EBM-Novellierung – ein Meilenstein für die Molekularpathologie
Diagnostik in der Onkologie
Ab dem 3. Quartal 2016 gelten im EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) neue Vergütungsregeln für molekularpathologische, humangenetische und immungenetische Untersuchungen. Die längst überfällige Novellierung hat insbesondere die Kostenerstattung für Pathologen, die im EBM bisher als „Anhängsel“ der Humangenetik geführt wurden, transparenter gemacht. Es bleiben aber Einschränkungen bestehen, die sachlich nur schwer nachvollziehbar sind.
Schlüsselwörter: EBM-Novellierung, Molekularpathologie, Liquid Biopsy, Genexpressionsanalyse, Companion Diagnostics
Der 1. Juli 2016 könnte nach Ansicht von Gisela Kempny, Geschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Pathologen e. V. (BDP) als historisches Datum in die Geschichte der Pathologie eingehen [1]. Zu diesem Stichtag trat eine Novelle des EBM, Kapitel 19 in Kraft, in der die Vergütung für molekularpathologische Analysen tumorgenetischer Veränderungen neu geregelt wird [2]. Die Änderungen waren am 11. März vom Bewertungsausschuss der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung beschlossen worden.
Damit, so Kempny, habe ein Prozess von fast dreißig Jahren seinen vorläufigen Abschluss gefunden: So lange werde die Molekularpathologie nämlich bereits durch den Bundesverband betreut, wobei es stets das Ziel war, die Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen auf solide Füße zu stellen.
Im Rahmen der Novellierung wurden auch zwei weitere Kapitel der Molekulardiagnostik überarbeitet und erweitert, nämlich Kapitel 11.4 (Humangenetische Untersuchungen) und Kapitel 32.3. (Immungenetische Untersuchungen). In einer ausführlichen Stellungnahme [3, 4] begrüßten Dr. med. Hanns-Georg Klein und sein Mitarbeiter Dr. med. Kaimo Hirv vom Münchner Zentrum für Humangenetik und Laboratoriumsdiagnostik, dass mit der Neufassung längst überfällige Anpassungen an den Stand von Wissenschaft und Technik vorgenommen wurden. Sie betonten aber auch, dass die neuen Regelungen trotz aller Verbesserungen hinter international anerkannten Standards und den Forderungen der Berufsverbände, insbesondere des Berufsverbands Deutscher Humangenetiker, zurückbleiben.
Originäre Leistung der Pathologie
Die Leistungen der Molekularpathologie, die bislang hilfsweise über das Kapitel 11 der Humangenetik abgerechnet werden mussten, sind jetzt als originäre Gebührenordnungspositionen der Pathologie verfügbar – eine aus fachlicher Sicht dringend gebotene Klarstellung, da die analysierten Mutationen im Fall der Humangenetik die Keimbahn betreffen, während die Onkologie sich vorwiegend mit somatischen Varianten befasst.
Aus Sicht des Gesetzgebers ist bei humangenetischen Analysen grundsätzlich eine Aufklärung und Einwilligung des Patienten erforderlich, während die Untersuchung erworbener tumorgenetischer Eigenschaften nicht unter das Gendiagnostikgesetz fällt; lediglich wenn sich im Zuge der molekularpathologischen Diagnostik der Verdacht einer familiären Tumorerkrankung ergibt, muss eine humangenetische Beratung angeboten werden, die dann nicht mehr zum Aufgabenbereich der Pathologie gehört.
Zwei wichtige Errungenschaften
Aus Vergütungssicht sind zwei Errungenschaften besonders hervorzuheben:
die Öffnung für methodische Neuentwicklungen, insbesondere bei der Gensequenzierung
die Empfehlung zur extrabudgetären Vergütung molekularpathologischer Leistungen in der Onkologie.
Bislang wurden von den Kassen nur Sequenzierungen mit der klassischen Sanger-Methode vergütet, was insbesondere bei komplexen genetischen Analysen einen unzumutbaren Mehraufwand an Zeit, Personal und Material verursachte. Mit den modernen Verfahren lassen sich auch große Gene wie BRCA1 und BRCA2 in einem Arbeitsgang untersuchen, sodass nun auch für gesetzlich Versicherte umfassende Aussagen, beispielsweise über eine Therapie mit PARP-Inhibitoren beim Ovarialkarzinom gemacht werden können. Kempny betont, dass durch das Kapitel 19.4.4 ausdrücklich auch zukünftige Indikationen abgedeckt sind, also beispielsweise die Ausweitung der BRCA-Analytik auf Brustkrebs, sobald diese Wirkstoffe dafür zugelassen sind.
Die zweite wichtige Errungenschaft betrifft die Empfehlung, künftig Leistungen der allgemeinen onkologischen Molekularpathologie (19.4.2 „In-vitro-Diagnostik tumorgenetischer Veränderungen“) und der sogenannten Companion Diagnostics (19.4.4 „In-vitro-Diagnostik tumorgenetischer Veränderungen zur Indikationsstellung einer pharmakologischen Therapie“) extrabudgetär zu vergüten. Diese Finanzierungsform belastet also weder das Gesamtbudget noch dasjenige der Pathologen. So werden nach Auffassung des BDP Interessenskonflikte zwischen den pathologischen Instituten untereinander sowie mit anderen Fachgruppen vermieden.
Offene Fragen
Bei aller Freude über die neue Transparenz gibt es allerdings auch Vorgaben und Einschränkungen, die für Pathologen und Genetiker aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar sind. So dürfen hämatoonkologische Klonalitätsanalysen zwar von pathologischen Instituten durchgeführt, nicht aber veranlasst werden – selbst wenn sie im Rahmen der leitliniengerechten Stufendiagnostik indiziert sind.
Ebenso schwer nachvollziehbar ist die Beschränkung der molekularpathologischen Tumordiagnostik auf Untersuchungen im Gewebe. Analysen auf Basis freier Nukleinsäuren im Plasma (Liquid Biopsy) werden nicht vergütet, selbst wenn sie im Rahmen der vorgeschriebenen Companion Diagnostics unumgänglich sind – zum Beispiel weil bei der Verlaufskontrolle des Bronchialkarzinoms nicht mehrfach bioptisches Gewebe gewonnen werden kann. In begründeten Fällen haben gesetzlich Versicherte zwar auf diese Leistung Anspruch, doch die Kostenerstattung ist mit erheblichem Zusatzaufwand verbunden oder beschränkt sich auf Direktverträge bei bestimmten Krankenkassen. Ebenfalls nicht vergütet werden Genexpressionsanalysen, die beispielsweise für die Prognostik und Therapieauswahl beim Mammakarzinom heute zum Stand der Technik gehören.
Die genaue Zahl der "offenen Baustellen", an denen in nächster Zeit gearbeitet werden muss, ist wohl erst abschätzbar, wenn die Novelle einige Monate erprobt wurde. So schränkt Kapitel 19 die Vergütung der Diagnostik somatischer Mutationen auf 15 pathogene Mutationsstellen und 20 Kilobasen bei einer Nachweisgrenze von mindestens 10% ein [3]; ob es sich hier um hinnehmbare Spitzfindigkeiten oder medizinisch untragbare Einschränkungen der medizinischen Diagnostik handelt, muss die Praxis zeigen.
Literatur
1. Kempny G. EBM-Novellierung aus Sicht des Berufsverbands der Pathologen. Trillium Diagnostik 2016;
14(2): 112–113.
2. KBV Mitteilungen. Deutsches Ärzteblatt 2016, Jg. 113, Heft 16: A776–A790.
3. Klein HG. Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) – Neufassung mit Schwachstellen. Trillium Diagnostik 2016; 14(2): 110–111.
4. Hirv K. Neue Abrechnungsregeln für die Immungenetik. Trillium Diagnostik 2016; 14(2): 113.
Prof. Dr. Georg Hoffmann
Trillium GmbH Medizinischer Fachverlag
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georg.hoffmann@trillium.de