologischen Parameter und vier (10%) einen morphologisch leukämiefreien Zustand. Die Rate an Komplettremissionen lag damit bei 78%, davon wurden 94% im ersten Induktionszyklus erreicht. Von 31 auswertbaren Patienten mit Komplettremission wurden 23 (74%) auch MRD-negativ (gemessen im Knochenmark mittels multiparametrischer Durchflusszytometrie). Von den 40 Patienten sind bislang lediglich vier verstorben, sechs befinden sich noch in Behandlung.
Angesichts der sehr guten Verträglichkeit – es gab keine Infusionsreaktionen, nicht-hämatologische Toxizitäten und frühe Sterblichkeit waren nicht höher als mit dem 7 + 3-Regime alleine – werden angesichts der erreichten tiefen Remissionen große Hoffnungen in diese Kombination gesetzt, insbesondere was eine langfristige Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens angeht. Im ersten Quartal 2017 soll dazu eine randomisierte Phase-II-Studie beginnen, in der 7 + 3 alleine oder in Kombination mit Vadastuximab Talirine gegeben wird.
Exportin-Hemmung als Bridging-Strategie zur
Transplantation?
Auch nach einem guten Ansprechen auf die Initialtherapie der AML sind Rezidive häufig, und sie gehen dann mit einer ausgesprochen schlechten Prognose einher. Auch hier werden neue Ansätze getestet, beispielsweise der Einsatz von Selinexor, dem ersten in der Klinik eingesetzten Inhibitor des nukleären Transportproteins Exportin, das in vielen malignen Tumoren überexprimiert wird. Hamburger Kollegen erprobten Selinexor bei Patienten mit rezidivierter oder refraktärer AML in Kombination mit einer Induktionstherapie aus Cytarabin und Idarubicin [4].
Egal ob die oral gegebene Substanz in Abhängigkeit von der Körperoberfläche (40 mg/m2 zweimal täglich) oder in einer Fixdosis (60 mg zweimal täglich) gegeben wurde, ergaben sich Ansprechraten von etwa 55%, so Walter Fiedler, Hamburg. In der ersteren Kohorte erhielten 40% der ansprechenden Patienten eine Stammzelltransplantation oder eine Donor-Lymphozyten-Infusion, was in einer medianen rezidivfreien Überlebenszeit von 454 Tagen und einer medianen Überlebensdauer von 465 Tagen resultierte. In der zweiten Kohorte ist die Nachbeobachtungszeit noch zu kurz, um Aussagen über Transplantationen zu machen. Die Autoren halten die niedrigere Dosis für besser verträglich und empfehlen, damit weitere Untersuchungen durchzuführen, weil die Behandlung vielversprechend sei, vor allem als Bridging-Strategie zu einer allogenen Transplantation in der notorisch schlecht behandelbaren rezidivierten oder refraktären Situation.
Quinolon vor allem bei refraktärer AML wirksam
Vosaroxin ist das erste Quinolon-Derivat, das es in die Klinik geschafft hat: Es zeigt Aktivität bei der AML, wird kaum metabolisiert, wird nicht durch P-Glykoprotein aus der Zelle geschleust und ist in seiner Aktivität unabhängig vom p53. In der Phase-III-Studie VALOR war Vosaroxin bei Patienten im Alter von 60 oder mehr Jahren mit erstmals rezidivierter oder refraktärer AML mit Cytarabin kombiniert und randomisiert gegen das Zytostatikum alleine getestet worden. In der primären Analyse nach median etwa zwei Jahren war bereits eine Verlängerung des Gesamtüberlebens durch die Zugabe des Quinolons erkennbar gewesen (median 7,1 vs. 5,0 Monate; HR 0,75; p = 0,0030). In San Diego zeigte Farhad Ravandi, Houston, die 40-Monats-Resultate [5]:
Die Hazard Ratio für das Gesamtüberleben war gegenüber der Primäranalyse konstant geblieben (HR 0,75; p = 0,0017), und insbesondere war eine anhaltende Trennung der Kurven erkennbar (Abb. 1): Nach median 39,9 Monaten Nachbeobachtung waren im Kontrollarm noch 4,4% der Patienten am Leben, im Verumarm hingegen 10,2%. Der Überlebensvorteil war unabhängig von der Altersgruppe (bei den 60–64-, 65–74- und 75–84-Jährigen) ebenso wie davon, ob die Patienten nach der Therapie eine Transplantation erhalten hatten oder nicht. Unterschiede zeigten sich lediglich beim Krankheitsstatus: Es profitierten nur Patienten mir refraktärer Erkrankung und diejenigen mit einem frühen Rezidiv, nicht hingegen jene mit späten Rezidiven, bei denen sich die Überlebenszeiten nicht unterschieden (mit Vosaroxin median 9,2, ohne median 9,8 Monate; HR 1,06).