Dieses ist das zweite Heft in diesem Jahr, das sich mit den großen onkologischen Sommerkongressen befasst: dem ASCO-Kongress in Chicago und der EHA-Jahrestagung in Stockholm.
Wir haben nach dem Schwerpunkt zu Lungentumoren in Heft 4/2018 beschlossen, das Thema anlässlich des ASCO-Kongresses noch einmal in extenso abzuhandeln, weil insbesondere das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom einer der Tumoren ist, bei denen sich die Therapie außerordentlich dynamisch weiterentwickelt. Nicht nur sind in Chicago wieder neue Resultate zu zielgerichteten und Immuntherapien des metastasierten Stadiums präsentiert worden: Es wird darüber hinaus immer deutlicher, dass vor allem die Checkpoint-Inhibitoren auch in früheren Situationen, im inoperablen Stadium III, helfen können, die Chancen der Patienten auf Progressionsfreiheit zu verbessern.
Wenn die Checkpoint-Inhibitoren vielfach als „Immuntherapien“ bezeichnet werden, ist das nicht falsch, aber etwas unscharf, weil das Feld der Immuntherapien natürlich sehr viel umfassender – und auch nicht ganz neu – ist: Wenn man es sehr weit interpretieren möchte, kann man anekdotische Berichte anführen, etwa über die Regression eines Tumors beim Pharao Imhotep (um 2 600 v. Chr. im Alten Reich Ägyptens) sowie im 13. Jahrhundert über die Heilung eines Knochentumors beim heiligen Peregrinus, der in der Folge zum Patron der Krebskranken avancierte – in beiden Fällen war angeblich eine Infektion der Auslöser für die Komplettremission. Die erste einigermaßen gezielte Anwendung dürfte aber Coley´s Toxin darstellen, eine Mischung aus Bakterien, mit der der amerikanische Chirurg William Coley Ende des 19. Jahrhunderts versuchte, Tumorpatienten zu behandeln – mit gemischten Ergebnissen, die nach heutigen Kriterien nicht mehr satisfaktionsfähig wären. Weitere Ansätze wie die intravesikale Gabe von Bacillus Calmette-Guérin beim Blasenkarzinom folgten; aber richtig Fahrt aufnehmen konnte die Immuntherapie im weitesten Sinn erst mit der Entwicklung eines immer tieferen Verständnisses für die Mechanismen des Immunsystems und mit technischen Fortschritten wie der Herstellung monoklonaler Antikörper. Ende der 1990er-Jahre wurden dann die ersten Antikörper in die onkologische Therapie eingeführt: Rituximab beim diffus-großzelligen
B-Zell-Lymphom und Trastuzumab beim Mammakarzinom. Ein Interview mit Dennis Slamon, der für die klinische Einführung von Trastuzumab hauptverantwortlich zeichnete, lesen Sie auf S. 381.
Mittlerweile hat sich dieses Therapieprinzip – die Markierung möglichst spezifischer Antigene auf Tumorzellen, um sie für das Immunsystem sichtbar und angreifbar zu machen – fest etabliert: Beinahe im Monatsabstand werden neue therapeutische Antikörper zugelassen oder zumindest Indikationserweiterungen für zugelassene Antikörper ausgesprochen.
Onkologische Immuntherapien haben aber mittlerweile schon sehr viel mehr Facetten:
– Man kann klassische Antikörper mit starken Toxinen (oder auch mit radioaktiven Isotopen) koppeln und mithilfe der Antikörper-Antigen-Reaktion diese zytotoxisch wirksamen Substanzen sehr gezielt an die malignen Zellen heranbringen. Bereits in der Klinik angewendet werden solche Antikörper-Toxin-Konjugate beim Mammakarzinom und beim Hodgkin-Lymphom; und in Chicago und in Stockholm wurden vielversprechende Daten zu einem weiteren solchen Präparat beim diffus-großzelligen Lymphom vorgestellt (s. S. 391).
– Man kann Antikörper heute auf DNA-Ebene maßschneidern und so etwa Substanzen schaffen, die in der Natur nicht existieren. Ein Beispiel dafür sind Moleküle, in denen die Antigen-Erkennungsregionen von zwei verschiedenen Antikörpern kombiniert sind und die dadurch zwei Arten von Zellen (z. B. Tumorzellen und T-Lymphozyten) binden und in engen Kontakt miteinander bringen, sodass die T-Zelle die Krebszelle eliminieren kann.
– Man kann Antikörper auch verwenden, um andere Funktionen des Immunsystems in einer für Krebspatienten förderlichen Weise zu beeinflussen: Dieses System ist nämlich mit einer Vielzahl von Kontrollmechanismen ausgestattet („Checkpoints“), die verhindern sollen, dass es sich an körpereigenen Geweben oder in der Schwangerschaft am Föten vergreift. Tumoren sind sehr geschickt darin, diese Mechanismen auszunutzen und sich durch die Expression von Checkpoint-Liganden vor dem Angriff von T-Zellen, aber auch von Makrophagen und anderen Immunzellen zu schützen. Die Blockade dieser Checkpoint-Moleküle durch spezifische monoklonale Antikörper kann diesen Schutz aushebeln und die Krebszellen wieder vulnerabel für die Immunattacken machen.
Bislang zu therapeutischen Anwendungen zugelassen sind gerade eben vier bis fünf solcher Checkpoint-Inhibitoren, und diese richten sich ausschließlich gegen die PD-1/PD-L1-Checkpoint-Achse. Hält man sich vor Augen, dass es mindestens ein Dutzend weitere Immuncheckpoints gibt, für die sich Inhibitoren teilweise auch bereits in der klinischen Entwicklung befinden (siehe z. B. S. 392), so kann man sich die mutmaßliche Dynamik ausmalen, mit der sich die onkologische Therapie im nächsten Jahrzehnt weiterentwickeln wird.
– Ebenfalls zu den Immuntherapien zählen die CAR-T-Zellen, über die wir in Trillium Krebsmedizin von Beginn der Entwicklung an immer wieder ausführlich berichtet haben. Mittlerweile sind zwei dieser Präparate zugelassen, weitere werden folgen. Parallel zur Ausweitung der klinischen Anwendungen beginnt die Suche nach Biomarkern, mit denen sich Wirksamkeit und Nebenwirkungen – die teilweise sehr ausgeprägt sind – vorhersagen lassen könnten (s. S. 397).
Apropos Biomarker: Der Trillium-Verlag hat sich auf die personalisierte, Biomarker-basierte Medizin spezialisiert. Er erreicht mit seinen Printmedien (Trillium Diagnostik, Trillium Krebsmedizin und Trillium Immunologie) die Verbände BDP (Pathologie), DGKL und BDL (Laboratoriumsmedizin) und DGfI (Immunologie) im Abonnement – Zielgruppen also, zu deren Kerngeschäft die Diagnose von Biomarkern gehört und die dadurch die Grundlage für die Indikationsstellung bei onkologischen Therapeutika schaffen.