Die Zukunft der kontinuierlichen Glukosemessung
MEDICA LABMED Forum 2017
Das dritte der insgesamt vier MEDICA-Symposien 2017 zur Gegenwart und Zukunft der Labormedizin wurde von Prof. Dr. med. Peter Luppa, Klinikum rechts der Isar der TU München, geleitet. Er ist einer der bekanntesten Repräsentanten der patientennahen Labordiagnostik (POCT) und Selbsttestung in Deutschland.
Zum Rundtischgespräch über das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM) hatte er drei Fachleute eingeladen: den Diabetologen Prof. Dr. Karsten Müssig vom Universitätsklinikum Düsseldorf, die Qualitätsbeauftragte Franziska Amiet vom Inselspital der Universität Bern und den Technologieforscher Dr. Guido Freckmann von der Universität Ulm.
Bei CGM geht es um wenige Millimeter große Sensornadeln, die unter der Haut platziert werden, um den Glukosegehalt in der interstitiellen Flüssigkeit zu messen. Laut Freckmann gibt es inzwischen bereits eine ganze Reihe funktionierender Systeme im Markt (vgl. Trillium Diagnostik 3/2016), die theoretisch in der Lage sind, die Glukoseverläufe engmaschig zu überwachen, ohne dass sich der Patient mehrfach am Tag in den Finger stechen muss. Luppa stellte die provokante Frage, ob die neue Technologie den herkömmlichen Teststreifen möglicherweise komplett ablösen werde.
Zumindest Typ-1-Diabetiker, so Freckmann, seien an fest implantierbaren Sensoren sehr interessiert. Bis zu zwei Drittel dieser Patientengruppe würden auf CGM umsteigen, wenn die Technik ausgereift sei und die Systeme länger als ein Jahr unter der Haut verbleiben könnten. Weniger bedeutsam dürfte CGM für Typ-2-Diabetiker mit relativ stabilen Blutzuckerwerten sein; diese Patienten wollten gar nicht unbedingt mit Daten überflutet werden, die ihren Tagesablauf nur stören, ohne zu einer verbesserten Diabeteseinstellung beizutragen.
Müssig berichtete aus seiner praktischen Erfahrung, dass einige Diabetiker die CGM-Systeme sogar als stigmatisierend empfänden, weil sie dadurch von Freunden und Arbeitskollegen auf ihre Krankheit angesprochen würden. Sorgfältige Outcome-Studien seien nötig, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die von CGM profitieren. Alle anderen könnten auch weiterhin sehr gut mit der diskontinuierlichen Blutzuckermessung leben.
Amiet sprach die Qualitätsprobleme dezentraler Glukosemessungen kritisch an. Nicht einmal die etablierten Streifentests könnten in allen Belangen mit der Messung im Labor mithalten, und diese Streifen würden nun eingesetzt, um die noch weniger zuverlässigen CGM-Verfahren zu kontrollieren. Hier sieht sie die Hersteller in der Pflicht, die Stabilität der Sensoren und die Auswertealgorithmen so zu verbessern, dass eine qualitativ hochwertige Primärmessung durchführbar ist. Wenn man bedenke, dass Blutzuckerteststreifen etwa zehn Jahre Entwicklung benötigten, bis sie das heutige Qualitätsniveau erreichten, so müsse man wohl auch für CGM diesen Zeitrahmen ansetzen, ehe man über eine Ablösung der alten durch die neue Technologie nachdenken könne.
Freckman beleuchtete das für die Qualitätsprüfung aktuell eingesetzte MARD-Verfahren (mean absolute-relative deviation) kritisch. Hierbei werden parallel zur kontinuierlichen Messung etwa zehn Teststreifenmessungen pro Tag durchgeführt und die Differenzen berechnet. Deren Mittelwert sei von vielen Variablen abhängig und streue stark von System zu System, sodass MARD die Qualitätssicherung von CGM-Messungen nicht entscheidend verbessern könne.
Müssig sieht den derzeit größten Nutzen von CGM in der kurzfristigen Überwachung von Patienten mit instabilen Glukosewerten, z. B. über einen Zeitraum von zwei Wochen hinweg. So wären die Diabetiker in der Lage, die Symptome etwaiger Hyper- oder Hypoglykämien besser einzuschätzen, und die Ärzte könnten die Therapie individueller einstellen. Ergänzend berichtete Freckmann, dass auch scheinbar Gesunde starke Blutzuckerschwankungen aufweisen, die nach einer Mahlzeit durchaus Werte von 200 mg/dl (11 mmol/l) überschreiten können.
Möglicherweise, so Luppa, werde man in 20 Jahren zu einem neuen Verständnis der Stoffwechselkontrolle gelangen, wenn man Glukose- und andere Metabolitkonzentrationen in Abhängigkeit von Ernährung und Aktivität den ganzen Tag lang quasi „auf der Armbanduhr“ ablesen könne.
Prof. Dr. Georg Hoffmann
Mitglied der Redaktion