Leitlinien empfehlen übereinstimmend eine Neutropenie-Primärprophylaxe, wenn das Risiko für eine febrile Neutropenie (FN) über 20% liegt. Doch sind diese Empfehlungen im klinischen Alltag noch zu wenig implementiert, wie eine Untersuchung an deutschen Zentren belegt.
Leitliniengemäß sollte die Neutropenie-Prophylaxe an das beim gewählten Chemotherapie-Regime zu erwartende FN-Risiko angepasst werden: Die primär-prophylaktische Gabe von Granulozyten-Koloniestimulierendem Faktor (G-CSF) wird ab einem FN-Risiko von 20% und höher empfohlen. Bei einem FN-Risiko von 10–20% sind Risikofaktoren wie Alter und Komorbiditäten bei der Indikationsstellung mit zu berücksichtigen, informierte Prof. Matti Aapro, Genolier/Schweiz. Eine sekundäre Prophylaxe mit G-CSF sollte erfolgen, wenn im vorangegangenen Zyklus ein neutropenisches Ereignis auftrat.
Allerdings werden die Leitlinien zur FN-Prophylaxe im klinischen Alltag vielfach nur unzureichend umgesetzt. Das belegt eine Befragung der Arbeitsgruppe um Prof. Hartmut Link, Kaiserslautern, zur Implementierung der EORTC-Leitlinie an 213 deutschen Zentren [1]. Besonders prekär ist die Situation bei Patienten mit Lungenkarzinom: Nur in 14% der Fälle wurde eine leitliniengerechte G-CSF-Prophylaxe durchgeführt, obwohl Chemotherapie-Regimes mit hohem FN-Risiko verabreicht wurden. Besser sieht es beim Mammakarzinom und bei Lymphomen aus: Hier wird die EORTC-Leitlinie zu immerhin 76% bzw. 84% umgesetzt. „Die Leitlinien-Empfehlungen zur Neutropenie-Prophylaxe werden weiterhin zu wenig akzeptiert; Patienten sind demnach mit G-CSF unterversorgt“, kritisierte Aapro.
Ein weit verbreitetes Defizit ist außerdem die zu kurze Gabe von G-CSF-Präparaten nur über die ersten fünf Zyklustage. Standard ist jedoch eine Prophylaxe über den Neutrophilen-Nadir hinaus, d. h. über acht bis zehn Tage, betonte Aapro. Eine vereinfachte Neutropenie-Prophylaxe ermöglichen lang wirksame G-CSF-Präparate wie das glykopegylierte Lipegfilgrastim (Lonquex®), das im Gegensatz zu den Produkten der ersten Generation nur noch einmal pro Therapiezyklus verabreicht werden muss.
Katharina Arnheim
Literatur
1. Link H et al.; J Clin Oncol 2013;21(Suppl):Abstr. 6591Satellitensymposium “Contemporary Therapeutic Strategies in B-Cell-Lymphomas” im Rahmen des 20. EHA-Kongresses, Wien, 11. Juni 2015, unterstützt von Teva GmbH, Ulm.