Zwei Fragen – viele Antworten

Sepsisdiagnostik in der labormedizinischen Routine

Aus der Vielzahl vorgeschlagener Biomarker haben sich nur wenige in der Routinediagnostik der Sepsis etabliert. Bei der Entscheidung für oder gegen die Einführung eines neuen Markers spielen medizinische, organisatorische und wirtschaftliche Kriterien eine Rolle.

Vereinfacht gesprochen kann man die Sepsis als entgleiste Maximalvariante einer Entzündung im Gefolge einer Infektion betrachten. Die mit der höchs­ten Mortalität belastete Verlaufsform ist der septische Schock, bei dem die pro- und anti-inflammatorischen Mechanismen soweit aus dem Gleichgewicht geraten sind, dass der Kreislauf zusammenbricht und lebenswichtige Organsysteme versagen – vor allem Lunge, Leber, Nieren und ZNS sowie das Gerinnungssystem[1].
Als gesichert gilt: Je früher die Sepsis erkannt wird, desto besser lässt sie sich behandeln[2]. Denn ist der Patient erst einmal im septischen Schock, dann muss man selbst bei optimaler intensivmedizinischer Betreuung in mehr als der Hälfte der Fälle mit einem letalen Verlauf rechnen. Neben der kardiologischen und neurologischen Überwachung spielt die Labordiagnostik für die Früherkennung eine herausragende Rolle[3]. Entscheidend für den Kliniker ist dabei die schnelle und treffsichere Beantwortung seiner beiden Hauptfragen:
• Hat der Patient einen bakteriellen Infekt, muss er Antibiotika bekommen, reagiert er auf die Therapie?
• Entwickelt der Patient eine Sepsis oder einen septischen Schock und muss sofort intensivmedizinisch betreut werden?
Mikrobiologie und Immunchemie stehen somit im Zentrum der Labordiagnostik bei Sepsis und septischem Schock.

 

Tab. 1: Bewertung von häufig angeforderten Entzündungsmarkern für die Sepsisdiagnostik.


Biomarker für die Früherkennung

Die Suche nach neuen, möglichst spezifischen Biomarkern für die frühzeitige Erkennung von Warnsignalen aus dem Blut läuft auf Hochtouren[4]. Trotzdem bleibt die Zahl der routine­mäßig angeforderten Labor­parameter weiterhin überschaubar. Zumindest die ersten vier in der nebenstehenden Tabelle sind in nahezu jedem Haus rund um die Uhr verfügbar, doch ihr diagnostischer und prognostischer Wert wird generell als gering eingestuft.
Höhere Aussagekraft kommt den beiden Markern PCT (vor allem bei Erwachsenen) und IL-6 (vor allem bei Kindern) zu. Sie steigen bei einer bakteriellen Infektion innerhalb von 2 bis 12 bzw. 1 bis 2 Stunden auf ein Vielfaches des Ausgangswerts an. Wie die Abb. 1 zeigt, sind sie damit dem viel häufiger eingesetzten, weil preisgünstigeren CRP mit Blick auf die Früherkennung bei Weitem überlegen.
Noch früher reagiert der Tumornekrose-Faktor TNF-α, der sich aber wegen extrem niedriger Spiegel bei Gesunden (< 25 pg/ml) und entsprechend schwieriger Analytik in der Routine nicht durchsetzen konnte. Als relativ neuer Kandidat mit ebenfalls sehr raschem Anstieg in der Initialphase kam Presepsin (PSEP) auf den Markt, dessen Referenzwerte für Gesunde um eine Zehnerpotenz höher liegen als diejenigen von TNF-α[5].
Auch wenn die Abbildung nahelegt, dass die Bestimmung von Panels anstelle von Einzelwerten eine bessere Abschätzung des Verlaufs von Infektion und Entzündung zulässt, ließ sich diese Annahme in sorgfältigen statistischen Analysen nicht bestätigen[7]. Der wirtschaftliche Mehraufwand für Zytokin-Multiplextests erscheint deshalb derzeit nicht gerechtfertigt.
Der ebenfalls relativ neue Marker pro-Adrenomedullin (proADM) erwies sich beim septischen Schock als prognostisch wertvoll: Für Patienten mit Werten unter 1,2 nmol/l ergab sich ein signifikant besserer Outcome als für solche mit höheren Werten; das 50%-Überleben lag bei 22 im Vergleich zu nur 15 Tagen[8].

 

Abb. 1: Verlauf einiger Entzündungsparameter bei Sepsis

 

Erregernachweis
Wichtig unter klinischen Aspekten ist die rasche und sichere Unterscheidung von bakteriellen und viralen Infekten, um die gezielte Antibiose zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beginnen. Mit jeder Stunde Verzögerung steigt die Mortalität der Sepsis um über 7% an[9]. Eine Blutkultur zur Anzucht der Erreger über etwa einen Tag gilt nach wie vor als Goldstandard, ist aber sowohl unter zeitlichen Gesichtspunkten als auch wegen einer Falsch-Negativ-Rate von bis zu 30% unbefriedigend.
Deshalb kommt auch hier der Immunchemie ein hoher Stellenwert zu. Wie bei der Früherkennung erweist sich PCT im Vergleich zu CRP als deutlich aussage­kräftiger: In einer Metaanalyse ergaben sich gute Sensitivitäten und Spezifitäten von über 80%[10].

Organisatorische Aspekte
Größere Kliniken verfügen in der Regel über ein voll ausgestattetes Krankenhauslabor mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung und hochwertiger Geräteausstattung für Basisparameter (z. B. Blutbild, CRP) und Spezialuntersuchungen (z. B. PCT, IL-6). Das Angebot an den Kliniker ist allerdings trotzdem nicht völlig frei wählbar, da nicht alle Parameter von allen Geräteherstellern verfügbar gemacht werden. Dies gilt gerade auch für PCT, das je nach Analysenplattform entweder überhaupt nicht oder nur als empfindlicher luminometrischer bzw. weniger empfindlicher immunturbidimetrischer Test adaptiert werden kann.
In Abb. 2 sind einschlägige Laborparameter nach Verfügbarkeit und Anforderungsfrequenz aufgetragen. Alle häufig benötigten Tests – unabhängig davon, ob sie rund um die Uhr oder nur während der Kernzeiten vorgehalten werden müssen – sind für das Krankenhauslabor aus organisatorischer Sicht unproblematisch. Als kritisch erweisen sich dagegen die orange hinterlegten Parameter, die selten angefordert werden, dann aber rund um die Uhr zur Verfügung stehen und rasch abgearbeitet werden müssen. Diese Kombination ist für Hochdurchsatzgeräte eine undankbare Aufgabe, denn kurze Serienlängen führen dazu, dass im Verhältnis zu den Patientenproben viele Kontrollen mitbestimmt werden müssen und große Restbestände an Reagenzien verfallen. Hier empfiehlt sich eine Auslagerung an den „Point of Care“.

 

Abb. 2: Einteilung von Laborparametern zur Entzündungsdiagnostik

 


POCT-Testsysteme
Für spezielle Sepsistests wie etwa PCT, IL-6, PSEP und proADM gibt es inzwischen eine Reihe von Tischgeräten, die eigens für kleine Analysen­serien und Einzeltests ausgelegt sind. Man trifft sie vor allem in größeren Praxen und kleineren Krankenhäusern an, wo sie häufig ohnehin bereits für andere Spezialuntersuchungen eingesetzt werden.
Als besonders praktisch für selten an­geforderte Notfallanalysen erweisen sich Single-Use-Reagenzien im Kartuschen- oder Teststreifenformat. Es gibt sie für CRP, PCT und IL-6 auch als manuelle, semi­quantitative Schnelltests (Lateral Flow Immunoassays), die zur ersten Orien­tierung gedacht sind. Mithilfe von Ablese­geräten können solche Tests quantitativ ausgewertet werden, doch Vergleichsmessungen mit klassischen Immuno­assays sind oft problematisch; Verlaufskontrollen, zum Beispiel zum Monitoring des Therapieerfolgs, sollten deshalb immer auf demselben System erfolgen.

Wirtschaftliche Aspekte

Die Sepsis ist nicht nur mit hoher Letalität behaftet; sie verursacht auch enorme Kosten von über 50.000 € pro Fall[11]. Deshalb erscheint der Einsatz selbst sehr teurer Diagnostik auf den ersten Blick gerechtfertigt, wenn man dadurch den Übergang einer Infektion in eine Sepsis vermeiden kann. Doch auch hier ist eine differenzierte Betrachtung lohnend. Bei einem Packungspreis von beispielsweise 2.100 € für den luminometrischen Immuno­assay können die reinen Testkos­ten pro Einzelwert von 22 € über 32 € bis zu 46 € variieren, je nachdem ob pro Tag hundert, fünf oder nur zwei Patientenwerte angefordert werden. Die entsprechenden Gesamtkosten pro anno betragen bei zwei Anforderungen pro Tag gut 33.000 €, in einem großen Haus mit täglich 100 Anforderungen sogar über 800.000 €.
Für den immunturbidimetrischen Test liegen die reinen Reagenzkosten um den Faktor 3 bis 4 niedriger, und für einen immunchromatografischen POC-Test fallen derzeit etwa 10 € „pro Schuss“ an. Diese weniger empfindlichen Verfahren erlauben zwar nicht unbedingt die Unterscheidung zwischen einer Bronchitis und einer Pneumonie, aber für die Einordnung des Patienten in die von der Leitlinie[12] vorgeschlagenen Kategorien „Sepsis unwahrscheinlich“ (PCT < 0,5 ng/ml) und „schwere Sepsis wahrscheinlich“ (PCT > 2 ng/ml) sind sie durchaus geeignet.
Ähnliche Berechnungen sollte man auch für alle anderen – und insbesondere alle neuen – Sepsismarker anstellen, um den klinischen Zusatznutzen gegen die Wirtschaftlichkeit abzuwägen. Dies ist umso wichtiger, als die Laborkosten im Krankenhaus durch die DRG- und Intensivpauschalen abgedeckt sind und nicht eigens in Rechnung gestellt werden können. Trotzdem dürfen rein wirtschaftliche Argumente nicht über die medizinische Notwendigkeit gestellt werden. Die Aussage, es sei günstiger, ein Antibiotikum zu verschreiben, als einen teuren Sepsistest durchzuführen[13], ist angesichts der Zunahme resistenter Keime eine Milchmädchenrechnung. „Es wird gespart, koste es was es wolle“ ist die falsche Einstellung, weil sie dem Patienten schadet und den medizinischen Fortschritt behindert.   

 

Literatur


Prof. Dr. med. Rudolf Gruber

Mitglied der Redaktion


Harald Maier

Mitglied der Redaktion